Need for Speed-Fans hatten es in den vergangen Jahren wahrlich nicht leicht. Konnte zuletzt Rivals noch überzeugen, geriet der NFS-Motor mit Payback und dem 2015er Reboot der Serie stark ins stottern.
Mit Need for Speed Heat will sich Entwickler Ghost Games jedoch seiner alten Stärken besinnen. Und dazu zählen, na klar, spaßige Arcade-Rennen und ein Tuning-System das seinesgleichen sucht.
Ist das geglückt? Ein klares "Ja". Dennoch verhindern altbekannte Macken der Reihe - wie beispielsweise die Story und die recht austauschbare Open World - den Sprung in die Sphären eines Forza Horizon 4.
Offline-Test: Wir haben die Kampagne von NFS Heat bislang ausschließlich offline gespielt. Wie sich die Online-Komponente und deren Server schlagen, werden wir unter Release-Bedingungen testen und Anfang kommender Woche nachreichen.
Die zwei Heat-Welten
Was ist das Besondere an NFS Heat? Die Kampagne, das Herzstück des Spiels, ist in zwei Modi aufgeteilt: Rennen am Tag und Rennen in der Nacht. Was sich relativ simpel liest, kommt jedoch ganz nach Tageszeit mit einem ganz eigenen Spin.
Was passiert am Tag? Ist es draußen hell, fahren wir in legalen Showdown-Rennen um Geldprämien. Die eingesackte Kohle investieren wir anschließend in neue Fahrzeuge, sowie technische und optische Tuning-Möglichkeiten.
Was passiert in der Nacht? Wird es düster in Palm City, kämpfen wir in illegalen Straßenrennen um Ansehen, die zweite Währung in NFS Heat. Steigt unser Reputations-Level auf der Straße, schalten wir Schritt für Schritt neue Vehikel und leistungsstärkere Komponenten wie Motoren, Getriebe etc. frei.
Den größten Unterschied zum Tag macht jedoch die Polizei. Lässt sie während der hellen Stunden noch so einiges durchgehen, macht sie nachts bereits bei Sichtkontakt Jagd auf euch. Das sorgt neben dem Need for Speed-typischen Geschwindigkeitsrausch für einen weiteren Adrenalin-Kick, speziell wenn plötzlich Helikopter über euch kreisen.
Das Tag-und Nacht-System funktioniert erstaunlich gut und macht vor allem eins: es motiviert ungemein. Ob ihr mal eben Geld braucht oder im Reputations-Rang aufsteigen müsst, stets winkt der Schotter für einen neuen Wagen oder die Freischaltung einer wichtigen Komponente durch das gestiegene Ansehen.
Und wenn ich gefasst werde? Solltet ihr tatsächlich mal bei der Verfolgung durch die Cops nicht entkommen (was uns nur sehr selten passiert ist) verliert ihr einen Teil eures Vermögens. Aber keine Sorge, das Geld investiert ihr meist sowieso umgehend in euren Fuhrpark.
Optik-Check
Heat ist kein optischer Leckerbissen und spielt vom Schauwert nicht in der gleichen Liga eines Forza Horizon 4. Zu generisch und austauschbar wirkt die Spielwelt mit ihren städtischen Küstenzonen und ihren teils kargen Wald-/Berg-Regionen. Auch das Schadensmodell kommt selbst nach einem Frontalcrash mit 300km/h gegen einen entgegenkommenden LKW nicht über Lack-Kratzer und eine leicht eingedrückte Motorhaube hinaus. Eine Cockpitansicht gibt es ebenfalls nicht.
Dafür haben uns die schmucken Automodelle und die Lichteffekte gefallen. In der Nacht peitscht uns häufig ein starker Regen entgegen, der viel zur Atmosphäre beiträgt. Rüsten wir dann noch bunten Bremsrauch aus, der unseren Boliden beim Drift um die Kurve umnebelt, und klemmen die Neonröhren an den Unterboden, dann ist das, wie der generische NFS-Charakter sagen würde, schon "verdammt fett und nice".
Wie stets um die Technik? Von Bugs, störenden Pop-Ups, massiven Einbrüchen der Framerate oder gar Spielabstürzen wurden wir bei unserem Test auf der PS4 Pro komplett verschont.
Spaßige Arcade-Action mit Design-Fehlern
Doch kommen wir zum wichtigsten Punkt eines jeden Rennspiels: dem Fahrgefühl beziehungsweise dem Spaß, den wir am virtuellen Steuer hatten.
Wie fühlt es sich an? Need for Speed Heat ist ein Arcade-Racer durch und durch, der Serien-Veteranen vertraut vorkommen wird. Diese müssen sich jedoch auf kleine, eher ungewohnte Feinheiten beim Fahrgefühl gefasst machen, die uns allerdings gut gefallen haben. So müsst ihr jetzt auch mal bremsen, dürft nicht kopflos durch jedes Hindernis hindurchbrettern und auch gezielte Drifts gewinnen in engeren Kurvenpassagen abseits des Ziehens der Handbremse mehr an Bedeutung.
Rein theoretisch kann euer Wagen auch durch zu große Beschädigung kaputt gehen, was ihr an einer Schadensanzeige seht. Damit das geschieht, müsst ihr aber wirklich jede Laterne über die Motorhaube jagen. Während unseres Tests blieben wir von einem Totalschaden komplett verschont.
Spürten wir zu Spielbeginn noch ein leicht schwammiges Gefühl bei der Steuerung, löste sich das durch den Einbau verbesserter Leistungskomponenten, die Wahl des richtigen Fahrzeugs und in erster Linie durch den eigenen Lernfortschritt in Luft auf. Das nicht optimale Handling der Fahrzeuge zu Spielbeginn ist nicht etwa schlechtes Spieldesign, sondern eine bewusste Entscheidung der Entwickler, die sehr gut ins Gesamtbild von Heat passt.
Wie stehts um die KI? Doch was hilft eine spaßige Arcade-Action, wenn die künstliche Konkurrenz auf der Strecke schlecht ausbalanciert, leblos und nervig ist?
- Kein Gummiband-Effekt: Fahrt ihr auf der Strecke einen Vorsprung heraus, taucht die KI nicht urplötzlich zum Zwecke der Spannung wieder hinter euch auf. Das kann zwar mitunter zu recht eintönigen Rennen an der Spitze führen, wirkt aber glaubhaft.
- Individuelle Herausforderung: NFS Heat ist mit seinen drei Schwierigkeitsgraden und seinem sichtbaren Anforderungs-Level der einzelnen Rennen nie zu schwer oder zu leicht. Die packendsten Rennen hatten wir, wenn unser Wagen von seiner Leistung ca. 20 Punkte unterhalb der empfohlenen Anforderung lag.
- Stumpfe Gegner: Dennoch bekommt die KI von uns keine Bestnoten. Zu sehr verhält sie sich nach Vorschrift, wählt dabei die Ideallinie und wirkt dadurch leblos. Packende Rangeleien wie in einem GRID sind selten und seid ihr leistungstechnisch mit eurer Karre unterlegen, müsst ihr in den Kurven schon wahre Wunder vollbringen, um die entflohenen Gegner einzuholen. Viele Fehler machen die nämlich nicht. Dadurch kann es durchaus vorkommen, dass die Rennen auf Dauer eintönig verlaufen.
Welche Renn-Typen gibt's?
Abseits von Drag-Races (Beschleunigungsrennen), die es leider nicht ins Spiel geschafft haben, erwarten euch im Verlauf des Spiels folgende Veranstaltungen:
- Rennen: Das Streckenprofil besteht größtenteils aus langgezogenen Hochgeschwindigkeits-Geraden, das Gaspedal ist hier euer bester Freund.
- Straße: Die Strecke ist durchzogen von Kurven. Wer nicht bremst oder driftet, hat keine Chance auf den Sieg.
- Drift: Bei diesen Events müsst ihr durch Drifts eine bestimmte Punktzahl erreichen. Slided ihr perfekt um die Kurven, erhöht sich euer Drift-Multiplikator und verschafft euch mehr Punkte.
- Offroad: Hier geht es auf unwegsames, teils matschiges Gelände.
Größtes Manko hier: bis ihr alle Varianten freigeschaltet habt, vergeht in der gut 20 Stunden andauernden Kampagne einiges an Zeit. Das führt dazu, dass ihr euch über einige Stunden hinweg auf normalen Rundkursen und Sprint-Veranstaltungen aufhaltet. Dank der stets motivierenden Freischaltungen und Upgrades kommt so zwar keine Tristesse auf, optimal gelöst wurde dieser Punkt allerdings nicht. Hier hätten wir uns bereits früher im Spiel, beispielsweise im Verlauf der Geschichte, ein paar Drifts und Offroad-Veranstaltungen gewünscht.
Funktioniert die Open World?
Sie ist tatsächlich neben der Geschichte, auf die wir später noch zu sprechen kommen, unser größter Kritikpunkt. Die Fahrten vom einen Event zum anderen wirken wie ein unnötiger Zeitfresser, da Palm City als Schauplatz keinen großen optischen Mehrwert bietet.
Entwickler Ghost Games versucht die Welt zwar mit Sammelobjekten zum Erhalt von Decals (Sticker für euer Auto) und optionalen Herausforderungen - durch Plakatwände springen, Radarfallen, Drift-Challenges etc. - zu füllen, wirklich unterhaltsam ist das alles aber nicht. Ein Event bequem aus dem Menü heraus auszuwählen, hätte unseren Nerv eher getroffen und ein Strecken der Spielzeit verhindert.
Tuning vom Feinsten
Kommen wir aber zur mit Abstand größten Stärke von Need for Speed Heat, dem Tuning. Was uns hier an technischen Upgrades, vor allem aber an optischen (und akustischen) Anpassungsmöglichkeiten geboten wird, ist phänomenal.
Wie viele Autos dürfen wir aufmotzen? Heat bietet insgesamt 127 Wagen. Das ist im Vergleich zu einem Forza Horizon 4 oder Gran Turismo Sport zwar verhältnismäßig wenig, durch den Grad der Abwechslung vom lumpigen Offroad-Pickup bis zum eleganten Lamborghini Aventador wird das aber geschickt kaschiert.
Keine Mikrotransaktionen: In der uns zur Verfügung stehenden Fassung von NFS Heat haben wir keinerlei Mikrotransaktionen oder gar Lootboxen gesehen. Alle Objekte werden mittels Reputations-Level freigeschaltet und mit der Ingame-Währung bezahlt.
Das NFS Underground-Gefühl: Seit gefühlten Ewigkeiten hatten wir nicht mehr so viel Spaß am optischen Tuning, wie in Heat. Was Ghost Games hier vom justierbaren Motorensound über die Auswahl der Seitenschweller bis hin zur Wahl des Karosserie-Lacks auf die Hebebühne gezaubert hat, übertrifft alles bis dato Gesehene. Sogar an eurer Spielfigur könnt ihr von den Schuhen bis zu den Haaren alles verändern.
Bietet NFS Heat perfektes Tuning? Nein, einen Kritikpunkt gibt es, den wir als äußerst störend empfunden haben. Und zwar müsst ihr alle gekauften Optik-oder Leistungsverbesserungen stets von einem Renner entfernen, wollt ihr sie an einem anderen anbringen. Zumindest haben wir im Test keinen Weg gefunden, dies zu umgehen.
Das hat dazu geführt, dass wir uns dazu entschlossen haben, lediglich ein Auto pro Renn-Art zu bauen. Ein Drift-Bolide erfordert nämlich gänzlich andere Teile als beispielsweise ein Offroad- oder gar ein Rennschlitten.
Der ewige NFS-Kritikpunkt
Abschließend wollen wir noch wenige Worte zur zugegebenermaßen relativ unwichtigen Geschichte eines Need for Speed verlieren.
Wie gut ist die Story? Könnten wir an dieser Stelle einen mehrseitigen Rant darüber verfassen, welche pseudo-coole und klischeebeladene Grütze uns in Heat präsentiert wurde, fassen wir uns kurz. Nach anfänglichem Ohren-Bluten durch das dümmliche Gebrabbel der Figuren, war sie uns nach wenigen Spielstunden nämlich bestenfalls egal.
Um was geht's? Ihr seid ein Newcomer, wollt euch in der Street Racing-Szene einen Namen verschaffen, die Polizei ist korrupt, der frischen weiblichen Bekanntschaft wurde die aufgemotzte Mühle geklaut, … Soweit, so bekannt, so egal. Alles klingt ein wenig wie aus einem Fast & Furious-Teil geklaut, schafft es aber nicht einmal annähernd so unterhaltsam zu sein wie die Filme rund um Vin Diesel.
Besser wird es auch bei unserem Charakter nicht, der fast schon sinnbildlich repräsentiert, wie egal der Story-Part eigentlich ist: Zu Spielbeginn habt ihr die Wahl aus 12 Charakteren. Habt ihr euch schweren Herzens für einen Racer entschieden, könnt ihr diesen aber jederzeit austauschen, ohne dass es irgendwie thematisiert wird. Das bedeutet, dass es komplett egal ist, für wen ihr euch entscheidet, Auswirkungen auf die Story hat es nicht. Austauschen ist hier das Stichwort, austauschbar und belanglos ist nämlich auch die Story, die euch in speziellen Missionen samt netten Cutscenes präsentiert wird.
Abschließend wollen wir aber nochmal ganz klar betonen, dass die Story in einem Need for Speed nebensächlich ist. Das überaus positive Gesamtbild von Heat hat sie bei weitem nicht ruiniert. Dafür macht das Spiel bei den Punkten Tuning und seiner spaßigen Arcade-Action einfach zu viel richtig.
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