BioShock ist mittlerweile zehn Jahre alt und es gibt nicht mehr allzu viel, was mir von dem Spiel im Gedächtnis geblieben ist. Ich erinnere mich weder an Charaktere, zu denen ich eine emotionale Bindung hatte, noch an eine Geschichte, die jetzt noch für Gänsehaut sorgt.
Bis auf meine erste Begegnung mit einem Big Daddy, der sich mit einem dumpfen "Klonk!" im Hintergrund andeutete und mich dann mit seiner schweren Panzerung restlos überforderte, kann ich nicht einmal einen besonderen Gameplay-Moment hervorheben. Trotzdem gilt Irrational Games' Shooter für mich als unangefochtener Klassiker. Und das liegt einzig und allein an Rapture, eine der außergewöhnlichsten Videospielstädte aller Zeiten, die mir im Gegensatz zu vielen anderen Elementen des Spiels auch nach zehn Jahren noch wie ein Postkartenmotiv vor Augen schwebt.
Ein Absturz, ein Turm, eine versunkene Stadt
Nach so langer Zeit erneut die engen Gänge und verlassenen Hallen der Unterwassermetropole abzuwandern, fühlt sich wie eine Rückkehr nach Hause an - obwohl Rapture und seine Bewohner mir damals schon kurz nach der Ankunft signalisierten, doch lieber die Beine in die Hand zu nehmen und schleunigst wieder von hier zu verschwinden.
Aber eine andere Wahl hatte ich damals wohl kaum, als ich mich in der Haut des Protagonisten Jack nach einem Flugzeugabsturz unheilvoll gluckernd und nach Luft ringend im aufgewühlten Atlantik wiederfand. Gerade so konnte ich dem Tod noch von der Schippe springen, schwamm panisch an brennenden Flugzeugteilen vorbei und fand Zuflucht in einem Leuchtturm, der in diesem Moment meine einzige Rettung war.
Im Turm ging es nicht nach oben, sondern nach unten; hinein in eine Taucherglocke, die mir einen Projektor-Film zeigte, in dem ein geleckter Anzugträger namens Andrew Ryan über eine Stadt voller Freiheiten und Möglichkeiten protzte. Und dann war es eigentlich schon zu spät. Ich befand mich nun doch dort, wo zuerst gar nicht hinwollte: Tief im Meer, wo zwischen Fischen, Kraken und Blauwalen die Menschheit Land genommen hatte - und unterging.
Willkommen in Rapture
Anstatt glücklicher Mitglieder einer alternativen Gesellschaft bekam ich einen unheilvoll kreischende Gestalt zu Gesicht, die einen wimmernden Mann an zwei Fleischhaken aufspießte. Ein sogenannter Splicer war das gewesen. Ein Süchtiger, der an einer verheerenden Droge namens ADAM zugrunde gegangen ist und seinen letzten Fetzen Menschlichkeit hinter einer grässlichen Maske versteckte.
Rapture war ganz und gar nicht das, was Andrew Ryan mir in der Taucherglocke versprochen hatte. Einst prächtige Hallen lagen in Schutt und Asche. Es war dunkel. Hier flackerten Lichter, dort schien das modrige Grün des Meeres durch die Fenster. Überall röchelten noch mehr Splicer, die sich in irgendwelchen Ecken verkrochen hatten und nun meine Anwesenheit rochen. "Was war hier nur vorgefallen?", fragte ich mich, während ich den Anweisungen einer Stimme namens Atlas folgte.
Erzählende Umwelt
Das, was ich gerade beschrieben habe, ist nur der Anfang von BioShock, der aber den wichtigsten Moment des Spiels markiert. In den ersten Minuten gelang es BioShock, mir einen Schauplatz vorzustellen, den ich unbedingt entdecken wollte. Und das lag nicht nur alleine daran, dass sich Rapture im Meer erstreckt und sich deshalb als Exot so sehr von herkömmlichen Videospielstädten unterscheidet.
Vielmehr spielte das Intro mit meinen Erwartungen: Ich stieg ohne Vorwissen in die Taucherglocke, erwartete nach Ryans Rede das Paradies - und landete schließlich in der unausweichlichen Hölle, von der ich gar nicht wusste, wie sie entstanden war. Und das erzeugte eine Spannung, die mich rastlos von einen Raum in den anderen trieb.
Im Bann von Rapture rückte ich sogar das eher mäßige Gameplay in den Hintergrund. Oftmals geistloses, eintöniges Ballern und Plasmiden durch Splicer und Big Daddys nahm ich mit zugedrücktem Auge in Kauf, um hinter das Geheimnis der Stadt zu kommen. Jeder neue Raum, jedes Audiolog, jedes Poster, jede Leuchtreklame, jedes umgekippte Schnappsglas an einer Bar motivierte mich zunehmend, da ich immer ein wenig mehr über die Stadt, ihre Bewohner und den Grund ihres Verfalls erfuhr.
Der Schauplatz als Protagonist
Die Stadt Rapture hat so viel mehr zu erzählen als jeder andere Figur des Spiels, dass sie glatt selbst als Charakter durchgehen könnte - und im Grunde sogar als Protagonist. Die Spielfigur Jack bleibt während der gesamten Reise durch die Stadt nämlich profillos und stumm. Aber aus gutem Grund. Denn nur weil er als leere Hülle Platz für meine eigenen Gedanken machte, konnte vollständig in das eintauchen, was sich um mich herum abspielte.
Ganz anders verhält es sich in BioShock: Infinite, dem 2013 erschienenen dritten Teil der Reihe. Hier stellt uns das Intro die Wolkenstadt Columbia ebenso imposant vor. Kurze Zeit später lenkt das Spiel unsere Aufmerksamkeit aber auf seine zwei ausgeschriebenen und vertonten Hauptcharaktere Booker und Elizabeth. Zeit, viele Gedanken an Columbia zu verschwenden, lässt uns Infinite nur wenig, weil uns der Shooter in eine emotionale Geschichte verwickelt, die von ihren Figuren lebt.
Das allererste BioShock lebt hingegen von Rapture, dem gescheiterten Traum eines Megalomanen im Meer, der sich mit all seinen Schrecken und Wundern wohl für alle Zeiten in meinen Kopf gebrannt hat.
Was sind eure Erinnerungen an BioShock?
Nur angemeldete Benutzer können kommentieren und bewerten.
Dein Kommentar wurde nicht gespeichert. Dies kann folgende Ursachen haben:
1. Der Kommentar ist länger als 4000 Zeichen.
2. Du hast versucht, einen Kommentar innerhalb der 10-Sekunden-Schreibsperre zu senden.
3. Dein Kommentar wurde als Spam identifiziert. Bitte beachte unsere Richtlinien zum Erstellen von Kommentaren.
4. Du verfügst nicht über die nötigen Schreibrechte bzw. wurdest gebannt.
Bei Fragen oder Problemen nutze bitte das Kontakt-Formular.
Nur angemeldete Benutzer können kommentieren und bewerten.
Nur angemeldete Plus-Mitglieder können Plus-Inhalte kommentieren und bewerten.