Als mein Urgroßvater im Juni 1915 im französischen Thélus zum zweiten Mal schwer von Granatsplittern verwundet wird, ruft er »Jetzt hat's mich auch derwischt, aber das macht nix!«. Das behauptet zumindest »Bayerns Goldenes Ehrenbuch«, eine Kriegschronik, die im Ersten Weltkrieg allen hohen Ordensträgern ausgehändigt wurde.
Wer weiß, ob die Anekdote stimmt. Wahrscheinlich haben die Autoren das Gemetzel des Ersten Weltkriegs verharmlosend dargestellt, denn tödlich »derwischt« hat es zwischen 1914 und 1918 die unvorstellbare Zahl von 17 Millionen Menschen.
Jetzt kommt der Vorwurf auf, DICE würde den Ersten Weltkrieg mit Battlefield 1 ebenso verharmlosen. Doch in der Actionspiel-Umsetzung steckt viel Potenzial - und zwar nicht nur in spielerischer Hinsicht.
Zu grausam für eine Spielumsetzung?
Der Urkonflikt des 20. Jahrhunderts gilt zu Recht als eine der grausamsten Auseinandersetzungen der Menschheitsgeschichte - und im Vergleich zum Zweiten Weltkrieg oder dem Vietnamkrieg immer noch als eine der unbekanntesten. Vor allem in ihrer Umsetzung im Medium Videospiel, wie wir im zweiteiligen Report Der ignorierte Krieg / Der ideale Antikrieg ausführlich darlegen.
Der Autor
(@El_Ebeneezer)
Social Media Manager Daniel Feith fand den Ersten Weltkrieg schon immer interessanter als alle anderen Konflikte und hat nie verstanden, warum er nur so selten in Spielen umgesetzt wurde. Kein anderer Konflikt der jüngeren Vergangenheit verrät so viel über die Hybris des Menschen und die Unterlegenheit der Menschlichkeit gegenüber Technologie und Machtmechanismen. Er empfiehlt dringend den (englischsprachigen) Podcast »Blueprint for Armageddon« des Journalisten Dan Carlin zum Thema Erster Weltkrieg.
In der öffentlichen Wahrnehmung steht der Erste Weltkrieg wie kein anderer Konflikt für das sinnlose Verheizen einer ganzen Generation auf Schlachtfeldern. Mit Bildern, die an Höllendarstellungen erinnern: giftige Gasschwaden über mit Leichen gefüllten Granattrichtern. Ein Grauen, das Otto Dix als Gemälde einfangen kann aber doch sicher nicht die Pengpeng-Experten von DICE als Spiel, oder?
Vor der Ankündigung von Battlefield 1 winkten viele Fans ab. Der Erste Weltkrieg eigne sich nicht für einen Multiplayer-Shooter. Da gäbe es ja nur ein Szenario: Grabenkämpfe ohne spürbaren Raumgewinn. Die Panzer des WK1 seien viel zu lahm. Es habe damals ja nur gefühlt zwei Waffentypen gegeben und so weiter. Typisches Vorverurteilen eben.
Dass DICE die Vielfalt des Ersten Weltkriegs in spielerischer Hinsicht abbilden will, zeigt das Team schon mit der Auswahl der Battlefield-1-Maps. Da gibt es Seeschlachten, die ersten Luftkämpfe in Propellermaschinen (Stichwort: Der Rote Baron), arabische Kavallerie (Stichwort: Lawrence von Arabien), Kämpfe an unwegsamen Alpenhängen. Alles originellere Szenarien als der moderne Nahost-Terror-Einheitsbrei - und vor allem Konflikte, die vielen zu Unrecht nicht mehr im Gedächtnis sind.
Spielerische Vielfalt ist aber nicht alles.
Berechtigte Skrupel
Viele Kritiker melden sich jetzt mit dem verständlichen Einwand, das Gemetzel des Ersten Weltkriegs eigne sich nicht für ein effektgeladenes Actionspiel. Und ja, auch ich habe Skrupel, mir Jubelgeschrei über das Headset vorzustellen, weil ein Gasangriff in einem BF1-Match geglückt ist oder weil ein Graben nach dem zehnten Anrennen und unzähligen Toden auf beiden Seiten endlich genommen wurde. Die Soldaten wurden ja schließlich »respawned«. Macht ja nix. Hat ja keinen wirklich »derwischt«. Eine zynische Vorstellung, vor allem vor dem realen Hintergrund des Verheizens von Millionen unschuldiger Menschen als Ressource.
Aber worin unterscheidet sich denn im Kern das Gemetzel des Ersten Weltkriegs von allen anderen realen Konflikten, die ihren Weg in Videospiele fanden. Sind die Millionen Toten des WK1 »schlimmer«, nur weil sie in einem Krieg gestorben sind, der gemeinhin als besonders grausam und obendrein sinnlos gilt?
Oder wird da mit zweierlei Maß gemessen? War der Zweite Weltkrieg denn »cooler« und weniger grauenhaft? Fragen Sie mal die Opfer. Wie vielen Spielen gelingt es denn, Kriegsgräuel spürbar zu machen - sofern das überhaupt auch nur annähernd möglich ist? Am nächsten kommen dem Genre Anti-Kriegsspiel vielleicht Titel wie This War of Mine, Valiant Hearts oder vielleicht noch Spec Ops: The Line, doch sie erreichen bei weitem nicht die Verkaufszahlen der typischen Kriegs-Ballereien.
Eine besondere Verantwortung
Ich sehe die Wahl des Szenarios von Battlefield 1 vor allem als eine Chance, mit der eine besondere Verantwortung für DICE einhergeht. Aus dem ersten Battlefield-1-Trailer geht noch nicht hervor, wie viel Wert die Macher auf die Story-Kampagne legen. Außer einer kurzen Szene, in der ein Soldat Trommelfeuer ausgesetzt ist und einer angeblichen Missionsliste deutet noch nichts auf eine Handlung hin, die die Grausamkeit des Ersten Weltkriegs adäquat einfängt.
Geschichten über den Ersten Weltkrieg stellen meist dessen Gräuel und Sinnlosigkeit in den Mittelpunkt. DICE sollte nicht vergessen, diese Botschaft seinen Spielern mitzugeben. Vorlagen in Film (Wege zum Ruhm), Literatur (Im Westen nichts Neues, In einem fernen Land) und Spielen (Valiant Hearts) gibt es schließlich genug. Eine zahnlose Hurra-Kampagne mit stumpfem Feindbild und viel Effekthascherei ist beim Ersten Weltkrieg nicht vorstellbar. Den Fehler darf DICE nach der vermurksten BF4-Kampagne nicht wiederholen.
Alle bisher bekannten Fakten zu Battlefield 1
Deswegen halte ich den Ersten Weltkrieg für genau das richtige Szenario für Battlefield 1. DICE muss es aber ernst nehmen. Denn hinter allen Schauwerten steckt eine der wichtigsten Lehrstunden der vergangenen Jahrhunderte. Sie - wie auch alle anderen Konflikte - hat es verdient mit einer mächtigen Marke wie Battlefield in das Gedächtnis einer neuen Generation gehoben zu werden. Dieser Verantwortung muss DICE sich stellen.
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