In Kingdom Come: Deliverance 2 spielen wir den angehenden Ritter Heinrich, der Anfang des 15. Jahrhunderts in politische und kriegerische Wirrungen verwickelt wird. Die RPG-Reihe hebt sich durch den historischen und "realitätsnahen" Ansatz, der ganz ohne Fantasy-Elemente auskommt, von vielen anderen Genre-Vertretern ab.
Eine Herausforderung an geschichtlichen Settings ist aber ganz grundsätzlich, dass niemand von uns damals wirklich zugegen war. So abgedroschen das klingen mag, ergibt sich daraus eine große Schwierigkeit: Wer eine Mittelalterwelt darstellen will, ist auf überlieferte Quellen angewiesen und die bilden nie die gesamte Realität in all ihren Facetten ab, sind gerne stark subjektiv gefärbt oder teilweise sogar bewusst verfälscht.
Alles, was darüber hinausgeht oder zwischen den Zeilen steht, liegt also in den Händen derer, die sich dem Stoff annehmen: in dem Fall Entwickler Warhorse Studios. Nach Erscheinen von Kingdom Come: Deliverance entstand eine große Realismus-Debatte rund um die Darstellung der Gesellschaft im mittelalterlichen Böhmen. So wurde beispielsweise das Fehlen von PoC-Charakteren (People of Colour) kritisiert.
GameStar-Kollege Fabiano hat die Diskussion in einem ausführlichen Artikel aufgearbeitet:
Kingdom Come: Deliverance 2 zeichnet da schon ein vielfältigeres Bild, von dem wir euch hier einen kleinen Eindruck verschaffen wollen.
Zum Thema Spoiler: Wir kommen in diesem Artikel nicht drumherum, einige Aspekte der Handlung oder entscheidende Figuren anzusprechen. Dabei werden wir uns aber so vage wie möglich halten.
Das Mittelalter in Kingdom Come ist brutal
Wer sich an Kingdom Come 2 ranwagt, bekommt kein romantisiertes, idyllisches Mittelaltersetting oder eine Geschichte über strahlende Helden. Stattdessen erleben wir fehlerbehaftete Charaktere in einer Welt, die sich in vielen Bereichen feindselig anfühlt – und das trifft bei Weitem nicht nur auf die Banditen am Wegrand zu.
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Traumwertung für Kingdom Come 2: Das ist ein Meisterwerk!
In der dargestellten Gesellschaft sind Vorurteile und Verschwörungstheorien gegen Minderheiten tief verwurzelt und mischen sich mit gefährlichem Aberglauben. Wir erleben, wie Figuren mit Diskriminierung, Rassismus, Sexismus, sexueller oder häuslicher Gewalt, Homophobie und Antisemitismus zu kämpfen haben oder hören zumindest von entsprechenden Vorfällen.
Kurz gesagt: Das menschliche Zusammenleben zeigt sich regelmäßig von seiner hässlichsten Seite. Falls ihr diese Themen in fiktiven Werken lieber meiden möchtet, können wir euch Kingdom Come 2 daher nicht empfehlen.
Falls ihr euch aber darauf einlassen wollt, könnt ihr clevere Geschichten erleben, in denen der Status quo kritisiert und hinterfragt oder bewusst mit Klischees gespielt und gebrochen wird. Manchmal gibt es sogar trotz aller Widrigkeiten ein kleines Happy End oder neue Hoffnung für die Involvierten, was sich dann umso schöner anfühlt.
Was bedeutet das genau?
Im Verlaufe seines Abenteuers trifft Heinrich beispielsweise auf Nomaden, die im Wald campieren, homosexuelle Figuren oder auf eine jüdische Gemeinschaft in der Stadt Kuttenberg. Auch eine PoC-Figur spielt in der Hauptstory eine Rolle, nämlich der Arzt und Intellektuelle Musa aus Mali, der schon die halbe Welt bereist hat.
Auch Kumanen treten auf, Angehörige eines Reitervolks aus Zentralasien, die im mittelalterlichen Böhmen als Söldner in kriegerischen Auseinandersetzungen mitmischten. In Teil 1 überfallen einige von ihnen zu Beginn Heinrichs Dorf und es gab im Nachhinein Kritik an deren wenig differenzierten Darstellung. Im zweiten Teil kann der Protagonist nun bei einer Nebenquest mehr über ihre Kultur erfahren und sie ganz anders kennenlernen.
Und das ist nur eines von vielen Beispielen. In wendungsreichen Handlungssträngen, die immer wieder überraschen, erfährt Heinrich an vielen Stellen im Spiel mehr über die Hintergründe unterschiedlicher Personengruppen und über die Probleme, mit denen diese konfrontiert sind. Dabei schließt er unerwartete Allianzen oder Freundschaften.
Teilweise spielt Kingdom Come 2 auch mit Klischees und Vorurteilen. Wenn Heinrich beispielsweise eine Nomadin bittet, ihm mehr über ihre Leute zu erzählen, fragt sie ihn, ob er Geschichten übers Kinderfressen hören möchte.
Antwortet Heinrich bestürzt und beschwichtigend, gesteht sie lachend, dass sie ihn nur aufziehen wollte und sehr wohl weiß, dass er nicht an diese Märchen glaubt, die über Nomaden erzählt werden. Auf diese Weise erfährt der Protagonist, zu welchen absurden Verunglimpfungen das Misstrauen der nahen Dorfbewohner führt.
Weibliche Figuren in Kingdom Come 2
Neben interessanten weiblichen Figuren in Sidequests mischen in der Hauptstory vor allem drei Frauen mit: Kräuterfrau Bozena, Spionin Katharina und die Adlige Rosa.
Sie helfen beim Planen von Missionen, ergattern unbemerkt wichtige Informationen, beweisen sich als findige Heilerinnen, schalten auch mal einen Gegner durchs Fenster mit der Armbrust aus oder kritisieren gesellschaftliche Normen.
Wir erleben also keinesfalls nur Frauen, die am heimischen Herd stehen. Die ein oder andere “Jungfrau in Nöten” treffen wir in der Welt trotzdem mal und eine Jeanne D’Arc, die vorne auf dem Schlachtfeld mitmischt, solltet ihr dagegen nicht erwarten.
Die weiblichen Figuren nehmen trotzdem eine aktivere Rolle ein, als das noch bei Theresa in Teil 1 der Fall war. Zur Erinnerung: Die junge Frau stammt wie Heinrich aus Skalitz und spielte eine entscheidende Rolle bei seiner Rettung, nachdem das Dorf überfallen und abgebrannt wurde.
Die männlichen Protagonisten werden übrigens in Kingdom Come 2 zwar im Gegensatz zu den weiblichen alle Nase lang in Faust- oder Schwertkämpfe verwickelt, sind aber dabei keine unerschütterlichen Helden, an denen alle Schrecken spurlos vorbeigehen.
Auch Ängste, Bedenken und Traumata werden im Handlungsverlauf thematisiert. Das zeigt sich beispielsweise bei Heinrichs Freund Hans Capon, dem der Protagonist als Leibwache dient. Die Erlebnisse während des Abenteuers nehmen den Adligen sichtlich mit und sorgen dafür, dass unter seiner schnöseligen Fassade ein wesentlich komplexerer Charakter zum Vorschein tritt.
Heinrichs Romanzen-Optionen
Heinrich ist ebenfalls ein vielschichtiger Charakter und vor allem einer, den wir in guter alter Rollenspiel-Manier ganz unterschiedlich spielen können – auch in Liebesdingen. Er kann romantische sowie intime Momente mit Frauen, aber auch Männern erleben.
In den omnipräsenten Gesprächen der anderen männlichen Figuren über Frauen kann er voll mitmischen und Sprüche klopfen oder sich auch angestrengt rauswinden, indem er zum Beispiel zum Schmied, der ihn beschäftigt, sinngemäß sagt: “Lass uns lieber bei der Arbeit bleiben.” Es ist übrigens auch möglich, Theresa in einem Dialog als sein Herzblatt zu etablieren und ihr treu zu bleiben.
Kingdom Come 2 hat sich also in der Darstellung seiner Figuren im Vergleich zu Teil 1 weiterentwickelt und bringt schon in der Hauptstory eine vielfältigere Charakter-Riege mit. Noch wesentlich mehr Figuren mit ganz unterschiedlichen Hintergründen, viele kleine Nuancen und cleveres Writing lassen sich in Nebenmissionen und optionalen Interaktionen entdecken.
Wir wollen euch an dieser Stelle nichts spoilern, sind aber schon gespannt, wo die Reise in der Zukunft hingeht. Bei einigen Charakteren und Geschichten dürfte es noch spannend werden, wie es in einem möglichen nächsten Teil weitergeht.
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