Kennst du einen, kennst du alle?
Wer fleißig Scherben sammelt und stringent einen Karmaweg verfolgt, hat sich schnell einen äußerst agilen und schlagkräftigen Superhelden herangezüchtet, der problemlos über die Dächer der Stadt turnt und schwebt. Das sieht nicht nur cool aus, sondern steuert sich auch unglaublich simpel.
Wer von Infamous: Second Son angesichts der Hochhäuser von Seattle allerdings eine Kletterorgie wie in den Assassin's Creed-Spielen erwartet, wird muss umdenken: Delsin kann Häuserfassaden zwar auch auf die altmodische Art erklimmen, indem er sich von Fenster zu Fenster hangelt und Regenrinnen als Kletterhilfe nutzt, doch das sieht wegen ungelenker Animationen ganz schön plump und abgehackt aus - kein Vergleich zu Ubisofts geschmeidigen Assassinen.
Dieses Problem tragen die Infamous-Spiele bereits seit dem ersten Teil mit sich herum, und es wäre keine schlechte Idee gewesen, den neuen Helden zum Anlass zu nehmen, Coles ungelenke Kletteranimationen mal zu überarbeiten.
Doch wie sich herausstellt, ist das nicht die einzige Altlast, die Sucker Punch von den Vorgängern in die Next-Gen-Version mitgeschleppt hat. Zwar sieht dank PS4-Power alles um mehrere Klassen besser aus als in den ersten beiden Teilen, und es ist auch toll, mit Seattle endlich mal eine reale und keine von echten Metropolen lediglich beeinflusste Stadt zu erkunden.
Doch je länger wir spielen, desto mehr wird uns klar, dass sich am eigentlichen Spielablauf nichts geändert hat. Wir arbeiten wie in den Vorgängern formelhaft das immer gleiche Prinzip ab, um Viertel nach Viertel der neuen Kulisse durch Kämpfe und sich wiederholende Nebenaufgaben aus den Klauen der D.U.P. zu befreien.
Zwischendurch verfolgen wir über die Hauptmissionsmarkierungen weiter die Story und rüsten unseren Helden mit den unterwegs eingesammelten Scherben auf. Die Dinger sind übrigens auch alles andere als clever versteckt und werden uns wie auf dem Präsentierteller serviert.
Immer wenn wir einen blau leuchtenden Punkt auf unserer Minimap entdecken, gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder der Punkt bewegt sich, steckt also in einer fliegenden D.U.P.-Drohne, oder er bewegt sich nicht und steckt demnach in einer nicht mehr flugfähigen Drohne.
Ersteres lässt mit zunehmender Spielerfahrung automatisch unseren Blick Richtung Himmel wandern, wo wir die Flugmaschine schnell entdecken und mit einer gezielten Salve auf den Boden plumpsen lassen, um uns die Scherbe einzuverleiben.
Die zweite Möglichkeit ist ebenso simpel, denn in 90 Prozent der Fälle liegt die immobilisierte Drohne dann auf dem gerade höchsten erreichbaren Punkt, meistens einem Vorsprung oder einem Werbeplakat, den wir mit dem Wandlauf ruckzuck erreicht haben.
Überraschungen gibt es hier leider keine, und die eigentlich wichtige Scherbensammlerei wird statt zur spannenden Ostereiersuche zur »schnell mal unterwegs mitnehmen«-Beiläufigkeit. Schade!
Grafikgeprotze und tolle Spielbarkeit
Auch die beste Herangehensweise beim Zerstören der mobilen Kommandofahrzeuge haben wir schnell durchschaut: Wir müssen nur kurz die Umgebung überfliegen und wissen: »Aha, das Ding steht zwischen hohen Gebäuden - hier sollen wir wohl von den Dächern aus angreifen.« oder »Freies Feld? Da schalten wir mal besser auf die durchschlagskräftige Rauch-Fähigkeit um.«
Der Spielablauf ist also alles andere als überraschend. Das kann durchaus öde werden, wenn man sich Stück für Stück durch die Nebenmissionen arbeitet. Aber man muss ja nicht unbedingt alles der Reihe nach absolvieren. Wir haben einen recht kurzweiligen Spielstil gefunden, indem wir beim Verfolgen der Hauptmissionen kreuz und quer über die Karte geturnt sind und immer wieder die Nebenmissionen erledigt haben, die uns gerade ins Auge stachen.
So dauert es zwar länger, die Viertel zu befreien, doch die Mischung aus Story und Nebenzielen ist deutlich spannender, als geordnet und abwechslungsarm Befreiung an Befreiung zu reihen: Wir verbeißen uns zwischendurch schon mal in einem Viertel und vertreiben die Truppen schließlich komplett, doch dann ist es auch schon wieder gut mit den Nebenaufgaben und dem Einebnen von Stützpunkten. Wir gehen lieber die nächsten Storymissionen an. Wenn auf dem Weg dorthin trotzdem etwas interessant erscheint, nehmen wir es aber natürlich mit.
Dennoch hätten wir uns von Sonys erstem Exklusivtitel nach dem Launch der PlayStation 4 etwas mehr Abwechslung gewünscht. Doch das ist Jammern auf sehr hohem Niveau, denn Infamous: Second Son mag vielleicht nicht unbedingt durch Abwechslungsreichtum glänzen, aber die Spielbarkeit ist hervorragend.
Die intuitive Steuerung hat man schnell verinnerlicht, und durch Dualshock-4-Gimmicks wie Touchpad und Lautsprecher, die clever in den Spielablauf eingebaut wurden, schleicht sich sogar ein Hauch von Innovation ein. Zudem macht es einfach Spaß, als hochgezüchteter Supermutant durch die Stadt zu fegen und hier und da einfach mal innezuhalten, um die unglaublich gute Optik des Spiels zu genießen.
Wie cool ist es bitte, auf der Spitze der Space Needle zu stehen und dank der phänomenalen Weitsicht einfach nur das wundervolle 1080p-Panorama der Stadt und des bergigen Umlands auf sich wirken zu lassen? Die vereinzelten Grafik-Bugs und wirklich seltenen, kurzen Ruckler in der ansonsten stabilen Bildrate verzeihen wir gerne.
Es gibt unzählige Punkte in der Stadt, von denen aus wir einen wundervollen Rundumblick haben - besonders im Abendrot sorgen die Lichtreflexionen in den Fenstern der Hochhäuser und auf den regennassen Straßen für wundervolle Momente. Die Tageszeiten sind allerdings (anders als etwa in GTA 5) von den gerade aktiven Hauptmissionen abhängig.
Wir können aus inszenatorischer Sicht zwar verstehen, dass Sucker Punch die Kontrolle darüber wollte, zu welcher Zeit die Storymissionen spielen, doch dieses Problem hätte der Entwickler durch eine kurze, einführende Zeitrafferaufnahme lösen können - genau so eine, wie vor der Mission, in der wir auf unseren zweiten Mutanten treffen.
Doch auch das ist letztendlich Jammern auf hohem Niveau, denn eins ist klar: Infamous: Second Son ist derzeit das beste Argument für die Anschaffung einer PlayStation 4 - und zwar gleichermaßen als atemberaubendes Beispiel für das technische Potenzial der Konsole, wie auch als spannendes Actionspiel.
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