Wir alle kennen das Gefühl, einen Bewunderer zu haben. Jemanden, der uns bei jeder Gelegenheit sagt, wie toll wir doch sind, und uns bei allem, was wir tun, bejubelt, so banal und bedeutungslos es auch sein mag. Im Optimalfall ist das unsere Oma oder ein hübsches Mädchen, dann freuen wir uns darüber, aber das Ganze kann auch schnell nervig werden.
Irgendwann fühlen wir uns vielleicht bedrängt, spätestens dann, wenn unser Bewunderer nachts mit Gitarre vor unserem Fenster steht und mit seinem Gesang die ganze Nachbarschaft aus dem Bett holt. Dragon Age: Inquisition ist dieser Bewunderer. Ein Spiel, dessen gesamtes Konzept nur darauf ausgelegt ist, den Spieler zu umschmeicheln und mit Anerkennung vollzupumpen, bis er explodiert.
Ich habe mich bedrängt gefühlt… von einem Videospiel!
Der Autor
Julius Busch (23) ist ehemaliger IDG-Praktikant und wurde im übertragenen Sinne mit dem Gamepad in der Hand geboren. Als Filmstudent mit Bachelor-Thesis zum Thema »Dramaturgie in Videospielen« beschäftigt er sich ausgiebig mit dem erzählerischen Potenzial unseres Lieblingsmediums. In seiner Freizeit schreibt er selber gern und war schon bei einigen Filmprojekten für das Drehbuch verantwortlich. Sein großes Ziel ist es jedoch, eines Tages mal bei einem Videospiel als Autor mitzuwirken. Für ihn gibt es nur wenige Dinge, die so mitreißend sein können wie eine gute Geschichte.
Spoilerfrei
Dieser Teil meiner Analyse von Dragon Age: Inquisition verzichtet auf Spoiler. Wer Inquisition noch nicht gespielt hat, kann den Artikel also trotzdem komplett lesen.
Machtfantasie Videospiel
Videospiele sind in der Regel Machtfantasien, das ist natürlich keine Neuigkeit. Das Gefühl, Dreh- und Angelpunkt einer Welt zu sein und diese mit Entscheidungen über Leben und Tod nach den eigenen Idealen formen und verändern zu können, ist ein emotionales Bedürfnis, das irgendwo tief in jedem von uns schlummert.
Videospiele erlauben es uns, diese Urinstinkte auszuleben, dem Alltag zu entkommen und ein Held zu sein, ohne die fatalen Folgen im Falle des Scheiterns in Wirklichkeit spüren zu müssen. Bioware hat sich diesen Instinkt zu Nutzen gemacht und in Dragon Age: Inquisition eine Welt geschaffen, die uns zu Füßen liegt.
Und was ist noch eines der wichtigsten emotionalen Bedürfnisse des Menschen? Richtig, die Liebe. Also füllten die Entwickler diese Welt mit interessanten und gut geschriebenen Charakteren und ermöglichten uns, die Mitstreiter während unserer Abenteuer zu verführen. Das Ergebnis ist die Bioware-Formel, die uns einige der besten und meistgefeierten Rollenspiele aller Zeiten beschert hat.
Es ist eine Formel, die nicht den Spielspaß in den Vordergrund rückt, sondern die emotionale Stimulation des Spielers. Bioware will uns mit Herz und Seele in seine Welten ziehen. Bisher ist den Entwicklern das immer gelungen, aber Dragon Age: Inquisition ist bei seiner Befolgung dieser Formel so psychologisch genau und gnadenlos effizient, dass es manchmal wehtut.
Bedingungslose Anerkennung
Es ist dieses Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmt. Alles geht irgendwie zu einfach. Die Anerkennung, die uns entgegengebracht wird, fühlt sich nicht aufrichtig an, weil wir Spieler uns diese nie so richtig selber verdienen mussten. Wir wachen zu Beginn des Spiels mit unserer Superkraft auf und können tun, was kein anderer tun kann.
Ohne selbst einen Finger gerührt zu haben, sind wir die letzte Hoffnung der Welt. Und ohne überhaupt zu wissen, wie oder warum das alles passiert ist, taumeln wir in die Rolle des Inquisitors, eines gottgleich gefeierten Superhelden, dessen Rechtschaffenheit ab diesem Punkt keiner unserer Gefolgsleute mehr anzweifelt.
Wer so viel bedingungslose Anerkennung einfach so geschenkt bekommt, der wird misstrauisch. Und so wird der aufmerksame Spieler auch bei Dragon Age: Inquisition die Stirn runzeln und das eigentliche Kalkül durchblicken, mit dem sich das Spiel versucht, in unser Herz zu schleimen. Das wirkt dann derart befremdlich, dass ich mich über weite Strecken einfach nicht vollständig in seiner Welt verlieren kann.
Die akzeptierte Illusion
Wer ein Videospiel spielt, der genießt den Schwindel, heißt die eigene emotionale Manipulation willkommen. Videospiele sind als narratives Medium deutlich abstrakter als beispielsweise Filme. Beim Spielen findet eine Art unausgesprochene Verabredung zwischen dem Spiel und dem Spieler statt. Der Spieler willigt ein, nur Dinge zu tun, die im System des jeweiligen Spiels vorgesehen sind, und das Spiel liefert im Gegenzug die perfekte Illusion von Freiheit.
Das ist auch der Grund, warum die Freundin, die nur mal eben zuguckt und diese Verabredung nie getroffen hat, einfach nicht verstehen kann, was daran gerade so toll sein soll. Keine Videospiel-Narrative kann ohne diese Verabredung bestehen. Wenn wir Dragon Age: Origins spielen, uns aber nicht darauf einlassen, über das Fehlen einer Sprung-Funktion hinwegzusehen, scheitert die Illusion. Anderenfalls lässt sich unser Gehirn von ganz allein manipulieren, bis wir schließlich gar nicht mehr springen wollen.
Eben diese Funktionalität unseres Gehirns ist im Übrigen auch der Grund dafür, dass wir in den frühen Tagen der Videospielhistorie schon mit ein paar wenigen Pixeln großartige Abenteuer erleben konnten. Der Abstraktionsgrad war höher, die Illusion damit schwieriger zu erlangen, aber das Prinzip bleibt das gleiche.
Anerkennung muss sein
Die Illusion schwindet also, wenn wir die Instrumente, die eben diese erzeugen, bemerken. Ein bisschen mehr Feingefühl bei seinen Schmeicheleien hätte Dragon Age: Inquisition also gut getan. Ein bisschen mehr »gutes Spiel« und ein bisschen weniger »guter Spieler«. Allerdings auch nur ein bisschen weniger, denn die Anerkennung des Spielers ist ein sehr wichtiges Element der Videospieldramaturgie.
Bei einem Film verfolgen wir in der Regel als Außenstehender die Geschichte eines Helden oder Antihelden, der auf irgendeine Art und Weise sympathisch oder zumindest ansprechend ist. Figuren wie der vieldiskutierte Walter White aus der TV-Serie Breaking Bad haben jedoch gezeigt, dass wir nicht zwingend immer auf der Seite des Protagonisten sein müssen, damit die Erzählung funktioniert.
Bei einem Spiel ist das anders, denn hier sind wir der Protagonist. In dem Moment, in dem wir die Kontrolle über unsere Spielfigur übernehmen, treffen wir die Vereinbarung, dass wir innerhalb der Spielwelt eins mit ihr sind. Damit diese Symbiose funktionieren kann, ist es unerlässlich, dass wir unsere Spielfigur mögen, uns mit ihr identifizieren können. Jede Interaktion der Spielwelt mit unserer Spielfigur ist eine Interaktion mit uns. Und wir wollen von der Spielwelt anerkannt werden.
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