Mittlerweile gibt es viele Shooter auf Konsolen, aber wirklich revolutionär war erst Halo – das sagen zumindest viele. Eigentlich gab es schon Jahre vorher mit Goldeneye 007 auf dem N64 einen prägenden Ego-Shooter, der in Deutschland aber als jugendgefährdend eingestuft wurde. Jetzt ist es runter vom Index, und es wird Zeit, endlich einen Liebesbrief an Rares Shooter zu schreiben.
Enttäuschende Filmumsetzungen
Filmumsetzung. Das Wort hat einen faden Beigeschmack, sind Spieleversionen von Kinofilmen doch meist lustlos hingeschluderte Geld-aus-der-Tasche-zieh-Produkte. Der typische Argwohn, den man als Videospielefan empfindet, wenn einen von der Packung der Titel eines aktuellen Blockbusters anlacht, war Ende der 1990er-Jahre sogar noch deutlich stärker. Heute ist es selten, dass ein Publisher viel Geld in die Hand nimmt, um die horrenden Lizenzkosten für einen Film zu bezahlen und dann durch Einsparungen bei der Produktion versucht, am Ende einen guten Schnitt zu machen.
Kai Schmidt
Kai ist seit seinen Kindertagen, als der Papa einen Betamax-Videorekorder ins Wohnzimmer stellte und regelmäßig neue Filme aus der Videothek mitbrachte, ein großer Filmfan. Natürlich interessierten ihn schon zu C64-Zeiten Filmumsetzungen wie "Rambo 2", "Predator" oder "RoboCop", da es die einzige Möglichkeit war, diese Erwachsenenfilme zu erleben. Dass man Filmumsetzungen oft auch mit programmiertem Müll gleichsetzen könnte, ist etwas, was er damals lernte.
Vor 25 bis 30 Jahren sah das völlig anders aus: Filmumsetzungen gehörten einfach dazu, wenn ein neuer Blockbuster startete – Publisher wie Ocean und Acclaim hatten sich sogar richtiggehend darauf spezialisiert, austauschbare Fließbandprodukte mit den aktuellen Kinohelden zu programmieren. Spiele zu "Terminator 2", "Cliffhanger", "Last Action Hero", "Mission: Impossible", und wie die hoch gehandelten Blockbuster alle hießen, waren abschreckende Beispiele für Geldverschwendung und enttäuschte Kinderherzen.
Überraschend gut: Da verwundert es kaum, dass sich bei den meisten Spielefans die Mundwinkel verzwirbelten, als Nintendo und Rare die Umsetzung des damals aktuellen James-Bond-Films "GoldenEye" für das brandneue Nintendo 64 ankündigten. Zumal die vorangegangenen Bond-Umsetzungen für Heimcomputer und Konsolen bis dahin allesamt spielerischer Sondermüll waren – die Lizenz zur Tötung des Spielspaßes sozusagen. Doch was soll das Gerede um den heißen Brei? Ihr wisst es sicher selbst: GoldenEye 007 für das N64 wurde zum Verkaufsschlager und sackte reihenweise Kritikerlob ein.
Der perfekte Konsolen-Shooter?
Durch zahlreiche wohlwollende Artikel in Spielezeitschriften und deren unglaublich realistisch aussehende Screenshots gehypt, stand ich beim örtlichen Importhändler im hessischen Friedberg Gewehr bei Fuß, als GoldenEye passend zum Kinostart von "Der Morgen stirbt nie" erschien. Moment, was? Ja, richtig gelesen: GoldenEye hatte dermaßen mit Verzögerungen in der Entwicklung zu kämpfen, dass das Spiel erst zum nächsten Bond-Film fertig wurde. Und dazu passte der Shooter nicht zu Nintendos familienfreundlichem Image, sodass eine offizielle Veröffentlichung in Deutschland ausgeschlossen war.
Import benötigt: Doch der dadurch etwas teurere Preis, der für das Modul aufgerufen wurde, sollte sich lohnen, denn ich erinnere mich an kaum ein Spiel, das mich ähnlich lange vor die Konsole fesselte. Die Solokampagne wurde bis zur Perfektion gespielt, was durch hilfreiche (Waffenauswahl) wie ulkige (Big Head Mode) Cheats belohnt wurde – ein Motivations-Feature, das ich bei heutigen Spielen ehrlich gesagt schmerzlich vermisse. Kumpel Patrick steigerte sich sogar so hinein, Bestzeiten zu schlagen und an den unmöglichsten Orten nach Geheimgängen zu suchen ("Warum stehen da Reagenzgläser auf dem Lüftungsschacht? Ich rieche einen Geheimgang!"), dass wir ihn nur noch "Der Bond" nannten. Und das bis heute immer wieder tun.
Perfekt für das N64
GoldenEye war seinerzeit perfekt auf den N64-Controller und arcadiges Spielen abgestimmt. Dank gut funktionierender Auto-Aim-Unterstützung fällt der aus heutiger Sicht fehlende zweite Analogstick fürs Umschauen überhaupt nicht ins Gewicht. Man schießt sich leichtfüßig durch die Levels, die thematisch an das Filmvorbild angelehnt sind, nutzt allerlei Bond-Gadgets und erledigt dabei seine Missionsziele.
Besonders cool: Die Feuertaste ist der Z-Trigger, der wie ein Pistolenabzug unterm Analogstick des Dreizack-Controllers platziert ist. Im Deutschland der damaligen Videospiel-Frühzeit übrigens ein äußerst makabres Detail. Waffentraining im Kinderzimmer. Da runzelte sich so manche besorgte Stirn. Doch zum Teil mit der Jugendgefährdung kommen wir gleich noch. Denn man kann nicht über GoldenEye schwadronieren, ohne den Multiplayer-Modus zu erwähnen.
Nachahmer
Es gibt zwei Spiele, die versuchten, vom Ruhm des Klassikers zu profitieren. Electronic Arts veröffentlichte 2004 GoldenEye: Rogue Agent für PlayStation 2, Xbox und GameCube, das bis auf den Titel nichts mit Rares Spiel gemein hat. Darin spielt ihr einen abtrünnigen Agenten, der im 007-Universum den Codenamen GoldenEye erhält.
Der zweite Nachahmer kam von Activision: GoldenEye 007 erschien im Jahr 2010 für Nintendos Wii und wurde später mit dem Zusatz "Reloaded" auch für PS3 und Xbox 360 umgesetzt. Dabei handelt es sich um eine Neuinterpretation der Filmstory, diesmal mit dem digitalen Daniel Craig in der Hauptrolle.
Spaß mit Annäherungsminen
Was hatten wir Spaß, als wir im Vierer-Splitscreen durch die Levels ballerten und um Ecken herum fiese Fallen mit Annäherungsminen bauten, die den Mitspieler*innen um die Ohren flogen. Klar ist der Spaß auf einem Splitscreen immer etwas getrübt, weil man ja nur kurz rüberschauen muss, um zu sehen, was die anderen gerade so treiben.
Lokal immer besser als Online: Aber ich lehne mich mal aus dem Fenster und sage, dass es dennoch deutlich mehr Spaß macht, mit Freunden johlend auf der Couch zu sitzen und sich bei Abschüssen jederzeit einen Ellbogen in die Seite verpassen zu können, als relativ anonym und interaktionslos übers Netz zu zocken. Auch David Doak, einer der Entwickler des Spiels (und als Dr. Doak auch ein NPC) pflichtet mir bei:
Ich hatte nie so viel Spaß beim online Spielen, wie ich ihn mit mehreren Leuten im selben Raum habe.
Schöne Erinnerungen: Besonders lustig waren die Multiplayer-Matches immer auf dem Röhrenfernseher meines Kumpels Seb: Der hatte zwar ein für damalige Verhältnisse riesiges Bild, litt aber unter akuter Kontrastarmut, sodass dunkle Flächen schnell zu einem matschigen, undefinierbaren Brei verschwammen. Es gibt da diese Höhlen-Map, die eh schon ziemlich dunkel ist, aber zusätzlich einen kleinen Tunnel bietet, der noch düsterer ist. Auf besagtem Fernseher verabschiedete man sich in undurchdringliches Schwarz, sobald man diesen Tunnel betrat – perfekt für Minen-Hinterhalte und viel Gelächter.
Hach ja, der Spaß, den wir hatten. Vielleicht sagt ihr jetzt: "Gelächter und Spaß am Erschießen und in die Luft sprengen von Menschen? Das ist aber äußerst problematisch!" Vielleicht sagt ihr das aber auch nicht. Jemand hat es allerdings mit Sicherheit gesagt, denn im März 1998, ein knappes halbes Jahr nach der Veröffentlichung der US-Version von GoldenEye, wurde das Spiel auf den Index für jugendgefährdende Schriften gesetzt. Ja, das hieß damals tatsächlich noch "Schriften", synonym für alle Medien.
Was ist eine Indizierung?
Indiziert werden können alle Medien, die in Deutschland verfügbar sind – egal ob es sich dabei um offiziell veröffentlichte oder importierte Ware handelt. Dieses Jugendverbot hat zwar keine tatsächlichen Auswirkungen auf den Erwerb durch Erwachsene, doch geht damit ein Werbeverbot einher, das schon das öffentliche Anbieten in Geschäften oder auf Internetseiten verbietet.
Weg vom Fenster
GoldenEye 007 ist ein äußerst brutales Spiel, dessen wesentlicher Inhalt in dem detailfreudig gezeigten Töten von Menschen besteht", urteilte die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften (heute "Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz" oder BzKJ) im März 1998 und sprach die Indizierung aus.
Als "Werbung" für ein indiziertes Spiel werden auch (positive) Äußerungen der Presse aufgefasst, und so war ab diesem Zeitpunkt in Spielezeitschriften immer wieder vom "Bond-Shooter" oder gar "Silberauge 64" die Rede, um ja nicht anzuecken. Eine Praxis, die sich schon bei "Moral Kompott" bewährt hatte – na, wer errät, welches Spiel damit wohl gemeint ist?
Indizierungsgrund: Eigentlich kann man der BPjS … BPjM … nein, BzKJ … ach, ihr wisst, was gemeint ist, keinen Strick daraus drehen, auch wenn das oben genannte Zitat den Spielinhalt vielleicht ein wenig zu simpel zusammenfasst. Dass man sich tatsächlich mit dem Spiel auseinandergesetzt hat, beweist aber folgende Passage aus der Indizierungsentscheidung:
Die Aufgaben sind stets gleich gelagert, der Spieler hat einige Rätsel zu lösen, wie zum Beispiel Sicherheitsanlagen auszuschalten, Schlüssel aufzufinden, zu bestimmten Personen Kontakt aufzunehmen beziehungsweise ganz bestimmte Personen zu töten. Auf dem Weg zur Erfüllung dieser Missionen werden dem Spieler diverse Gegner präsentiert, die es allesamt zu liquidieren gilt. Nur das Liquidieren der Gegner versetzt den Spieler in die Lage, Waffen und Munition aufzusammeln, um die Ansprüche, die die verschiedenen Missionen an ihn stellen, erfüllen zu können. [...] Möglichkeiten einer non-aggressiven Konfliktlösung existieren nicht.
Das ist wahr, gleichzeitig allerdings auch das Erfolgsgeheimnis von GoldenEye. Die Spielmechaniken fließen unkompliziert ineinander, das Spiel flutscht, man hat Spaß dabei. Und nun ja, das ist wohl etwas, was man Kindern und Jugendlichen im Zusammenhang mit Tötungshandlungen nicht unbedingt haben lassen sollte.
Doch nun wurde das Spiel vom Index gestrichen: Nicht nach Ablauf der 25-Jahresfrist, sondern wohlgemerkt auf Antrag. Da so etwas nur durch den aktuellen Rechteinhaber in die Wege geleitet werden kann, ist nun Rätselraten angesagt, ob Nintendo GoldenEye wohl im Zuge des erweiterten Online-Services auf die Switch bringt. Und ob das vielleicht auch bedeuten könnte, dass Microsoft das seinerzeit für die Xbox 360 beinahe fertiggestellte Remaster doch noch veröffentlichen wird. Die Rechte sind durch Microsofts Aufkauf des Entwicklerstudios Rare nämlich zwischen den beiden Firmen aufgeteilt, was eine Veröffentlichung von beiderseitigem Einverständnis abhängig macht.
Das Xbox-Remaster
Im Jahr 2008 arbeitete Entwickler Rare im Auftrag von Microsoft an einem Remaster des Klassikers. Das Spiel sollte im Rahmen der Xbox Live Arcade für die Xbox 360 erscheinen und ähnlich der Halo-Remaster einen Echtzeitwechsel zwischen verschwommener N64-Grafik und überarbeiteter HD-Optik erlauben. Das Projekt scheiterte jedoch an der Zustimmung Nintendos und wurde kurz vor Erreichen des Gold-Status beendet. Im sogenannten "Partner Net", einem Testumfeld für Xbox-Live-Funktionen, zu dem freigeschaltete Konsolen (auch der Fachpresse) Zugang hatten, war es allerdings kurz verfügbar. Eine so gut wie fertiggestellte Version wurde Anfang 2021 aus unbekannter Quelle ins Netz geleakt und ist auf modifizierten Xbox-Konsolen spielbar.
Bond, der Evergreen?
So schön es auch wäre, den N64-Klassiker endlich wieder verfügbar zu haben – das N64-Modul war die bislang einzige Veröffentlichung –, muss man sich zwangsläufig die Frage stellen: Wie gut ist das Spiel eigentlich heute noch? In den letzten 23 Jahren hat sich schließlich so einiges getan in der Spielewelt, und gerade Spiele der ersten Konsolengeneration mit 3D-Grafik muten heutzutage doch meist primitiv und spaßbefreit an. Das trifft natürlich auch auf GoldenEye zu.
Grafik heute noch annehmbar? Das Spiel konnte sich vor allem dank seiner damals äußerst realistischen Motion-Capture-Technik, die mit detaillierten Todesanimationen auch ihren Teil zur Indizierung beitrug, vom Rest des Action-Angebots abheben. Heute entlockt einem die unscharfe, blockige Optik allerdings nicht mal mehr ein Achselzucken. So ist das nun mal mit der 3D-Grafik. Sie altert im Gegensatz zu schön gezeichneten 2D-Werken extrem schlecht.
Der rein spielerische Teil hat sich hingegen gut gehalten: Die Mischung aus ballern und Missionspunkte abhaken funktioniert dank seiner arcadig-simplen Art immer noch gut. Allerdings braucht es wohl dennoch eine ordentliche Portion Nostalgie, um wirklich Spaß zu haben. Selbst eine typische Call-of-Duty-Kampagne ist spielerisch komplexer als GoldenEye. Hätte man "Silberauge 64" Ende der 90er-Jahre einem Zwölfjährigen gezeigt, wäre der wohl ausgerastet. Heute dürfte die Reaktion ein gleichgültiges Schulterzucken sein, bevor wieder aufs Handy gestarrt wird.
Seid ihr Team GoldenEye und freut euch über die aufgehobene Indexierung oder gab es für euch schon immer andere Shooter, die mehr in eurer Gunst stehen?
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