Als ich auf der E3 2004 am Sony-Stand die Demo zu einem neuen Actionspiel sah, war mein Interesse geweckt – auch wenn die GamePro-Chefredaktion damals keinen Artikel dazu machen wollte, weil dieses obskure Spiel mit dem grimmigen Griechen sicher keinen interessieren würde. Knapp ein Jahr später wurde God of War weltweit gefeiert, und ich sah mich endlich in meinem E3-Gefühl bestätigt, etwas Besonderes gesehen zu haben.
Der unsympathische Kratos war mir auf Anhieb sympathisch. Warum? Keine Ahnung! Es lag vielleicht daran, dass er generell eine finstere Einstellung gegenüber allem hatte, und statt zu quatschen lieber Körperteile abschnetzelte. Es mag auch an meiner seit Kindestagen durch billige italienische "Herkules"-Filme geprägten Faszination für die griechische Mythologie gelegen haben. Oder war es die unwiderstehliche Kombination von beidem mit einem Schuss Heavy-Metal-Mentalität?
Egal, ich liebte das arcadige Gameplay von God of War. Und God of War 2. Und God of War 3 … sogar Ascension konnte ich was abgewinnen, obwohl sich hier schon Ermüdungserscheinungen einstellten.
Huch, wo ist mein Kriegsgott hin?
Als Sony die Reihe dann 2018 mit dem Reboot umkrempeln wollte, war ich zwar skeptisch, freute mich aber dennoch wie ein Schnitzel (oder sollte ich sagen "wie ein Gyros"?) darauf. Was mir zuerst auffiel: Das Spieltempo war nun deutlich gemächlicher. Die faszinierende, schnelle Arcade-Action der Vorgänger wich den trägeren Spielmechaniken gängiger Action-Adventures. Die Over-the-top-Splatter-Einlagen und gewaltigen Set pieces, die mir zuvor ein ums andere Mal ein breites Grinsen ins Gesicht schlitzten, musste ich mit der Lupe suchen.
Und auch Kratos selbst war plötzlich nicht mehr der auf Krawall gebürstete Drecksack mit der ungezügelten Wut im Bauch. Sondern eher ein mürrischer Trauerkloß, der die Chaosklingen an den Nagel gehängt hatte und nach dem Göttergemetzel der Vorgänger im hohen Norden einen neuen Anfang machen wollte.
Dennoch klemmte ich mich dahinter, wollte das neue God of War unbedingt positiv sehen. Aber so sehr ich mich anstrengte, ich wurde mir immer mehr bewusst, dass das nicht mehr der Kratos war, mit dem ich mich so eindrucksvoll durch das griechische Götterpantheon gemeuchelt hatte.
Tatsächlich hatte ich den Eindruck, dass die Macher*innen – allen voran Game Director Cory Barlog – sich für die vorigen Spiele und deren Hauptcharakter zu schämen schienen. Ja, man kann die ersten Teile als peinlich pubertäre Gewaltexzesse mit einer noch peinlicheren Portion Sexismus obendrauf sehen. "Toxic Masculinity: The Game". Aber man kann auch einfach das Hirn abschalten, kein unnötiges Zeug hineininterpretieren und sie als das nehmen, was sie sind: Fantastische Actionspiele für ein erwachsenes Publikum, die nicht umsonst unzählige Nachahmer gefunden haben. Sich davon einfach grandios unterhalten lassen.
Und plötzlich hat es Klick gemacht
Als ich mit Kratos und Atreus dann den Berg erklommen hatte, auf dem die Asche seiner verstorbenen Frau verstreut werden sollte, machte es Klick. Im wahrsten Sinn des Wortes, denn ich schaltete die Konsole aus. Als Mimir sagte, dass das ja gar nicht der höchste Gipfel sei und man einen anderen Berg suchen müsse, hatte ich schließlich die Schnauze voll.
Ich habe das Spiel seitdem nicht mehr angefasst. Das war einfach der Punkt, an dem ich mich nicht weiter durchquälen wollte. Es gab so viele spannendere Dinge zu tun. Staubsaugen, Comicsammlung neu sortieren, Blu-rays alphabetisch ordnen. Warum sollte ich mir da einreden, Spaß mit einem Spiel zu haben, das mir offensichtlich keinen Spaß machte?
Für mich ist im Reboot nicht nur die Essenz des wunderbaren Wüterichs Kratos verloren gegangen, sondern die komplette Essenz der Spielereihe. Da ist ein plötzlicher, unvermittelter Bruch zu den Vorgängern, über den ich einfach nicht hinweg komme. Es ist beinahe, als habe man eine komplett andere IP genommen und ihr einen God-of-War-Anstrich verpasst.
Mehr God of War auf GamePro:
- God of War Ragnarök im (spoilerfreien) Test - Einfach nur göttlich!
- 7 Spiele, die keine Angst vor God of War Ragnarök haben
Je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr bin ich sogar davon überzeugt: Das ist nicht God of War, sondern eigentlich etwas völlig anderes. Ungefähr so wie sich diese CGI-Serie auf Netflix "He-Man and the Masters of the Universe" nennt, aber eigentlich etwas ganz anderes ist.
Man begibt sich mit dem bekannten Namen auf die Suche nach einem neuen Publikum. Und dass ich nicht Teil dieses neuen Publikums bin, wurde mir gerade wieder bewusst, als ich Wochen vor Release God of War: Ragnarök installierte, eine halbe Stunde damit verbrachte und es mit einem Schulterzucken wieder ausschaltete.
Es gibt Menschen, die wahrscheinlich dafür getötet hätten, schon so früh loslegen zu können, und ich gönne ihnen die Faszination für die Neuausrichtung der Reihe. Doch alles, was ich dafür übrig habe, ist ein "Meh". Aber hey, es ist nicht alles verloren. Ich habe schließlich die alten Spiele immer noch in der Sammlung. Die nimmt mir keiner weg. Genauso wenig wie ich den neuen Fans ihren (zugänglicheren?) Neo-Kratos wegnehmen kann oder möchte.
Gibt es unter euch auch Fans der alten Reihe, die sich diesen Kratos zurückwünschen? Oder seid ihr mit der Neuausrichtung glücklicher?
Nur angemeldete Benutzer können kommentieren und bewerten.
Dein Kommentar wurde nicht gespeichert. Dies kann folgende Ursachen haben:
1. Der Kommentar ist länger als 4000 Zeichen.
2. Du hast versucht, einen Kommentar innerhalb der 10-Sekunden-Schreibsperre zu senden.
3. Dein Kommentar wurde als Spam identifiziert. Bitte beachte unsere Richtlinien zum Erstellen von Kommentaren.
4. Du verfügst nicht über die nötigen Schreibrechte bzw. wurdest gebannt.
Bei Fragen oder Problemen nutze bitte das Kontakt-Formular.
Nur angemeldete Benutzer können kommentieren und bewerten.
Nur angemeldete Plus-Mitglieder können Plus-Inhalte kommentieren und bewerten.