Schon Mary Poppins, wohl den wenigsten als Vorreiterin des heutigen Gamification-Trends bekannt, sagte "In jeder Arbeit, die erledigt werden muss, steckt ein gewisses Maß an Spaß". Und bestimmt hat es fast jeder schon einmal erlebt, dass Arbeit auch Spaß machen kann. Man hat das Gefühl eine Aufgabe meistern zu können, Dinge zu erledigen & vorwärts zu kommen. In der Psychologie bezeichnen wir das auch als Selbstwirksamkeitserleben.
Videospiele geben uns dieses Gefühl in besonders ausgeprägtem Maße: Wir metzeln uns durch riesige Monsterhorden als wäre es nichts, erkunden rennend riesige Fantasiewelten, erhalten massenweise Beute - und das alles ohne einen Tropfen Schweiß auf der Stirn. Auch in Ring Fit Adventure gibt es eine Fantasiewelt, Monster und Beute, die Stirn bleibt dabei aber alles andere als Trocken. Warum funktioniert es als Videospiel trotzdem und was gibt uns das Gefühl selbstwirksam zu sein?
Hinweis: Dieser Artikel erschien ursprünglich im August 2021. Da er unsere Themenwoche 'Gesundheit', die auf GamePro vom 5. bis 11. August 2024 stattfindet, gut ergänzt, haben wir das zum Anlass genommen, euch den Artikel nochmal vorzustellen.
Die Sache mit den Verstärkern
Psychologisch betrachtet sind Schadenszahlen, Level, Loot und Punktzahlen kleine Belohnungen, sogenannte "Verstärkerreize". Sie geben uns das Gefühl, dass das, was wir gerade tun, gut für uns ist und Spaß macht. Unser Belohnungssystem unterscheidet dabei jedoch zwischen kurzfristigen und langfristigen Verstärkern. Kurzfristig ist dabei alles, was im Rahmen von wenigen Sekunden passiert, wie kritische Treffer oder Loot.
Mittel- und langfristige Verstärker sind beispielsweise das Freischalten neuer Spielmechaniken oder Fortschritt in der Geschichte. Videospiele sind optimalerweise so gestaltet, dass sie sowohl zahlreiche kurzfristige als auch langfristige Verstärker bieten, und dabei - von einigen Ausnahmen abgesehen - wenig anstrengend oder unangenehm sind.
Allerdings ist das Leben ja (leider) kein Videospiel: Bei den Themen Lernen, Arbeit oder körperliche Anstrengung strebt der Spaßfaktor überwiegend gegen 0. Insbesondere sportliche Aktivitäten wie Joggen gehen brauchen extreme Überwindung, um überhaupt zu beginnen. Woran liegt es, dass wir uns fast jederzeit bereit fühlen ein Videospiel zu spielen aber nicht Sport zu machen? Und wie macht es uns Ring Fit Adventure leichter?
Die Leiden des jungen Sportanfängers
Unsere Motivation und unser Verhalten wird die meiste Zeit über von kurzfristigen Konsequenzen beziehungsweise Verstärkern gesteuert. Dummerweise, muss man dazu sagen, denn nicht alles was kurzfristig motivierend ist, ist langfristig gut und nicht alles was langfristig gut für uns ist, ist kurzfristig motivierend.
Weniger Reize bei Sport: Sportliche Aktivitäten, die hauptsächlich dem Aufbau von Fitness dienen, sind zwar aufgrund der vielen positiven Effekte auf Psyche und Körper langfristig gut für uns, reizen uns aber leider sehr viel weniger als auf der Couch zu sitzen oder was fettiges zu Essen. Das Problem hierbei ist, dass das kurzfristige Verstärkerverhältnis unausgeglichen ist: Es gibt wenig Angenehmes (z.B. Spaß) und viel Unangenehmes (z.B. Anstrengung, Schmerz, Erschöpfung) bei dieser Art von Sport.
Wie kann man also diesen oft unüberwindbar scheinenden Graben zwischen dem Wunsch nach den gesundheitlichen Vorteilen von Sportlichkeit und der unangenehmen Natur von körperlicher Aktivität überwinden? Reichen Damagezahlen und Kämpfe mit den süßen Monstern wie in Ring Fit Adventure?
Da gibt's doch was von Gamification…
Die spielerische Gestaltung von sportlicher Aktivität ist auch im Videospielbereich schon länger kein Novum mehr: Seit Anfang der 2000er versüßen uns Sportspiele wie Wii Sports oder Tanzspiele wie Dance Dance Revolution und Just Dance die körperliche Aktivität. Diese sehr populären Sportsimulationen, transportieren dabei aber hauptsächlich Aktivitäten in den Videospielbereich, die ohnehin schon Spaß machen, wie Tanzen oder Baseball.
Mit Wii Fit hingegen hat Nintendo sich erstmals und einigermaßen erfolgreich an der Gamification von primär anstrengenden Tätigkeiten, wie Muskelaufbauübungen und Yogahaltungen versucht, bevor sie mit Ring Fit Adventure 2019 das sogenannte Fitnessspiel-Genre und damit die Gamification von sportlichen Übungen auf die nächste Stufe hoben. Aber wie funktioniert Gamification und durch welche welche Designelemente zeichnet es sich aus?
Mit Punkten, Abzeichen und Ranglisten zum Hamster im Rad werden?
Das Problem mit dem Mangel an kurzfristigen Verstärkern versucht Gamification mit dem Designelement der Punkte, Abzeichen und Ranglisten zu lösen. Wenn ich eine Übung durchführe werde ich sofort mit Punkten belohnt und mache Fortschritt. Hierdurch ist dem kurzfristigen unangenehmen Reiz der Anstrengung noch das belohnende Gefühl der Punkte entgegengesetzt. Das verbessert das kurzfristige Verstärkerverhältnis und lässt selbst anstrengende Aktivitäten etwas erträglicher erscheinen.
Zusätzlich kann ich dann durch eine bestimmte Anzahl von Wiederholung der Übungen auf mittel- und langfristige Ziele in Form von Abzeichen hinarbeiten und mich im Vergleich mit anderen Spielern messen und im sozialen Vergleich besser fühlen.
Ganz so einfach ist es dann doch nicht…
Die Motivation für anstrengende Aktivitäten kann damit zwar gesteigert werden, allerdings nur kurzfristig. Um Spieler langfristig bei der Stange zu halten gehört etwas mehr dazu, denn auch Videospiele, die Vorbilder von Gamification, bestehen ja nicht nur aus Punkten und Zahlen.
Jolina Bering
Jolina war schon immer relativ sportbegeistert und hat von Badminton über Klettern bis hin zu Muay Thai schon alles Mögliche ausprobiert. Mit dem Ausfallen aller Vereinsaktivitäten aufgrund der Pandemie fand sie in Ring Fit Adventure ein neues Sportabenteuer, in das sie sich stürzen konnte. Nach einiger anfänglicher Skepsis hat sie Ring Fit Adventure für sich als einen guten Einstieg nach längeren Sportpausen entdeckt.
Ideen aus der Videospielwelt: Weitere wichtige Elemente sind dabei unter anderem eine gut erzählte Geschichte und eine visuell ansprechend gestaltete Spielwelt. Auch Levelsysteme helfen uns Fortschritt spürbar zu machen, und bieten durch Erfahrungspunkte kurzfristige Verstärker. Das Erreichen von Leveln ist dabei mittel- und langfristiges Ziel und Belohnung zugleich, da höhere Level oftmals mit höheren Statuswerten und neuen Fähigkeiten einhergehen.
Ein weiterer Punkt der zu einer höheren Identifikation mit den Spielinhalten, und damit zu höherer Motivation führt, ist die Personalisierung. Seien es Namen, Aussehen oder die Art wie wir das Spiel spielen. All diese Dinge geben uns Kontrolle und Handlungsspielraum und tragen dazu bei, dass wir interessiert und neugierig sind und bleiben. Nachdem wir jetzt einen tiefen Blick in die Gamification-Trickkiste geworfen haben, schauen wir uns doch einmal an, wie das in Ring Fit Adventure umgesetzt ist.
Ring Fit Adventure - Ein Gamification-Meisterwerk?
Ring Fit Adventure macht gleich am Anfang vieles richtig, um das Interesse zu wecken und über den Graben der Unlust hinwegzuhelfen: Man kann seinen Charakter geringfügig personalisieren (Aussehen & Namen) und rutscht dann direkt als Protagonist*in in eine klassische "Ich muss die Welt vor dem Untergang bewahren"-Story. Die Welt wird aber auch durch andere Charaktere und Monster, die aussehen als hätte man ein Pokémon mit einem Trainingsgerät gekreuzt, mit Leben gefüllt. All dies trägt dazu bei, dass es sich nicht nur wie eine Fitnessübung mit netter Verpackung, sondern doch eher wie ein Videospiel anfühlt.
Wir werden quasi eins mit unserem Avatar und bewegen mit jedem Schritt auf der Stelle auch die Beine unserer Figur, stemmen mit unserer Bizepskraft Tore auf und verprügeln Monster. Das trägt enorm zur Identifikation mit dem Spielgeschehen bei und gibt uns eine dicke Packung Selbstwirksamkeitserleben. Apropos Monster: Übungssequenzen werden einem ansprechend als rundenbasierte Kämpfe gegen Monster verkauft. Hierdurch hat man nicht nur einen Story-Rahmen für die Übungen, sondern wird durch Schadenszahlen, Erfahrungspunkte und Münzen direkt belohnt.
Belohnungen: Es gibt am Ende einer Trainingssitzung außerdem Auszeichnungen dafür, wenn man Übungen in bestimmter Häufigkeit wiederholt hat und es gibt Ranglisten, bei denen man sich mit anderen Spielern vergleichen kann. All diese Faktoren helfen sehr gut, von der körperlichen Anstrengung abzulenken, ein "belohnendes" Spielerlebnis zu gestalten und einem das Gefühl von Fortschritt zu geben, wie man es beim Joggen gehen sonst vielleicht nicht hätte.
Ring Fit Adventure bietet aber neben den notwendigen kurzfristigen Verstärkern auch viele Mittel, die zu einer längerfristigen Motivation beitragen: Es gibt neben der zwar eher simplen aber unterhaltsam dargestellten Geschichte auch noch Equipment zu sammeln, Level zu erreichen und neue Fähigkeiten freizuschalten. Ein weiterer wichtiger Faktor ist die Personalisierung: Durch die flexible Anpassung der Übungen vor jedem Kampf und die verschiedenen Spielmodi (Story, Trainingsplan, Rhythmusspiel) hat man die Möglichkeit, das Training an die eigenen Bedürfnisse anzupassen. Das macht Ring Fit Adventure zu einem Schweizer Taschenmesser des Heimtrainings.
Der endgültige Tod des inneren Schweinehunds?
Hat Nintendo es also geschafft, sportliche Aktivität perfekt zu "gamifizieren"? Perfekt nicht ganz, aber es ist wohl designtechnisch das beste Fitnessspiel, was es bisher gegeben hat, da es wesentlich mehr Spieltiefe, Story und Personalisierung und dadurch auch langfristige Verstärker bietet, als andere Spiele dieses Genres. Dennoch gehen einem die immer gleiche Soundkulisse, das sehr ähnliche Level-Design, und die schon sehr flache Story und Charaktertiefe irgendwann auf den Keks. Dennoch lohnt es sich, weil es durch die kurz- und mittelfristigen Anreize dafür sorgen kann mit Sport und Bewegung anzufangen oder wieder anzufangen und ein gewisses Fitness-Level herzustellen. Es tut also genau, was es soll: unseren Hintern hochkriegen.
Was ist eure Erfahrung mit Ring Fit Adventure und was hilft euch, für sportliche Aktivität zu motivieren?
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