Far Cry 6 - Ubisofts Angst vor Kuba-Vergleichen gefährdet die Story

Far Cry 6 wird die politische Geschichte einer fiktiven Revolution erzählen – das gibt sogar Ubisoft offen zu. Leider möchte es keinen Kommentar über das Land abgeben, das als Inspiration diente. Ein Fehler, findet unser Autor Erik Körner.

Far Cry 6 ist politisch und hat sich deutlich von Kuba inspirieren lassen. Trotzdem möchte es das Land nicht kommentieren. Far Cry 6 ist politisch und hat sich deutlich von Kuba inspirieren lassen. Trotzdem möchte es das Land nicht kommentieren.

Lang behauptete Ubisoft, ihre Spiele seien unpolitisch. Und das, obwohl Titel wie The Division, Far Cry 5 oder Ghost Recon: Wildlands unmissverständliche politischen Symbole und Themen enthalten. Jetzt scheint es einen Sinneswandel zu geben.

"Unsere Geschichte ist politisch, wie jede Geschichte über eine moderne Revolution sein sollte", sagt Navid Khavari, Narrative Director von Far Cry 6. Der Titel soll etwa die Ursachen faschistischer Regimes, den Imperialismus, freie Wahlen oder die Rechte von LGBTQIA+ Personen behandeln. All das passiert auf dem fiktiven Inselstaat Yara. Doch ausgerechnet die Inspiration für die Insel, Kuba, möchte Far Cry 6 nicht kommentieren. Ein Fehler, da Spiele mit politischen Botschaften reale Schauplätze nicht bloß als Tapete nutzen sollten.

Far Cry 6 - Gameplay Deep Dive stellt uns die Neuerungen genauer vor Video starten 4:44 Far Cry 6 - Gameplay Deep Dive stellt uns die Neuerungen genauer vor

Kuba ist komplex, aber das war auch vorher klar

Dass Far Cry 6 zu Kuba schweigen möchte, ist mit Blick auf seine Entwicklung merkwürdig. Khavaris Team sprach mit kubanischen Guerillakämpfer*innen aus den 1950er und 60er Jahren, um ein akkurates Bild für die Grundlage ihrer fiktiven Revolution zu erhalten. Sie recherchierten auch zur Kultur und Geschichte anderer Länder, in denen ebenfalls politische Revolutionen stattfanden.

Was heißt Guerilla?

Laut der Bundeszentrale für politische Bildung bezieht sich der Begriff "guerilla" (Spanisch: kleiner Krieg) auf kleine einheimische Kämpfer*innengruppen, die gegen fremde Armeen oder die eigene Regierung kämpfen. Durch den Mangel an militärischer Ausbildung oder Militärtechnologie setzen sie auf schnelle Angriffe aus dem Hinterhalt in Kleingruppen. Ein Beispiel für einen erfolgreichen Guerillakrieg ist die Kubanische Revolution

Kuba war also nicht die einzige Inspiration für Yara, aber höchstwahrscheinlich die ausschlaggebendste. Sämtliche Trailer von Far Cry 6 zeigen Yara als einen karibischen Inselstaat, der deutlich an Kuba erinnert. Und während des Summer Game Fest meinte Schauspieler Giancarlo Esposito, er habe sich primär an Fidel Castro, ehemaliger Präsident Kubas, orientiert, um sich auf seine Rolle als Far Cry 6-Diktator Antón Castillo vorzubereiten.

Darum möchte Far Cry 6 keinen Kommentar über Kuba abgeben

"Wir haben realisiert, dass Kuba eine komplizierte Insel ist", so Khavari. Was mit "kompliziert" gemeint ist, lässt er offen. Hinsichtlich der Revolutionsgeschichte von Far Cry 6 bezieht er sich aber wahrscheinlich auf die Kubanische Revolution und die Kubakrise, die nur drei Jahre später folgte.

Die Ursachen, der Verlauf und die Folgen dieser Ereignisse sind derart vielschichtig, dass sie ganze Bücher füllen konnten. Als Medien- und Kunstschaffende haben Khavari samt Team die Pflicht, solche Dinge im Vorfeld gründlich zu recherchieren, gerade weil sich Far Cry 6 an einem realen Ort orientiert. Kubas Komplexität hätte folglich nicht erst nach dem Landesbesuch auffallen sollen.

Dass Far Cry 6 hauptsächlich von Kuba inspiriert wurde, ist offensichtlich. Dass Far Cry 6 hauptsächlich von Kuba inspiriert wurde, ist offensichtlich.

Vor allem nicht, weil sich Ubisoft mit einem diversen, internationalen Team rühmt. Das hat sicherlich einige Mitglieder, die in der Karibik aufgewachsen sind (oder deren Familien von dort stammen) und die im Vorfeld auf die "komplizierte" Vergangenheit Kubas hätten hinweisen können. Dass sich Far Cry 6 dann ausgerechnet an Themen wie Faschismus, Imperialismus oder Zwangsarbeit probieren will, die ebenfalls komplex sind, widerspricht Khavaris Aussage.

Far Cry 6 möchte nicht vereinfacht kommentieren

Die Komplexität ist jedoch nicht der einzige Grund für den ausbleibenden Kommentar über Kuba. Khavari meint, Far Cry 6 möchte außerdem "kein vereinfachtes, binäres politisches Statement abgeben." Vermeiden will er das, weil er aus einer Familie stammt, die "die Konsequenzen einer Revolution ertragen musste." Zwar erwähnt Khavari nicht, welche Revolution er meint, laut Polygon handle es sich aber um die Iranische Revolution im Jahr 1979, die zum Ende der Monarchie im Iran führte.

Hierin liegt ein wichtiger Unterschied zur Behauptung, Kuba sei lediglich zu komplex. Die Aussage impliziert, Far Cry 6 könne Kuba ausschließlich auf eine von zwei Arten kommentieren: Einfach und binär oder eben gar nicht. Ich frage mich, wie Khavari zu dem (ironischerweise) binären Schluss kommt.

Erik Körner
@snoopykoira
Es ist doch zum Haare raufen, hätte ich sie mir nicht abrasiert. Ich habe auf Twitter gelesen, Ubisoft bekennt sich endlich zur Politik in ihren Spielen, und dann wird das Ergebnis wohl doch nur halbgar. Zumindest hoffe ich, dass sich jetzt mehr Studios trauen, offen und vor allem ehrlich über die politischen Elemente in ihren Games zu sprechen.

Die Recherche seines Teams vor Ort scheint personennah und gründlich gewesen zu sein. Sie sollen sogar mit Expert*innen gesprochen haben, die überprüft haben, ob die Geschichte des Spiels sensibel erzählt sei. Dabei hätten die Expert*innen "vereinfachte, binäre" Statements korrigieren können, die trotz der Recherche ihren Weg ins Skript gefunden haben. Deshalb finde ich auch diese Entschuldigung fragwürdig.

So fällt mir nur ein Grund ein, warum Far Cry 6 lieber nichts über Kuba sagt: Ubisoft hatte vermutlich Angst vor den Konsequenzen einer konkreten politischen Aussage. Die hätte wahrscheinlich Kund*innen abgeschreckt, die ihr widersprechen - oder bei einer besonders misslungenen Darstellung Kubas zu negativen Schlagzeilen geführt. Zumindest aus wirtschaftlicher Sicht ergäbe das Nichtssagen also Sinn. Es wird aber der Geschichte von Far Cry 6 schaden, was sein Vorgänger beweist, an dem Khavari bereits als Writer arbeitete.

Far Cry 5 hat seine politischen Themen ignoriert. Dadurch war die Handlung belanglos. Far Cry 5 hat seine politischen Themen ignoriert. Dadurch war die Handlung belanglos.

Im Mittelpunkt von Far Cry 5 steht eine extrem rechte, christlich-fundamentalistische Waffenmiliz im US-amerikanischen Montana. Ideale Voraussetzungen also für eine Auseinandersetzung mit Waffenfetischismus, den Ursachen von Radikalisierung oder religiösem Extremismus - alles konkrete Probleme der politischen Landschaft der USA. Doch darüber schweigt der Titel. "Far Cry 5 ist absurd apolitisch. Es hat… einfach nichts [über seine Themen] zu sagen, absolut gar nichts", resümiert Journalist Paul Tassi. Das Spiel nutzt seine politisch aufgeladenen Bilder also nur als Dekoration. Das Ergebnis: Eine belanglose Handlung, die weit unter ihrem Potenzial bleibt.

Das Potenzial wäre da gewesen

Zugegeben, vielleicht wird Far Cry 6 kein ähnlich grober Schnitzer passieren. Immerhin möchte es zumindest irgendwas über politische Themen sagen, soviel wissen wir dank Khavari bereits. Das freut mich grundsätzlich, weil ich mehr Videospiele sehen möchte, die sich an Themen wie den Ursachen faschistischer Regimes oder den Rechten von LGBTQIA+ Personen versuchen. Zumal ich denke, als Kulturgut sollen und dürfen sich Games nicht davor scheuen.

Außerdem war Ubisofts Bekenntnis zur Politik in ihren Spielen längst nötig. Zu lang hieß es, Spiele seien hauptsächlich Unterhaltungsprodukte, die keine politische Aussage treffen müssen, wobei sich die Politik in Titeln wie Ghost Recon: Wildlands oder The Division unmöglich wegdiskutieren lässt. Ersteres stellte Bolivien als "Umschlagplatz für Drogenkartelle" dar (und löste damit eine diplomatische Krise aus), zweiteres versetzt uns in die Rolle von Agent*innen, die via Waffeneinsatz Recht und Ordnung in einem Manhattan wahren sollen, das nach der Drohung einer biologischen Terrorattacke vor dem Zusammenbruch der Demokratie steht.

Bitte weitergehen, hier gibt es keine Politik zu sehen. Zumindest behauptete Ubisoft das über The Division. Bitte weitergehen, hier gibt es keine Politik zu sehen. Zumindest behauptete Ubisoft das über The Division.

Überhaupt ist der Gedanke nicht haltbar, gerade Shooter seien unpolitisch. Die Call of Duty-Reihe hatte zum Beispiel in der Vergangenheit militärische Berater, stellte reale militärische Einsätze wie den "Highway of Death" bewusst falsch dar oder verbreitete letztes Jahr in einem Trailer rechte Verschwörungsmythen ohne Einordnung.

Dann am Mythos vom "unpolitischen Spiel" festzuhalten bedeutet, solche Dinge unkommentiert stehen zu lassen und befreit Studios davon, die Verantwortung für die politischen Inhalte ihrer Spiele zu tragen. Auch bekräftigt das diejenigen, die ihre Abneigung gegen progressive Spiele hinter der Phrase "keep politics out of my games" verstecken.

Bei all dem Fortschritt finde ich den Weg bedauerlich, den Far Cry 6 wohl einschlagen wird. Dem Titel scheint der Mut zu fehlen, noch den letzten Schritt zu gehen und seine Themen im konkreten Kontext des realen Kubas einzuordnen. Das Potenzial dafür jedenfalls vorhanden. So scheint es, als sei Yara vor allem eins: eine Tapete. Eine visuell ansprechende Tapete mit politischem Muster, aber dennoch eine Tapete.

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