The Elder Scrolls und Fallout: Die Bethesda-Rollenspiele waren für mich schon immer etwas ganz Besonderes. Neben den schier gigantischen Spielwelten, die in Sachen Dynamik und Glaubwürdigkeit ihresgleichen suchen und somit das wohl offensichtlichste Verkaufsargument der Open-World-Schöpfungen sind, ist es auch ihre Erzählweise, die mich in ihren Bann schlägt. Dies mag den einen oder anderen nun direkt an meiner Kompetenz zweifeln lassen, ist es doch gerade die Erzählweise, für die bislang jeder Ableger der Riege stark kritisiert wurde.
Schwache, rudimentäre Inszenierung und eine Haupthandlung, die nur allzu leicht ihren Spannungsbogen verliert und im Wust der Nebenquests untergeht, heißt es da immer wieder. Und diese Kritik ist durchaus berechtigt, wenn man die Haupt-Questreihe des Spiels wirklich als das betrachtet, was erzählt werden und anhand dessen man die Qualität der Erzählung messen soll. Ist es aber – zumindest für mich – nicht.
Der Autor
Julius Busch (24) steht für unseren Youtube-Channel Toykyo hinter der Kamera und wurde im übertragenen Sinne mit dem Gamepad in der Hand geboren. Als Filmstudent mit Bachelor-Thesis zum Thema »Dramaturgie in Videospielen« beschäftigt er sich ausgiebig mit dem erzählerischen Potenzial unseres Lieblingsmediums.
In seiner Freizeit schreibt er selber gern und war schon bei einigen Filmprojekten für das Drehbuch verantwortlich. Sein großes Ziel ist es jedoch, eines Tages mal bei einem Videospiel als Autor mitzuwirken. Für ihn gibt es nur wenige Dinge, die so mitreißend sein können wie eine gute Geschichte. Wer mehr von ihm lesen möchte, findet auf GameStar.de auch seine Meinung über die Open-World-Krankheit von Dragon Age: Inquisition.
Das Sandkasten-Prinzip
Für mich ist es vielmehr die Spielwelt an sich, die den erzählerischen Wert eines Bethesda-Spiels ausmacht. Ich bekomme nicht wie bei lineareren Titeln eine fertige Handlung präsentiert, ich bekomme ein hochkomplexes, dynamisches System, innerhalb dessen Möglichkeiten ich mithilfe meiner Fantasie und den mir gegebenen Werkzeugen eine eigene Narrative erschaffen kann. Hochkomplex, weil ich als Spieler mit so gut wie keinen narrativen Einschränkungen zu rechnen habe.
Möchte ich einem schutzlosen Dorf nicht wie eigentlich von der Narrative suggeriert helfen, sondern lieber jeden einzelnen Bewohner töten und anschließend alles ausrauben, so kann ich das tun - und zwar einfach so, ohne das entsprechende Gameplay-Segment mittels bestimmter Auslöser (z. B. Dialogen mit einem NPC) erst freischalten zu müssen. Ich kann einfach meine Waffe ziehen und losballern, das dynamische System passt die Spielwelt sofort an mein Handeln an und generiert Reaktionen der zahlreichen NPCs, die beispielsweise zurückballern oder weglaufen.
Natürlich ist die Inszenierung dabei mau. Ich bekomme keine Szene, wie der Dorfälteste flehend vor mir kniet, ich möge seine Kinder verschonen und mir dafür den Schlüssel zur geheimen Schatzkammer verspricht. Solche Geschichten schreibt meine Fantasie, während ich mit dem System interagiere. Das ist wie damals beim Lego spielen oder im Sandkasten. Daher nennen wir dieses Prinzip auch das »Sandkasten-Prinzip«. Nur dass Bethesdas Sandkästen meiner Fantasie inszenatorisch deutlich mehr unter die Arme greifen als damals die Playmobil-Burg.
Die Bethesda-Spiele ermöglichen es mir, ihre Spielwelt durch meine eigenen Augen zu betrachten. Immer und überall. Es gibt keine Zwischensequenzen, keine Schnitte, nichts was mich aus dem Körper meines Charakters herauszieht und mir sagt: »Du bist das nicht, es ist nur ein Videospiel. Und alles was du tust ist Sklave des Programmcodes.« Ich steuere jeden Blick meines Protagonisten selber, ich BIN der Protagonist.
Diese absolute Konsequenz in der Inszenierung, größtenteils genau auf eben jene zu verzichten, ist der Schlüssel zur Faszination, die ich für Bethesdas Erzählweise empfinde. Kein anderer Spiele-Entwickler schafft es, die Illusion der uneingeschränkten Möglichkeiten so überzeugend aufrecht zu erhalten, die zwangsläufig irgendwo vorhandenen Grenzen des Codes so meisterhaft zu verschleiern.
Und eben weil so viel geht und die KI auf so viele verschiedene Variablen und Verhaltensweisen des Spielers reagieren können muss, ist es kein Wunder, dass diese Reaktion inszenatorisch oft zu wünschen übrig lässt oder schlichtweg skurril wirkt. Unsere Fantasie muss helfen, die Illusion perfekt zu machen. Wer Bethesda-Spiele genießen will, muss sagen: »Ich will, dass ihr mir was vormacht. Ich will an diese Illusion glauben!«
Danke fürs Anderssein:Fallout 4 ist eigen - und das ist auch gut so
Montage: Ein kurzer Film-Exkurs
Der Begriff der "Montage" kommt aus der Filmtheorie und beschreibt die durch das Aneinanderschneiden und ins Verhältnis setzen mehrerer Filmeinstellungen erzeugte Manipulation des erzählten Raum- und Zeitkontinuums. Waren die ersten Filme noch mehr wie Theaterstücke mit einer festen Einstellung und einer von den Akteuren bespielten Bühne, so war es der US-amerikanische Regisseur D. W. Griffith, der in seinem Film »The Birth of a Nation« im Jahre 1915 erstmals massiv auf Montage setzte und die Geschichte mittels rhythmischem Schnitt erzählte.
Es etablierte sich die Montage-Technik des »Continuity Editing«, deren Funktion rein narrativ war. Der Zuschauer sollte mithilfe der Schnitte durch die Geschichte »gelenkt« werden, ohne sich dessen jedoch bewusst und dadurch aus der Illusion gerissen zu werden. Dabei ist es wichtig, dass Raum und Zeit der Montage im logischen Zusammenhang zur Realität stehen. Diese Art der Montage kommt bis heute in den meisten Filmen zum Einsatz.
Gegner des »Continuity Editing« bezeichnen diese Art der Montage als manipulativ und unnatürlich, da sie die Aufmerksamkeit des Betrachters auf bestimmte Dinge lenke, ohne dass dieser sich dessen bewusst sei. Kritiker wie der französische Regisseur Jean-Luc Godard oder der russische Filmpionier Sergei Eisenstein waren der Ansicht, der Betrachter solle den Schnitt eines Filmes nicht nur unterbewusst, sondern aktiv wahrnehmen und interpretieren können.
Sie schnitten daher oft Einstellungen aneinander, die die zeitliche Kontinuität aufbrachen oder für einen ästhetischen Schock sorgten. Andere Filmemacher hingegen verzichten bewusst auf den exzessiven Gebrauch von Montage und präsentieren ihre Filme stattdessen in Form von langen Plansequenzen (eine am Stück gefilmte Szene ohne Schnitt), in denen der Blick des Zuschauers nicht durch Schnitte gelenkt wird und dieser die für die Handlung des Filmes relevanten Details erst inmitten des Geschehenden entdecken muss.
Der Zuschauer wird also nicht manipuliert und betrachtet die Szenen des Filmes so, wie er eine Szene des realen Lebens betrachten würde, ohne künstliche Führung. Ein Beispiel dafür ist der Film »Code inconnu« des deutschen Regisseurs Michael Haneke aus dem Jahre 2000.
Montage in Fallout 4
Zieht man also Parallelen zwischen Film und Videospiel, so verkörpert die Bethesda-Erzählweise in gewisser Hinsicht genau die im obigen Kasten beschriebene Philosophie: Raum und Zeit werden nicht durch Montage beeinflusst, der Zuschauer entscheidet zu jeder Zeit selber, was er sieht und worauf er seine Aufmerksamkeit lenkt. Er kann sich darüber hinaus sogar völlig frei in der vom Künstler geschaffenen Szene bewegen und ist im Gegensatz zum Film nicht von einer festen Kamera und einem damit festen Bildausschnitt abhängig.
Die Schönheit der Bethesda-Erzählweise liegt wie schon gesagt in der Konsequenz, mit der das Entwicklerstudio an dieser Philosophie festhält. Oder festgehalten hat, denn mit dem Release von Fallout 4 hat man eben diese Konsequenz über Bord geworfen. Erstmals in der Geschichte der Bethesda-Rollenspiele bietet Fallout 4 einen vollständig vertonten Protagonisten und setzt in den Dialogen Schnitte ein.
Das mag für viele erstmal so klingen, als ergänze man das Spiel hier um etwas, das ihm vorher gefehlt hat, ist aber ein grober Fehlschlag für diejenigen, die wie ich das Fehlen eben jener Stilmittel als sinnvoll und als Ursprung der Kunst betrachtet haben. Das Problem dabei ist auch, dass die Montage in Fallout 4 nicht sonderlich gut ist.
Im Gegenteil: Nur allzu oft ergeben sich schlichtweg skurrile Bildausschnitte, in den seltensten Momenten passiert inszenatorisch mehr als etwas, das das Spiel auch ohne Montage gleichwertig hätte erzählen können und ich merke, wie alle für mich denkwürdigen Momente solche sind, in denen ich in voller Kontrolle meines Protagonisten war und die Szene »selbst« erleben konnte.
Ein Spiel, 1000 Meinungen:Warum Fallout 4 so polarisiert
Nur angemeldete Benutzer können kommentieren und bewerten.
Dein Kommentar wurde nicht gespeichert. Dies kann folgende Ursachen haben:
1. Der Kommentar ist länger als 4000 Zeichen.
2. Du hast versucht, einen Kommentar innerhalb der 10-Sekunden-Schreibsperre zu senden.
3. Dein Kommentar wurde als Spam identifiziert. Bitte beachte unsere Richtlinien zum Erstellen von Kommentaren.
4. Du verfügst nicht über die nötigen Schreibrechte bzw. wurdest gebannt.
Bei Fragen oder Problemen nutze bitte das Kontakt-Formular.
Nur angemeldete Benutzer können kommentieren und bewerten.
Nur angemeldete Plus-Mitglieder können Plus-Inhalte kommentieren und bewerten.