Manchmal geht es mir auch auf den Keks. Da reden die Leute über Dark Souls – eine Serie, die für mich zu den spannendsten Spiele-Meisterwerken der Gegenwart gehört mit ihrer grandiosen Atmosphäre, dem famosen Artdesign, der fesselnden Geschichte im Hintergrund, dem innovativen Storytelling-Ansatz. Und am Ende des Tages geht's in den Threads und Kommentarsektionen trotzdem viel zu oft nur darum, wie bockschwer das Teil ist. Oder anders: Dark Souls wird viel zu oft auf seinen Schwierigkeitsgrad reduziert.
Ich verstehe, woher das kommt. Viele Leute sind einfach stolz, wenn sie ein so hartes Spiel gemeistert haben. Sie feiern die Intensität der Kämpfe, das Triumphgefühl bei jedem Sieg. Aber statt sich dann weiter mit der Frage zu beschäftigen, warum From Software überhaupt so ein hartes Spiel auf den Markt bringt, driften die Diskussionen in persönliche Zankereien ab. Plötzlich ist die wichtigste Frage, ob Dark-Souls-Fans nur elitäre Ego-Bauchpinsler sind – oder umgekehrt all die Kritiker nur neidische Noobs.
Aktuell ist die Debatte um den Schwierigkeitsgrad wieder hochbrisant: Im Internet wird (vor allem unter Journalisten) eifrig diskutiert, ob Dark Souls 3 einen Easy Mode bekommen sollte. Für Gelegenheitsspieler, die einfach nur Story und Atmosphäre erleben wollen. Schließlich hat nicht jeder Lust, innerlich zu zerbrechen, wenn er nach Feierabend ein paar Stunden vor dem Rechner verbringt. Als Gegenargument kommt dann direkt: »Mit Easy Mode ist Dark Souls kein Dark Souls, ihr Vögel! Das Hochgefühl, einen bockschweren Boss nach 200 Versuchen zu besiegen, macht die Serie überhaupt erst aus.«
Und da liegt der Hund begraben. Leute argumentieren so, weil sie denken, der Schwierigkeitsgrad sei nur dafür da, frustgewappnete Core Gamer zu belohnen. Ich sage: Das stimmt nicht. Aber trotzdem darf Dark Souls auf keinen Fall einen Easy Mode bekommen. Denn das Spiel nutzt den Schwiergkeitsgrad ganz bewusst, um seine Geschichte auf eine Art zu erzählen, die nur in Videospielen möglich ist. Und darüber sollte man reden.
Kleiner Disclaimer: In dieser Kolumne geht's ein bisschen theoretisch zur Sache und das dürfte nicht jedermanns Sache sein. Ich kann das verstehen, ich sehe auch die Gefahr der Überinterpretation. Aber für mich sind genau die Fragen, denen ich hier nachgehe, das Spannende an Spielen und an meinem Job. Deshalb gebe ich der Sache eine Chance und habe mich bemüht, alle Gedanken so unterhaltsam und verständlich wie möglich zu sortieren. Für all diejenigen, die beim Lesen auch mal gerne aufrecht sitzen: Ich freue mich über jedes Feedback. Auch kritisches.
Dark Souls lebt von seiner Story
Okay, Hand aufs Herz – als ich mich zum allerersten Mal durch die Kampagne von Dark Souls gequält, mich bis ins Finale vorgekämpft und den letzten Boss besiegt habe, saß ich vor dem Abspann und dachte mir nur: Hoffentlich merkt keiner, dass ich nach 40 Stunden Tortur immer noch keinen Schimmer hab, worum es hier eigentlich geht. Die Story von Dark Souls ist sperrig, kompliziert und diffus. Alles, was mir am Ende blieb, war ein starkes Gefühl – und zwar kein triumphales, sondern eine verwirrende Melancholie.
Dark Souls 3 - Screenshots ansehen
Und genau in diesem Gefühl – das weiß ich heute, nachdem ich mich immer und immer wieder mit der Reihe auseinandergesetzt habe – liegt das Storytelling-Genie von From Software. Und um das nachvollziehen zu können, muss man sich verinnerlichen, wen man in Dark Souls überhaupt spielt.
In der Welt der Souls-Titel bin ich ein Untoter. Kein Mensch, sondern ein Wesen, das irgendwann mal ins Gras gebissen hat und seitdem nicht so richtig sterben kann. Es hat ja einen Grund, dass From Software so einen alternativen Hintergrund um die eigene Figur bastelt. Als Untoter kann ich nicht einfach entspannen, denn je länger ich in meinem Dasein verbringe, desto näher rückt auch das sogenannte »Hollowing«. Das Schicksal meiner Spielfigur ist es, irgendwann zu einer verrückten Hülle zu werden, die nichts mehr von ihrer Menschlichkeit besitzt (in Dark Souls 3 gilt das anders als in den Vorgängern nur teilweise – der Einfachheit halber verallgemeinere ich hier ein wenig).
Der Autor: Dimi hat die Dark-Souls-Flagge von Florian Heider übernommen und ist seit Scholar of the First Sin der verantwortliche Redakteur für alle Spiele, die einen Tester in den Wahnsinn treiben. Dabei ist ihm der Schwierigkeitsgrad eigentlich gar nicht so wichtig – an den Souls-Spielen liebt er vor allem die Hintergrundgeschichte und die innovativen Ansätze dahinter. Weil er in seiner Freizeit darüber hinaus liebend gern staubtrockene Theorie-Bücher über Game Studies liest, machen ihm Kolumnen wie diese hier tatsächlich Spaß. Vielleicht geht das ja anderen auch so. Dimi würde sich freuen.
Um diesem elenden Schicksal zu entgehen, bietet sich mir nur ein Weg: Indem ich nach vorne strebe, Seelen und Menschlichkeit sammle und mich Boss für Boss zum Abspann emporkämpfe, kann ich vage auf Erlösung hoffen. Ob ich die dann wirklich bekomme, ist eine andere Sache.
Die Psyche des Spielers
Kurioserweise baut From Software das Wahnsinnig-Werden der Untoten nicht als konkretes Feature ins Spiel ein. Man wird zwar zu einer hässlichen Hülle, das hat allerdings keine Konsequenzen auf meine »Psyche« wie beispielsweise in Amnesia oder Eternal Darkness. Meine Theorie: Das hat einen guten Grund. Und der hängt mit dem bockschweren Spielerlebnis zusammen.
Jeder weiß: Dark Souls ist sau schwierig und frustrierend. Gebetsmühlenartig kämpfe ich mich immer und immer wieder durch dieselbe Passage, werde am Leuchtfeuer wiedergeboren, kann nicht wirklich sterben, nur scheitern. Ich fluche laut, verhaue meine Tastatur und frage mich, ob ich's nicht einfach gut sein lassen soll. An Ornstein und Smough sitzt der Neuling locker mehrere Stunden – die Tode in einem Durchgang belaufen sich auf weit über 100.
Der Kniff an der Sache: Dieses frustrierende Erlebnis spiegelt genau das, worum es in der Story von Dark Souls eigentlich geht. Das Hollowing meiner untoten Spielfigur findet eigentlich in der Psyche des Spielers statt – und hier trumpft Dark Souls auf, wie es nur Videospiele können. From Software versteht sich darauf, jede Erzählkonvention aus Film und Fernsehen gekonnt zu ignorieren.
Stattdessen nutzen sie die interaktiven Möglichkeiten unseres Mediums. Das gilt zum Beispiel beim sogenannten »Environmental Storytelling«, also der Tatsache, dass der Spieler sich in der Spielwelt ganz bewusst umschauen, orientieren und hinterfragen muss, um herauszufinden, was in Lordran, Drangleic und Lothric passiert ist. Er muss Item-Beschreibungen wälzen, sich die einzelnen Puzzle-Teile zusammensuchen. Allerdings ist das für meine Argumentation gar nicht so wichtig.
Jetzt wird's theoretisch
Die andere entscheidende Eigenart von Spielen – und um die geht's mir – sind die sogenannten ludischen Emotionen. Der Begriff stammt aus den Game Studies und bezeichnet Gefühle beim Spieler, die mit dem direkten Gameplay verbunden sind: Also das Triumphgefühl eines Sieges, der Frust beim Scheitern, die wohlige Wärme beim Aufrüsten der eigenen Waffen. Dark Souls triggert ganz gezielt vor allem diese Gefühle.
Dem gegenüber stehen narrative Emotionen, also all die Gefühle, die mit der Story-Inszenierung zu tun haben. Wenn ich zum Beispiel einen Bösewicht unbedingt verhauen will, weil er ein Drecksack ist – Vaas Montenegro in Far Cry 3 funktioniert quasi komplett über diese Schiene. Ich hasse den Typen, weil er mir im Rahmen der Story und in den Cutscenes unheimlich viel Leid zufügt und ein gefährlicher Psychopath ist. Hier arbeiten Spiele mit den gleichen Methoden wie Film und Literatur. Allerdings: So wirksam das auch sein mag, Dark Souls verzichtet fast komplett auf narrative Gefühle.
Stattdessen verketten From Software diese ludischen Emotionen mit der Geschichte. Der Untoten-Fluch in der Dark-Souls-Welt wirkt wie das Spiel selbst nahezu unbezwingbar – neben meiner Figur tauchen rote Blutflecken auf, die andere Spieler bei ihrem Scheitern zeigen. Ich empfinde pures Unbehagen, weil ich mich so unheimlich schwer mit meinem Dasein in der virtuellen Welt tue. Und dieses Gefühl ist Ausdruck der Story. Zum Vergleich: Bei den meisten Triple-A-Spielen bewegt mich vor allem die inszenierte Geschichte, wohingegen das Gameplay selten extreme Emotionen auslöst – wenn ich in Assassin's Creed mal abstürze, starte ich halt neu.
Erfahren statt Verstehen
Indie Games wie Super Meat Boy arbeiten mit meinem Stress hingegen komplett auf einer spielmechanischen Ebene und ködern den so genannten Achiever in mir. Ganz anders Dark Souls: From Software nimmt die gleichen »ludischen« Frustmomente (wenn ich bei einem Boss scheitere) und unterfüttert damit die Geschichte des Spiels. Die frustrierte Grundstimmung des Spiels ist die Story!
Dass mir die Dark-Souls-Welt nichts schenkt, dass sie mich frustriert, über nichts informiert, wütend macht und allein lässt – das alles ist Teil der Geschichte. Ich verstehe das Leid meiner Figur, ohne dass sie mir in einer Cutscene davon erzählen muss. From Software geht's mit dem knüppelharten Schwierigkeitsgrad nicht darum, Core Gamer von Casuals zu trennen, sondern um eine Story, die ludisch (also über Gameplay) und nicht narrativ (über die Inszenierung von Cutscrenes) vermittelt wird. Und das ist so brilliant wie innovativ, denn nur Spiele können mich die Geschichte auf diese Art erleben lassen. Ein Easy Mode würde das kaputtmachen.
Environmental Storytelling hat sich mittlerweile in vielen guten Spielen etabliert. Journey mag da ein prominentes Beispiel sein, Exploration Games wie Gone Home trumpfen ebenfalls mit starkem Umgebungsdesign. Aber das bewusste Aufgreifen der Emotionen des Spielers als Akzent der Geschichte wird nur in wenigen Titeln wirklich konsequent bemüht. Survival Horror Games sind hier häufig ein Vorreiter, allerdings laufen dort Inszenierung und Gameplay-Emotion meist parallel. Dark Sous bringt den dramaturgischen Part quasi komplett zum Schweigen, damit der Spieler sich auf das Erleben konzentrieren kann. Und wenn er dieses Erleben wirklich zulässt, dann fesselt das düstere Universum mehr als die meisten anderen Spieleserien. Zumindest klappt das bei mir.
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