Overwatch, Call of Duty, Destiny, Left4Dead. Spiele mit mehreren spielbaren Figuren gibt es viele. Fast alle haben allerdings eines gemeinsam: Es handelt sich um Multiplayer-Titel, die zwangsläufig mehr als einen Helden brauchen, damit das visuelle Chaos auf dem Schlachtfeld nicht zu groß wird oder zumindest ein wenig übersichtlicher bleibt.
Ein wenig anders sieht es hingegen bei Singleplayer-Spielen aus. Sobald der Fokus auf der Handlung liegt, dürfen wir meistens nur in die Rolle eines einzigen Protagonisten schlüpfen, um den die Story dann gestrickt ist. Es gibt jedoch Ausnahmen, wie uns zuletzt Dishonored 2 zeigte. Das Stealth-Abenteuer überließ es uns, ob wir lieber Emily Kaldwin oder Corvo Attano sein wollten und bot uns somit zwei unterschiedliche Blickwinkel auf die Rachegeschichte in Karnaca.
Dishonored 2 ist der letzte größere Vertreter einer leider verhältnismäßig kurzen Reihe, die uns mehr als einen spielbaren Helden in ihrer Kampagne bieten. Das ist vor allem deshalb schade, weil es eines der spannendsten Features ist, die gerade Singleplayer uns aktuell bieten können und das unbedingt häufiger verwendet werden sollte.
Der Unterschied macht's
Es gibt drei grundlegende Arten, wie uns mehrere Protagonisten in einem (Singleplayer-)Spiel begegnen können:
- Wir wechseln innerhalb der Handlung den Charakter.
- Wir wählen zu Beginn unseren Helden und alle anderen Optionen existierten nie.
- Wir wählen am Anfang unseren Lieblingscharakter, während die alternativen Möglichkeiten dennoch eine Rolle spielen.
Den beiden letzten Möglichkeiten begegnen wir vor allem in Rollenspielen, denn sie bieten uns oft nicht nur die Option, einen Charakter auszuwählen, sondern ihn sogar im Charakter-Editor selbst zu schaffen. Die Elder Scrolls-Saga sowie die Mass Effect- und Dragon Age-Reihen lassen uns beispielsweise die Qual der Wahl, wen wir spielen wollen, nur um dann alle anderen Optionen im digitalen Niemandsland verschwinden zu lassen.
Eine seit Jahren bestehende Theorie von Mass Effect-Fans, dass die weibliche und die männliche Version von Commander Shepard eigentlich Zwillinge seien, lässt Entwickler BioWare im nächsten Teil der Reihe nun (fast) Wirklichkeit werden.
Auch in Mass Effect: Andromeda haben Spieler die Wahl, welches Geschlecht ihr Ryder haben soll, allerdings lösen sich weder Sara noch Scott Ryder danach in Luft auf. Anstatt einen Charakter auszuradieren, macht BioWare sie kurzerhand zu Geschwistern, die beide im Spiel existieren - einer von ihnen ist lediglich ein NPC.
Schon bei Dragon Age: Origins ging das Entwicklerstudio ähnliche Wege. Hier konnten wir nicht nur unseren Helden auswählen und gestalten, sondern auch dessen Herkunft bestimmen. Die fünf anderen Origin-Stories, die wir nicht wählten, tauchten dennoch auf die ein oder andere Weise auf. Als subtile Geschichten webten sie sich in den Hintergrund und wir erfuhren, welches Schicksal die von uns verschmähten Figuren traf.
Auch abseits von RPGs bieten uns Videospiele zumindest ab und zu die Möglichkeit, mehrere Charaktere innerhalb eines Spiels zu führen. Bekannt für interaktive Dramen mit verschiedenen Helden ist unter anderem Quantic Dream, die mit Heavy Rain zeigten, welche Möglichkeiten in dem Gameplay-Feature stecken und das mit Detroit: Become Human erneut unterstreichen wollen.
Das Indie-Adventure Broken Age baut komplett darauf auf, dass ihr zwischen zwei Jugendlichen in zwei völlig unterschiedlichen Welten, deren Schicksale dennoch verwoben sind, hin- und herwechselt. GTA 5 kam mit drei gleichwertigen Charakteren daher, Assassin's Creed Syndicate präsentierte ebenso ein Zwillingspaar, zwischen denen wir im Verlauf der Handlung fast nach Belieben wechseln durften. Sogar das für sehr lineare Handlungen bekannte Studio Naughty Dog bot bereits mehrmals einen Zusatzcharakter - zwar im kleinen Rahmen, dafür aber mit großer Wirkung.
Wenn die Wahl keine Qual ist
Ob es Sinn ergibt, überhaupt mehr als einen spielbaren Charakter zu haben, hängt natürlich vollkommen vom jeweiligen Titel ab. Nicht jedes Spiel braucht mehr als einen Helden, allerdings sollten sich mehr Entwickler trauen, diesen Schritt zu machen. Was für einen Effekt es haben kann, zeigte unter anderem Naughty Dog.
Das Studio setzt das Feature allgemein eher zurückhaltend, dafür aber wohl gerade deshalb umso effektiver ein. Während sowohl The Last of Us als auch Uncharted klar definierte Helden haben, die wir den Großteil der Zeit spielen, präsentierten sie unerwartete Wow-Momente, als sie die lineare Formen plötzlich aufbrachen und uns in ein anderes Paar Schuhe steckten. Es sind nur kurze Abschnitte, wenige Level, aber sie bleiben oft eher in Erinnerung als all die Stunden, die wir als Joel oder Nathan verbracht haben.
Diese Rollenwechsel geben uns nicht nur eine neue Perspektive, sondern häufig auch zusätzliche Gameplay-Möglichkeiten. Kräfte, Waffen und Features, die nicht zur Persönlichkeit einer Figur passen, durchaus aber in den Kontext des Spieleuniversums, lassen sich eleganter auf einen zweiten Charakter auslagern, als sie in ein unpassendes oder überfülltes Charakter-Korsett zu schnüren.
Spiele wie Until Dawn sind hingegen das beste Beispiel dafür, welche Bedeutung wechselnde Charaktere innerhalb der Narrative haben können. Da jede Entscheidung die Handlung beeinflusst und jede Figur gleichwertig ist, bedeutet das in diesem Fall auch, dass jeder von ihnen jederzeit sterben kann. Diese Gefahr schwebt konstant über dem Geschehen. Vor allem, da diese Tode weder das Spiel beenden, noch rückgängig gemacht werden können.
Until Dawn wird so zu einer einzigartigen, persönlichen Erfahrung, die sich für jeden vollkommen unterschiedlich anfühlen kann. Wer kann seinen Freunden noch in die Augen sehen? Wer hat es bis zum Ende geschafft? Wer ist zuvor gestorben? Fragen, die jeder Spieler anders beantworten kann. Diese Art der Interaktivität ist nur durch verschiedene Charaktere möglich und bewies mit Until Dawn so erfolgreich, wie spannend ein im ersten Moment klischeehafter Teenie-Slasher eigentlich sein kann.
Neuer Charakter, neue Kosten
Charakterentwicklung fristet auf der Prioritätenliste vieler Entwickler noch immer ein Schattendasein am unteren Rand. Zwar bessert sich das nach und nach, dennoch fällt es vielen noch immer schwer, einen, geschweige denn mehrere interessante Helden zu erschaffen, die sich nicht anfühlen wie dieselbe Person nur mit einem anderen Gesicht.
So großartig zwei Protagonisten auf der Gameplay-Ebene von Dishonored 2 funktioniert haben, so sehr schwächelte das Feature auf der Story-Ebene. Weder Emily noch Corvo entwickelten sich wesentlich oder entfalteten eine eigene Persönlichkeit. Der fehlende Fokus reduzierte die größten Unterschiede auf das Gameplay, wodurch die Figuren selbst nahezu austauschbar bleiben.
Zu der Schwierigkeit, überhaupt erst einen oder mehrere interessante Protagonisten zu schaffen, kommt ein Anstieg benötigter Ressourcen. Ein Spiel zu entwickeln ist ein teures Unterfangen, zusätzliche Features bedeutet zusätzliche Kosten. Ein zweiter Charakter ist ein nicht zu unterschätzender Mehraufwand auf vielen Ebenen - besonders dann, wenn wir bedenken, dass nicht jeder Spieler ihn zwangsläufig kennenlernen wird.
Singleplayer-Spiele und Kampagnen haben im allgemeinen eine erschreckend hohe Abbruchrate, ein Studio muss sich also genau überlegen, ob es sich lohnt, einen zweiten Helden für ein Spiel zu entwickeln, dessen Ende viele Gamer nicht einmal sehen werden.
Wer mehr will, muss mehr zahlen
Es ist ein Experiment, das sich durchaus lohnen kann. Nicht jeder Entwickler möchte aber dieses Risiko eingehen und eventuell bereits knappe Ressourcen darauf verschwenden. Es sollte uns daher also nicht überraschen, dass ein neuer spielbarer Charakter gerne einmal ausgelagert wird - in DLCs.
Ellie konnten wir zwar schon in The Last of Us zumindest kurz spielen, The Last of Us: Left Behind dreht sich allerdings komplett um sie. BioShock Infinite: Burial At Sea ermöglichte uns erst im zweiten Zusatzinhalt auch in die Rolle von Elizabeth zu schlüpfen. Sogar das kommende Uncharted: The Lost Legacy widmet sich erstmals nicht Nathan Drake, sondern seiner alten Flamme Chloe Frazer.
Natürlich, auch mit DLC kommen zusätzliche Kosten auf Studios wie Naughty Dog zu - allerdings auch zusätzliche Einnahmequellen. Während ein zweiter (oder dritter) spielbarer Charakter in einem normalen AAA-Game irgendwo zwischen Bonus und Risiko anzusiedeln ist, kann es hier sogar ein Grund sein, zusätzlich zum bereits erstandenen Titel noch einmal in den Geldbeutel zu greifen.
Ob das nun ein Vor- oder Nachteil ist, ist eine Sache des Blickwinkels.
Eine neue Perspektive ist erst der Anfang
Braucht also jedes Spiel wirklich mehr als einen spielbaren Charakter? Nein, natürlich nicht. Es hängt immer vom jeweiligen Titel ab und der Geschichte, die erzählt werden soll. Allerdings kann das Feature sowohl erzählerisch als auch spielerisch völlig neue Möglichkeiten eröffnen und weit mehr tun, als nur die Wiederspielbarkeit erhöhen.
Es wäre schön, wenn sich mehr AAA-Entwickler trauen würden, auf mehr als nur einen Hauptcharakter zu setzen und uns innerhalb eines Titels nicht nur eine einzige fixe Perspektiven präsentieren. Es gibt genügend Beispiele, die gezeigt haben, wie spannend die Resultate sein können und dass dieses Feature es schafft, selbst angestaubten Ideen neues Leben einzuhauchen.
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