Erzählerisch unverwundbar
Dieses Gefühl der Sicherheit ist bei vielen Open-World-Spielen schon durch ihr Gameplay-Modell bedingt. Die einzelnen Abschnitte der Story lassen sich bei Assassin's Creed oder Grand Theft Auto wie alle anderen Aktivitäten von bestimmten Orten der offenen Spielwelt aus starten. Ist die Geschichte abgeschlossen, lässt sich die Welt weiterhin bereisen und alle anderen Nebenaktivitäten sind weiterhin verfügbar.
Ist der Tod des Protagonisten damit ausgeschlossen? Wie kann ich eine Geschichte in einem klimaktischen und denkwürdigen Abschluss gipfeln, es aber gleichzeitig glaubhaft erscheinen lassen, dass mein Protagonist anschließend genauso weitermacht wie vorher? Eine Frage, die sich Spieleentwickler immer wieder stellen müssen.
Manche Titel verzichten zugunsten eines »fatalen Endes« einfach auf jegliche erzählerische Logik und Relevanz nach Abschluss der Hauptstory. Speziell die Assassin's-Creed-Reihe hat aufgrund ihrer Rahmenhandlung keine Beschränkung auf zeitliche Linearität und kann das daher leicht mit Zeitsprüngen kompensieren. Die meiner Meinung nach bisher interessanteste Lösung lieferte das von Rockstar Games entwickelte Red Dead Redemption, dem es gelang, am Ende nahezu komplett aus dem Schema der üblichen Open-World-Narrativen auszubrechen.
Spoiler-Warnung
Ums noch mal klar zu sagen: Ab hier gibt es Spoiler, ich verrate Details des Endes von Inquisition. Weiterlesen auf eigene Gefahr!
Katastrophales Ende
Dass die Geschichte von Dragon Age: Inquisition mit einer Katastrophe beginnt, ist denke ich nicht zu viel verraten. Wir sehen die große Explosion ja schon beim Spielstart im Hauptmenü. Dass sie mit einer ganz anderen Art von Katastrophe endet, nämlich mit einer dramaturgischen, hat mich dann doch sehr schockiert.
Gerade nachdem das Ende der beliebten Mass-Effect-Reihe für einen der heftigsten Internet-Aufschreie aller Zeiten sorgte und Bioware zu vielfachen Entschuldigungen und der Veröffentlichung eines Extended Cuts zwang, sollte man eigentlich meinen, dass sie ihre Lektion gelernt haben müssten.
Ich traute also meinen Augen kaum, als mir Inquisition am Ende etwas vorsetzte, welches die exakt gleichen Unzulänglichkeiten wieder aufwies. Während bei Mass Effect 3 jedoch nur das unmittelbare Ende misslungen, die letzte Mission insgesamt aber sehr spannend und gut inszeniert ist, haben wir es bei Inquisition jedoch seit Beginn des finalen Kapitels mit einer Komplett-Katastrophe zu tun.
Ein völlig übereilter und antiklimaktisch eingeführter Bosskampf ohne Spannung oder Überraschungen und eine mickrige Endvideosequenz, die fast alle interessanten post-finalen Ereignisse einer mit Off-Stimme unterlegten Slideshow überlässt, anstatt diese im großen Stil zu zeigen. Es ist mir unmöglich, das Ganze unter Vermeidung von Spoilern genauer zu erläutern, daher wird der nächste Teil Details zum Ende des Spiels verraten. Wer diese nicht erfahren möchte, kann direkt zum Fazit herunter scrollen.
Kein Mass Effect 2
Das beste Finale, welches ich je in einem Videospiel erlebt habe, ist das von Mass Effect 2, ironischerweise auch von Bioware. Diesen unglaublichen Nervenkitzel, dass ein einziges im Voraus versäumtes Raumschiff-Upgrade oder eine falsche Entscheidung während der Mission den sofortigen Tod eines Mitstreiters bedeuten kann, zusammen mit dem Gemeinschaftsgefühl, erstmalig die gesamte Crew auf einmal in die Schlacht führen zu können, werde ich niemals vergessen und immer in Ehren halten.
Dragon Age: Inquisitionhat nichts davon. Es kommt nie das Gefühl einer wirklichen Bedrohung auf, es gibt keine taktischen Entscheidungen, die unsere Mitstreiter potenziell ins Verderben stürzen könnten, keine epische Ansprache des Inquisitors, bevor er die das ganze Spiel über aufgebaute Streitmacht in ihre letzte Schlacht schickt.
Himmel, es gibt nicht mal eine echte letzte Schlacht, denn unsere Soldaten sind noch auf dem Rückweg von der vorhergehenden Mission (auch wenn ich in der Zwischenzeit 50 Stunden Nebenquests erledigt habe). Und ja, das fühlt sich auch im Spiel genauso bescheuert und unbefriedigend an, wie es sich liest.
Ausschlaggebend für den Beginn des letzten Kampfes ist der urplötzliche Angriff von Oberbösewicht Corypheus. Wir landen nach einer kurzen Videosequenz und einem bedeutungsleeren Dialog direkt und völlig übereilt im Bosskampf, der sich im Vergleich zum restlichen Spiel deutlich zu leicht spielt und von mir problemlos im ersten Versuch bewältigt wurde (während ich für so manchen Drachenkampf Stunden gebraucht habe).
Wo sind die Konsequenzen?
Zur Belohnung gibt es am Ende eine winzige Videosequenz, in der wir als Sieger bejubelt werden, ein kurzes Gespräch mit jedem Mitstreiter über dessen zukünftige Pläne und eine kurze Szene mit unserer Romanze, sofern es denn eine gab. Das ist alles. Wichtige Charaktere wie Morrigan treten überhaupt nicht mehr auf, Verbündete, die aus Entscheidungen während des Spiels hervorgegangen sind, kommen nicht zu Wort und kein einziger der kleineren Konflikte mit vermeintlich langfristig großen Auswirkungen (z.B. Cullens Lyrium-Sucht) hat irgendwelche sichtbaren Konsequenzen.
Während Mass Effect 3 wenigstens noch mehrere (wenn auch sehr ähnliche) Enden hatte, bekommen wir hier völlig unabhängig von unseren Entscheidungen immer das gleiche Endergebnis serviert. Der Fortbestand der durch die Bedrohung der Welt unterbrochenen politischen Konflikte wird in einer Slideshow mit Off-Stimme sehr flüchtig und oberflächlich erläutert und die großen Fragen des Magierkonflikts und der Kirchenrevolution dürfen wir nicht wie zuerst gedacht selbst beantworten, sondern werden dadurch entschieden, welche Kandidatin wir bei der Wahl des neuen Kirchenoberhauptes unterstützt haben.
Und warum bitte gibt es keine Videosequenz, die diese Entscheidung aufgreift und ihre Konsequenzen zeigt? Warum kann ich meiner geliebten Cassandra nicht dabei zusehen, wie sie in einer riesigen Siegesfeier bejubelt von ganz Thedas ihren neuen Posten einnimmt? Das wäre ein epischer und würdiger Abschluss gewesen. Warum zeigt ihr mir nicht die Freude der Welt, die ich gerettet habe und lasst mich gebührend Abschied nehmen? WARUM?!
Letztendlich halte ich die Unzulänglichkeit dieses Finales für zu offensichtlich und Biowares Fähigkeiten für zu groß, als dass das beabsichtigt gewesen sein könnte. Gerade wenn man es in Relation zu der bis dahin wirklich fantastisch inszenierten Geschichte mit ihren ausufernden Videosequenzen auf höchstem Niveau sieht, passt dieses urplötzliche Sparflammen-Finale nun wirklich überhaupt nicht ins Bild.
Es scheint mir, als hätten wir es hier wieder einmal mit einem Fall zu tun, in dem der finanzielle Druck zu einem verfrühten Release geführt hat, bevor die Entwickler ein Ende nach ihren Qualitätsstandards erschaffen konnten. Das Problem mit den Standards ist nur: Sie lassen sich nur solange so nennen, wie man sie auch ab und zu nochmal wieder erreicht.
Fazit: »Ich liebe dich trotzdem!«
Ich habe Dragon Age: Inquisition dramaturgisch unter die Lupe genommen und mich dabei auf die negativen Seiten beschränkt, denn es war nicht mein Ziel, ein objektives Qualitätsurteil über das gesamte Spiel zu fällen. Es gibt da draußen genug Reviews, die das sehr kompetent tun, zumal ich auf entscheidende Bereiche wie das eigentliche Gameplay ja so gut wie gar nicht eingegangen bin.
Über Dragon Agezu schreiben, ist mir eine Herzensangelegenheit, denn ich liebe diese Serie und möchte, dass sie sich jederzeit in bestmöglicher Qualität präsentiert. Aus diesem für mich als leidenschaftlichen Spieler nicht ganz uneigennützigen Grund war es mir sehr wichtig, Probleme, die das Spiel meiner Ansicht nach hat, zu analysieren und mit meinem bescheidenen dramaturgischen Wissen eventuelle Lösungsansätze herauszuarbeiten. Es ist mein kleiner Beitrag zu den vielen theoretischen Diskussionen, wie wir unser vergleichsweise junges Lieblingsmedium noch besser machen können.
Wer nach der ausführlichen Kritik nun verunsichert ist, dem sei gesagt:Dragon Age: Inquisitionist ein monumentales Spiel mit einer wunderschönen, riesigen und glaubhaften Spielwelt, gefüllt mit einzigartigen und liebenswerten Charakteren mit Persönlichkeit und sehr gut geschriebenen Dialogen. Und auch wenn nicht alles perfekt ist, gibt es wohl wenige Spiele, die Rollenspiel-Fans so viel fürs Geld zu bieten haben wie Inquisition.
Ich möchte nur jeden ermahnen, unbedingt vorher die beiden Vorgänger zu spielen. Es wird so viel Bezug genommen auf die Geschehnisse der Vorgänger, so viele Entscheidungen setzen wichtiges Hintergrundwissen über die bestehenden Konflikte der Welt voraus und so viele Charaktere aus den Vorgängern sorgen in Inquisition für ein freudiges Wiedersehen, dass es sehr schade wäre, sich deren vorherige Bekanntschaft entgehen zu lassen.
Dragon Agelebt von seiner Welt, die wir nach unseren Idealen formen und beeinflussen können. Lasst euch keine Gelegenheit entgehen, das zu tun. Unterm Strich muss man auch sagen, dass Dragon Age: Origins insgesamt eindeutig das rundere und bessere Spiel ist … was allerdings nicht besonders viel heißt, da ich Dragon Age: Origins für eins der besten Spiele halte, die je gemacht wurden.
Trotz der langen Spielzeit und trotz des enttäuschenden Finales möchte man am Ende von Inquisition einfach mehr. Ich kann es zumindest schon jetzt kaum noch erwarten, mich in einem DLC oder Addon erneut in die Rolle des Inquisitors zu begeben. Bitte gebt mir ganz schnell ein weiteres Abenteuer, in das ich mich mit meinen liebgewonnenen Gefährten stürzen kann. Oder nein … bitte lasst euch alle Zeit, die ihr braucht. Denn der nächste Schuss, der muss nun wirklich mal wieder ein Volltreffer werden.
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