Im Jahr 2006, über ein Jahr vor seiner Veröffentlichung, bekam der Ego-Shooter Bioshock zum ersten Mal eine Bewertung verpasst. Ausgestellt wurde sie von den Teilnehmern eines so genannten Fokusgruppentests, sorgsam ausgewählten Spielern, die eine frühe Version des Spiels begutachten durften.
Dieser Artikel stammt von unserer Schwester-Webseite Krawall.de und wurde von Chefredakteur André Peschke geschrieben.
Ihr Urteil: 2 von 10 Punkten. Bioshock, so fanden sie, war ein billiger, verwirrender Half-Life-Abklatsch. »Nichts auf der Welt könnte mich je dazu bewegen, diesen Haufen Scheiße zu kaufen«, resümierte einer der Spieler auf seinem Beurteilungsbogen.
William Gardner, damals der leitende Leveldesigner des Spiels, erinnert sich bis heute exakt an den Moment, an dem er von diesen Ergebnissen erfuhr. »Es war Freitagabend, und wir sollten eigentlich nur noch schnell vor dem Wochenende erfahren, was die Fokusgruppentests ergeben hatten. Dann kam Ken [Studio-Chef Ken Levine] rein, trug die Ergebnisse vor, und es war einfach nur entsetzlich. Das ganze Team war völlig niedergeschlagen. All die Arbeit, all unsere Mühe ... ungelogen, und ich übertreibe hier nicht, es brach mir das Herz. Es war furchtbar.«
Wie abgehoben darf ein Spiel sein?
Anstatt ins Wochenende zu starten, versammelte sich die Mannschaft von Entwickler Irrational Games am darauffolgenden Samstag zur Lagebesprechung. Über Stunden analysierten sie die zahlreichen Probleme, die den Testspielern das Spiel verleidet hatten.
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Viele der negativen Kommentare ließen sich auf Bugs und Probleme mit der Orientierung in der Spielwelt zurückführen. Die zu diesem Zeitpunkt noch völlig fehlende Einführung der Spielfigur sorgte außerdem dafür, dass ein Großteil der Tester das Gefühl hatte, ihrem Tun fehle jeglicher Sinn und Zweck. Alles nicht so wild, alles behebbar.
Doch eine Angst ließ sich nicht ausräumen: Vielen Spielern erschienen die Ereignisse zu unverständlich und verworren. Vielleicht war die Geschichte des Spiels einfach zu abgehoben?
Oberflächlich betrachtet klingt das absurd. In Bioshock geht es immerhin im Kern um die alte Leier vom irren Wissenschaftler, der Monstren erschafft, die er nicht mehr kontrollieren kann. Spätestens seit Goethes Zauberlehrling nichts Neues mehr.
Doch das Spiel behandelt diese Ur-Geschichte in erstaunlich intelligenter Weise. Der Gegenspieler unseres Helden, Andrew Ryan, verkörpert auf charismatische Weise überaus kontroverse Ideale von der Freiheit des Individuums und ungezügeltem Fortschritt.
Ist das Spiel zu hoch oder der Spieler zu dumm?
Zugleich funktioniert die Geschichte aber auch als eine Metapher für die Illusion der Entscheidungsfreiheit, die uns Computerspiele aufzutischen versuchen.
Philosophische Ideen von Autoren wie George Orwell und Ayn Rand werden mit aktuellen Themen wie der Stammzellenforschung zu einem großen Horror-Abenteuer verschmolzen, das ein für Spiele extrem seltenes Niveau erreicht. Insbesondere im Shooter-Genre, in dem die Spieler seit Jahren erkennbar meist für dämlich gehalten werden.
Kaum eine Handlungswendung, kaum eine Anspielung oder ein etwas geistreicher Scherz werden zugelassen, und wenn doch, werden sie im Nachsatz noch mal deutlich erklärt. Durchaus nicht ohne Grund. Spiele mit einem gewissen intellektuellen Anspruch tun sich historisch betrachtet oft schwer.
Selbst das bis heute in der Spielepresse heiliggesprochene Deus Ex verkaufte sich zunächst nur schleppend und brauchte Jahre voller Neuveröffentlichungen, um endlich auf respektable Absatzzahlen zu kommen. Nutzerbefragungen schienen ein ums andere Mal zu belegen, dass ein Teil der Spieler einfach zu doof war für mehr als leichte Kost.
»Wir hatten die Hosen voll.«
Bei Irrational Games hatte man die Produktion von Bioshock mit viel Optimismus begonnen. Insbesondere Ken Levine, Autor und kreativer Anführer des Teams, war überzeugt davon, dass die Intelligenz der Spieler regelmäßig unterschätzt, wenn nicht sogar beleidigt wurde.
Doch nach den Ergebnissen der ersten Probeläufe war das Vertrauen vieler Mitarbeiter erschüttert. »Vor der Veröffentlichung von Bioshock hatten wir entschieden die Hosen voll. Ich selbst saß noch einige Monate vor Fertigstellung im Büro und sagte: "Wir müssen mehr Kampfsequenzen haben. Das ist ein Shooter, den wir hier machen. Wenn wir den Leuten nicht schnell was zum Abknallen geben, drücken sie den Auswerfknopf am DVD-Laufwerk!«, erzählt Bill Gardner. Als leitender Leveldesigner verbrachte er Tage damit, den ersten Level des Spiels auf Action zu trimmen. »Ich habe vermutlich jede Waffe im Spiel irgendwann mal an der einen oder anderen Stelle da reingepackt, um zu sehen, ob es für einen größeren Knalleffekt sorgt.«
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