Der Twist von Twelve Minutes verdirbt mir das gesamte Spiel

Am Ende des Mystery-Thrillers mit Zeitschleifen-Story wartet ein schockierender Twist. Unser Autor Erik Körner findet: Er ist so mangelhaft umgesetzt, dass er das gesamte Spiel runterzieht.

12 Minutes hätte ohne seinen Twist ein gutes Spiel sein können. 12 Minutes hätte ohne seinen Twist ein gutes Spiel sein können.

Achtung, verstörende Inhalte

Warnung: der folgende Absatz enthält Spoiler

Twelve Minutes enthält brutale Gewaltdarstellungen, Gewalt gegen Frauen, häusliche Gewalt, Folterszenen und stellt inzestuöse Beziehungen dar. Zudem muss man mehrfach für den Fortschritt der Story eine Person bewusst unter Drogen setzen.

Ich hatte nicht vor, Twelve Minutes zu spielen. Es wird von Annapurna Interactive gepublisht, deren Spiele mich meist kaltlassen. Kurz nach Release von Twelve Minutes fluchten sich aber einige Journalist*innen auf Twitter das Herz aus dem Leib. Der Twist und das Ende des Spiels seien grauenhaft. Kritische Artikel auf Kotaku oder The Gamer folgten, die ähnliches behaupteten, wenn auch sachlicher.

Also habe ich Twelve Minutes doch runtergeladen. Ich wollte selbst sehen, ob es der Totalausfall ist, für das es die Menschen halten, deren Meinungen ich schätze. Die kurze Antwort ist: Ja, der Twist und das Ende sind grauenhaft. So grauenhaft, dass sie das gesamte Spiel verderben.

Wenigstens ist der Anfang gut

Dabei beginnt Twelve Minutes vielversprechend. Ein Mann, der sich als Cop ausgibt, bricht in die Wohnung eines Ehepaars ein und will sie umbringen. Außerdem möchte er eine wertvolle Uhr stehlen. In der Rolle des Ehemanns müssen wir einen Weg finden, ihn aufzuhalten, sonst wird der Cop immer wieder kommen. Denn Twelve Minutes tarnt sich als Zeitschleifen-Geschichte. Die stellt sich zwar im Verlauf als nicht real raus, aber dazu später mehr.

Mit jedem weiterem Loop sammeln, kombinieren und rätseln wir unseren Weg zu neuen Informationen: Die Frau denkt, sie habe ihren Vater umgebracht. Der Cop war mit ihm befreundet, will sich deshalb an ihr rächen. Die Uhr möchte er verkaufen, um die Krebsbehandlung seiner Tochter zu zahlen. Doch die Frau ist unschuldig, wie wir lernen. Wer den Vater tatsächlich getötet hat? Der Mann. Eine Rückblende zeigt einen Streit zwischen den beiden, zwei Schüsse fallen, der Vater stirbt.

Ein Cop bricht immer wieder in unsere Wohnung ein. Wie halten wir ihn auf? Ein Cop bricht immer wieder in unsere Wohnung ein. Wie halten wir ihn auf?

Das ist aber bei weitem kein Twist, der rückwirkend eine ganze Handlung verdirbt. Der liegt nämlich im Grund für den Streit: Der Vater wollte, dass der Mann die Beziehung zu seiner Tochter abbricht, weil das Paar Halbgeschwister sind - und die Frau schwanger ist. Nur weiß die Frau nichts von der Verwandtschaft mit ihrem Mann.

Und dann geht's bergab

Eine verheimlichte inzestuöse Beziehung samt Schwangerschaft ist also das Geheimnis, auf das Twelve Minutes mehrere Stunden hinarbeitet. Als ich den Twist selbst erlebte, fand ich ihn unfreiwillig komisch, weil er so übertrieben war. Wie ein nervöses Lachen, wenn der eigene Verstand nicht weiß, wie er anders auf eine unerwartete Situation reagieren soll - obwohl ich dank Twitter und der Artikel grob wusste, was kommen würde.

Es ist eine Sache, wenn Medien ihre Wendungen mit Tabuthemen kombinieren, nur um den Überraschungseffekt mit einem Schockfaktor zu verstärken. Meistens finde ich das billig, weil es ein zu einfacher, fauler Weg ist, eine starke emotionale Reaktion im Publikum auszulösen. Es ist eine andere Sache, wenn mich ein Spiel wie Twelve Minutes so verzweifelt schockieren möchte, dass es gleich drei Tabubrüche auf einmal einführt - inzestuöse Halbgeschwister, die ein Kind erwarten und die Frau weiß nichts von der Verwandtschaft.

Selbst ohne den Twist ist Twelve Minutes düster genug. Selbst ohne den Twist ist Twelve Minutes düster genug.

Twelve Minutes hätte ein derart schockierendes Element nicht einmal gebraucht, um schockierend zu sein. Genügend düstere Themen füllen auch so die Handlung: Einbruch, Mord, Krebs, Gewalt gegen geliebte Menschen, drohender Kindsverlust. An all das aber ausgerechnet einen Inzest-Twist anzuschließen, wirkt taktlos; als ginge es dem Spiel nur darum, sich selbst in seiner Grässlichkeit zu überbieten.

Nichts war echt, außer die Beziehung

Das soll nicht heißen, ich lehne Tabuthemen in Medien prinzipiell ab, im Gegenteil. Sie sollten allerdings mit Feingefühl behandelt werden. Oder einen klaren, begründeten Zweck verfolgen, der über ihren Schockwert hinausgeht, wenn sie denn unbedingt Teil eines Twists sein müssen. Über das mangelnde Feingefühl von Twelve Minutes muss ich, denke ich, nicht weiter sprechen. Als ich den Twist gesehen habe, schien es aber auch, als könne das Spiel seine Notwendigkeit nicht glaubhaft begründen.

Erik Körner

Erik Körner
@snoopykoira

Ich stoße selten auf Spiele, die ich für unrettbar halte. Twelve Minutes ist eins davon. Ich würde es nur empfehlen, wenn euch die Story eines Spiels wirklich völlig egal ist oder wenn ihr sehen wollt, wie man eine Story nicht aufziehen sollte.

Der Mann hätte den Vater aus jedem anderen Grund erschießen können. Warum musste es eine inzestuöse Beziehung sein? Weil am Ende rauskommt, dass Twelve Minutes nur wie ein Mystery-Thriller aussieht. Im Kern ist es aber ein Spiel über Schuld- und Traumabewältigung.

Die Zeitschleife ist nicht real, sondern nur ein mentales Konstrukt im Kopf des Protagonisten, um seine Schuldgefühle aufzuarbeiten. Eine Schuld, die er hat, weil er seiner schwangeren Frau seit Jahren verheimlicht, dass sie Geschwister sind. Ja, ausgerechnet die nicht-einvernehmliche, inzestuöse Beziehung samt Schwangerschaft existiert auch in der realen Welt. Offenbart wird das in einem letzten Gespräch mit dem Vater, der in der realen Welt nie angeschossen wurde.

In Twelve Minutes wird viel geredet. Nur bleiben die wichtigsten Dinge am Ende ungesagt. In Twelve Minutes wird viel geredet. Nur bleiben die wichtigsten Dinge am Ende ungesagt.

Die Schuld wird aber nie diskutiert. Sie wird unterdrückt oder ausradiert. In einem Ende verlässt der Mann seine Frau, anscheinend unter falschem Vorwand. Ich sage "anscheinend", weil der Mann vorher zu seinem Vater sagt: "Ich kann mir vorstellen, dass es eine Welt gibt, in der ich gehe und sie nie den Grund erfahren wird." Das Gespräch zeigt Twelve Minutes übrigens nicht. Der Protagonist findet sich in der nächsten Szene bloß in der leergeräumten Wohnung des Paars wieder - es muss schon stattgefunden haben.

In einem anderem lässt er sich von seinem Vater hypnotisieren und vergisst sämtliche Erinnerungen an seine Frau, inklusive der Schuld. Dass das, gelinde gesagt, moralisch fragwürdig ist, steht außer Frage. An sich müssen das jedoch keine schlechten Enden sein - wenn Twelve Minutes mit ihnen irgendwas über Schuldbewältigung gesagt hätte.

Mehr Lücken als Antworten

Wir erhalten zum Beispiel keinen Einblick in den Kopf des Protagonisten während seiner Entscheidung. Ebenfalls erfahren wir nicht, wie es ihm danach geht oder wie er welche Entscheidung mit sich vereinbart. Auf diesen Moment hat Twelve Minutes mehrere Stunden lang hingearbeitet. Und dann lässt es ihn kommentarlos vorbeigehen.

Die Perspektive der Frau kommt ebenfalls zu kurz, was der vielleicht größte Schwachpunkt aller Enden ist. Quasi über Nacht verliert sie einen geliebten Menschen, den Vater ihres Kindes, ohne jemals den Grund zu erfahren. Ihre Gefühle hätte Twelve Minutes aber gebraucht, um die Story tatsächlich abzuschließen. Denn ich kann keiner Geschichte abnehmen, dass sie sich ernsthaft mit Schuldbewältigung auseinandersetzen will, wenn sie die Person ignoriert, auf deren Schultern die Last der Wahrheit (oder der Lüge) liegen wird.

Weder gibt es für das Paar ein Happy End, noch wird der Konflikt zwischen ihnen richtig aufgelöst. Weder gibt es für das Paar ein Happy End, noch wird der Konflikt zwischen ihnen richtig aufgelöst.

Bei der Gelegenheit verpasst Twelve Minutes auch, die Ursprünge der Beziehung zu beleuchten. Die unterdrückten Schuldgefühle des Mannes implizieren, dass er von Anfang an von der Verwandtschaft mit seiner späteren Frau wusste. Wie er es rechtfertigen konnte, das geheimzuhalten, bleibt dabei unklar. Dabei hätte gerade diese Info dabei geholfen, den Protagonisten zu einem glaubhafteren Charakter zu machen. Selbst, wenn dabei nur rumgekommen wäre, dass er ein grauenhafter Mensch ist, der das moralisch Richtige zu tun hinter seine eigenen Bedürfnisse stellt - jede Erklärung wäre besser als keine gewesen.

Das Tragischste daran ist: All diese Fehler wären vermeidbar gewesen. Twelve Minutes hätte eine Kurzgeschichte über den Horror eines sich ständig wiederholenden Einbruchs sein können, der auf einen Mord zurückgeht. Stattdessen zwingt es einen taktlosen Twist über Inzest in seine Handlung, nur um den Großteil des Spiels im letzten Moment rückwirkend als eine vermeintlich clevere Metapher für (versuchte) Schuldbewältigung zu bezeichnen, die nirgendwo hingeht. Und genau damit endet das Spiel. Im grauenhaften Nirgendwo.

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