Beim Verfassen dieser Zeilen sind es 2.907.308 nach unten gestreckte Daumen, die der Enthüllungstrailer von Call of Duty: Infinite Warfare mittlerweile angesammelt hat. Nur ein Video – Justin Biebers »Baby« – stößt auf mehr Abneigung der Nutzer. Die Welt scheint keinen Bock auf den neuen Teil der Shooter-Reihe zu haben. Zugegeben: Selten war ein Call-of-Duty-Trailer so nichtssagend, so geschmacksneutral. Und selbst Activision dürfte klar sein, dass die Spielergemeinde nach einem Jahrzehnt jährlicher Serienableger langsam etwas kriegsmüde wird – zumindest was die Call-of-Duty-Geschmacksrichtung angeht.
Und die bekannte, immer wieder erfolgreiche Baller-Gewürzmischung steckt auch im neuen Infinite Warfare, davon konnten wir uns bei der E3-Vorführung auf PS4 überzeugen. Das neue Call of Duty ist auch diesmal wieder ein bombastisch inszenierter, dauerballernder Hollywood-Shooter mit Fokus auf eine griffige, direkte Steuerung und temporeiche, explosive Action. Was wir da sehen konnten, das hat die miese YouTube-Nutzer-Stimmung nicht verdient. Infinite Warfare wirkte auf uns, als ob es eine Menge Spaß machen könnte.
Im Rahmen der E3 wurde uns ausschließlich die Solo-Kampagne des Spiels vorgeführt. Traditionell wird es wieder einen umfangreichen Mehrspieler- sowie einen Zombie-Modus mit Fokus auf Koop-Gameplay geben, doch dazu wollen die Entwickler erst im Rahmen des Fanfests Call of Duty XP eingehen, das Anfang September in Los Angeles abgehalten wird. Was folgt, sind also die Eindrücke aus zwei Solo-Kampagnen, die uns wohlgemerkt nur vorgespielt wurden. Wir können also nicht darüber urteilen, wie sich Infinite Warfare anfühlt (sicherlich vertraut), aber sehr wohl können wir beispielsweise Technik und Inszenierung einschätzen. Und da macht die Reihe endlich einen gehörigen Satz nach vorn.
Endlich optisch zeitgemäß!
Die laut der Entwickler grundlegend neu entworfene Grafikengine lässt die Muskeln ausgerechnet in Genf spielen, wo doch die Schweiz in Krisenzeiten immer neutral war. In der Zukunft von Infinite Warfare jedoch, wo längst die Nachbarplaneten der leergeschürften und überbevölkerten Erde um ihre Ressourcen erleichtert werden, wird die Stadt zum Schauplatz eines Angriffs der Settlement Defense Front. Das ist eine faschistische Gruppierung, die versucht, die Rohstoffquellen des Sonnensystems zu kontrollieren.
Diese aufmüpfigen Kolonisten sind in typischer CoD-Manier die Bösen. Und der Held des Spiels, Captain Reyes, ist einer von den Guten. Drum ballert er ohne zu Zögern los, als in Genf die Hölle losbricht. Und das tut sie mit tollen Farben und Effekten. Im Rauch der Trümmer erleben wir klassische Straßenkampf-Szenen, die in eine tolle, volumetrische Beleuchtung getaucht sind. Die Aschewolken werden von Ampeln blutrot gefärbt, die Lichteffekte sind dynamisch, der Detailgrad der Umgebung ordentlich. Oberflächen, unsere Waffe und Gegner wirken dank eines physikbasierten Rendersystems glaubwürdig.
Die Shooter-Reihe sieht damit endlich wieder zeitgemäß aus, zumal das uns Gezeigte mit 60 Bildern pro Sekunde auf der mittlerweile auch schon ein paar Jahre alten PS4-Konsole lief. Unserer Meinung nach liegt die Optik ungefähr auf dem Niveau des jüngst erschienenen Doom, dessen Engine vergleichbare Stärken aufweist.
Doch schöner Schein hin oder her, am Ende muss das Spiel unterhalten. Und hier scheint Infinite Warfare nichts zu riskieren. Die Spielfigur bedenkt die gegnerischen Truppen, die sich vor allem aus diversen humanoiden Robotern zusammensetzen, mit einem klassischen Arsenal aus Gewehren, Schrotflinten und Gadgets. Das Aufklappschild mit Markierungsfunktion für Gegner ist bereits aus dem E3-Trailer bekannt.
Wir bekamen noch eine aberwitzige, zielsuchende Schrotflinte zu sehen, deren einzelne Pellets sich gezielt auf einen Gegner verteilen, wenn wir ihn lang genug anvisieren. Dazu gibt es noch einen kleinen, autonomen Spinnenroboter, der auf Widersacher krabbelt und explodiert. In einer Szene hackt Reyes einen der Roboter, die gerade mit einem Truppentransporter herangeflogen werden, und aktiviert dessen Selbstzerstörung.
Es ist die übliche Call-of-Duty-Formel aus flotten Gefechten, dem raschen Umnieten unterlegener Fußtruppen und dem regelmäßigen, cool inszenierten Skript-Moment. Nach wie vor ist das Zielen über Kimme und Korn Kernstück des Gunplays und trotz des Zukunftsszenarios wirkte das Gezeigte sehr vertraut und spaßig obendrein. Weil es fetzig aussieht, weil es nicht monoton oder übermäßig einfallslos wirkt und weil das Zukunftsszenario trotz seiner Nähe zum Universum von Black Ops 3 durchaus seine eigenen Reize hat. In Infinite Warfare gibt es etwa keine Cyborg-Kämpfer oder Exoskelette – zumindest in den uns gezeigten Levels nicht – doch dafür wird das Geballer zu Land (und später auch auf dem Boden anderer Planeten) immer wieder von Flugpassagen unterbrochen.
Ab ins All
Am Ende des Gefechts in Genf fliehen die gegnerischen Raumschiffe. Reyes schwingt sich in einen Jackal-Kampfjet und ohne Ladezeit – oder mit einer sehr geschickt verschleierten – startet er durch und rast gen Himmel, um am Ende in einem All-Dogfight die Feind-Raumschiffe vom Firmament zu fegen. Dieser flotte Übergang von Häuserkampf zu »X-Wing light« ist eine willkommene Überraschung und soll im Verlauf der Solo-Kampagne immer wieder eingestreut werden und auch den klassischen Luftkampf und Geballer in der Schwerelosigkeit beinhalten.
Wie die Raumschiff-Gefechte verlaufen, zeigt das im Rahmen der Sony-Pressekonferenz veröffentlichte Material prima: schnell, direkt und offensichtlich nicht allzu anspruchsvoll. Die Entwickler verrieten uns, dass sich die Raumschiffsteuerung stark an der Shooter-Tastenbelegung orientiert. Der Boost wird wie der Sprint aktiviert. Ein Lock-On-Modus, der das seitliche Strafen des Jets erlaubt, wird mit der Kimme-und-Korn-Taste aktiviert und die Feuertaste ist da, wo man sie vermutet. Dennoch sollen die Dogfights nicht auf Schienen oder in Korridoren verlaufen. Wir genießen angeblich die volle Freiheit uns in alle Richtungen zu bewegen. Eine »realistische« Raumkampf-Simulation a la Elite: Dangerous erwarten wir allerdings nicht.
Apropos Raumkampf: Im Verlauf der Story können wir immer wieder mal optionale Missionen erledigen, die wir an Bord der Retribution auswählen, unserer Heimat und Operationsbasis. Diese Aufträge sind es, die das Gros der All-Einsätze darstellen. Drum kann, wer keine Lust auf derlei Sachen hat, diesen Teil des Spiels getrost ignorieren und erhält im Gegenzug ein kürzeres, klassischeres Call of Duty. Wer sich die Mühe macht, wird mit verbesserten Waffen und anderen Boni belohnt. Außerdem erlebt er reizvolle Übergänge zwischen Dogfights im Jet-Cockpit, den Kampf im Raumanzug und Gefechten an Bord gegnerischer Raumschiffe. Und auch da scheint die bekannte Call-of-Duty-Formel prima zu funktionieren.
Wenn sich Reyes mit einem Greifhaken zu im All schwebenden Trümmern zieht oder mit Spezialgranaten lokal die Gravitation aushebelt, wirkt das schön wild. Wir sind uns jedoch sicher, dass sich das sehr vertraut steuert und keinen Spieler dazu zwingt, sich sonderlich umzustellen. Ein Call of Duty ist halt zugänglich, ja einfach.
Und das ist sicher nicht jedermanns Geschmack – wir erinnern uns an die fast drei Millionen angefressenen YouTube-User. Doch Infinite Warfare vorzuwerfen, ein Call of Duty zu sein, ist einfach nicht konstruktiv. Jedes Jahr erscheint eines dieser Dinger. Wir wissen mittlerweile alle, welche Sorte Spiel uns Jahr für Jahr im November erwartet. Und dieses Jahr scheint das ein wirklich ordentlicher Vertreter der bekannten Formel zu werden.
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