Die Software-Beta sollte eine ernsthafte Phase sorgfältiger Testarbeit sein, wird im Marketingwirbel der Spielebranche aber immer öfter als Umsatz-Ankurbler missbraucht. Wichtigste »Tester«-Qualifikation ist oft die Geldbörse, mit der Beta-Touristen sich den Zugang über Vorbestellaktionen erkaufen. Spielt die Qualitätssicherung bei all der kommerziellen Zweckentfremdung nur noch zweite Geige? Wird »Beta« immer mehr zum verkleideten »Early Access«?
So manche Hirnrissigkeit legt schließlich den Verdacht nahe, dass die Spielemacher mehr denn je auf gesunden Testerverstand angewiesen wären. Da muss man nur Warner nach der PC-Version von Batman: Arkham Knight fragen. Oder Square Enix nach der Xbox-Version von Just Cause 3.
Der Autor
Heinrich Lenhardt (50) ist seit 1984 als Spieleberichterstatter tätig und war schon bei der GameStar-Erstausgabe im Autorenteam. Er konzipierte und leitete eine Reihe von Spiele-Zeitschriften, darunter Power Play (1987), PC Player (1992) und buffed-Magazin (2007). In seiner Freizeit schreibt er E-Books wie »Lenhardts Spielejahr 1984« und plaudert beim Spieleveteranen-Podcast mit.
Käufliche Beta-Einladungen
Exklusivität ist etwas Schönes. Je grimmiger der Türsteher und je länger die Schlange, desto begehrenswerter wirkt der Club. Und je geschlossener und limitierter die Beta, desto heißer sind Spielefans darauf, vorab einen neuen Titel auszuprobieren. Die Attraktivität von Beta Keys ist bei Promi-Programmen so groß, dass findige Publisher immer häufiger Profit daraus schlagen wollen.
Wer sich zum Beispiel einen Platz in der Beta des neuen Doom reservieren wollte, sollte bereits knapp zwei Jahre vorher ein ganz anderes Spiel vorbestellen - Wolfenstein: The New Order. Dass sich mit Betas für prominente Titel die Verkäufe von anderen ankurbeln lassen, nutzte auch Microsoft aus: Zugang zum Multiplayer-»Test« des Xbox-One-Kronjuwels Halo 5 gab es über die separat zu erwerbende Master Chief Collection.
Bei Multiplattform-Titeln überraschen zudem Exklusivitäts-Zeitfenster. Nur Vorbesteller dürfen in die Beta des neuen Hitman-Spiels rein, auf der PS4 eine volle Woche früher als bei PC und Xbox One. Es drängt sich der Verdacht aus, dass Square Enix hier nicht nur aus reiner Nächstenliebe Sony den Vorzug gibt. Viel Tamtam für ein bisschen Beta, bei dem man gerade mal den Prolog ausprobieren darf. Früher hätte man so etwas »Demo« genannt und der Allgemeinheit kostenlos zum Download angeboten.
Wie aus einem Beta-Test die reinste Wertschöpfungskette werden kann, hat Ubisoft gerade bei Tom Clancy's The Division vorgemacht. Zunächst durften nur Vorbesteller rein, dann gab's Keys auch als Sättigungsbeilage im käuflichen Clancy-Bundle. Und schließlich wird aus der geschlossenen Beta eine offene, um vor der Veröffentlichung möglichst viel Aufmerksamkeit zu generieren.
Mancher Vorbesteller, der nicht zulegt wegen des Beta-Privilegs vorab Geld hinlegte, dürfte über eine solche Entwertung seines Exklusivzugangs wenig begeistert sein. Das sind eben die Nebenwirkungen, wenn keine Gelegenheit zur Ausschlachtung des begehrten Guts »Beta-Einlass« ausgelassen wird. Und das ist bei Weitem nicht der größte Haken solches Kommerz-Betas.
Bespaßung statt Testarbeit
Wenn man für den Frühzugang Geld hinlegt, dann erwartet man Spaß statt Arbeit. Vergnügungssüchtige Beta-Touristen wollen ja nicht unbedingt als ernsthafte Tester zum späteren Erfolg des Spiels beitragen. Ein guter Betatest ist aber mehr, als die Server-Belastbarkeit unter dem Ansturm einer Spieler-Stampede zu prüfen und dabei Waffenstatistiken auszuwerten. Sorgfältige Tester füllen Bug-Reports aus, bewerten Missionen und melden Balance-Unebenheiten, sie diskutieren in Foren und tragen so ernsthaft zum Gelingen des Spiels bei.
Doch mit solcher Arbeit haben die neumodischen Marketing-Betas wenig zu tun. Das Problem mit dem Einlass gegen Bezahlung ist die Verschiebung der Zumutbarkeitsgrenzen und der Erwartungshaltung: Wie wackelig, schmutzig und instabil darf eine Version noch sein, ohne dass die Ausprobierer in den sozialen Netzwerken Zeter und Mordio schreien? Wie viel Testarbeit ist jemandem zumutbar, der ja für den Zugang bezahlt und damit einen gefühlten Anspruch auf Spaß hat?
Also ist der Publisher motiviert, im »Test« möglichst ausgereifte und geschniegelte Levels und Systeme zu präsentieren - an denen sich im Hinblick auf den Terminkalender auch nicht mehr viel ändern lässt. Aber darum geht's ja auch gar nicht in erster Linie, sondern vielmehr ums liebe Geld.
»Beta« scheint inzwischen als Synonym für jegliche Art von Publikumszugang vor dem offiziellen Release zu gelten. Mit einem Betatest, in dem geflissentlich gearbeitet, protokolliert und verbessert wird, hat das nicht unbedingt viel zu tun. Können wir uns zumindest auf einen neuen Namen für diese kommerzialisierte Form des Vorabzugangs einigen?
Electronic Arts ist da am Ehrlichsten: Wenn man zahlende EA-Access-Kunden schon fünf Tage vor dem offiziellen Release an ein neues Programm lässt, wird dieses Angebot als »Spiele als Erster« bezeichnet - käufliche Mitgliedschaft im Club der Ungeduldigen, ganz ohne Betatest-Ansprüche.
Ein faires Angebot: Unsere Meinung zu EA Access
Das geht noch besser
Ich kann nur hoffen und beten, dass der Aufwand für dieser Belustigungs-Betas nicht zu Lasten ernsthafter Test-Bemühungen geht. Diesen Verdacht könnte man zumindest angesichts mancher Großproduktions-Schlunzigkeit der letzten Zeit hegen. Dass die Schwierigkeitsbalance von The Witcher 3 im Spielverlauf aus dem Lot gerät, hätten ordentliche Tester den Entwicklern zuflüstern können.
Oder wie kann ein Bedienungs-Betriebsunfall wie das User Interface von Fallout 4 durch die internen Qualitäts-Checks flutschen? Und mit Input von externen Testern wäre auch die bisher hirnrissigste Designentscheidung des noch jungen Spielejahres vereitelbar gewesen, die zeitlimit-bedingte Hetze bei vielen Missionen des PC-Taktikspiels XCOM 2 (die Beliebtheit von entschärfenden Timer-Mods spricht für sich).
Das Publisher-Establishment darf zur Inspiration gerne die Crowdfunding-Szene studieren, wo engagierte Unterstützer sich frühzeitig zu Designentscheidungen äußern können - nicht, weil sie unbedingt die Ersten sein wollen, sondern weil ihnen wirklich etwas daran liegt, dass »ihr« Spiel gut wird! Diese Art von Feedback wäre für die Qualität des Endprodukts wertvoller als Gaudi-Beta-Tests, die vorrangig den Verkauf ankurbeln sollen.
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