Bloomberg-Journalist Jason Schreier hat vor Kurzem einen umfassenden Bericht veröffentlicht, in dem offengelegt wird, dass Gaming-Publisher Ubisoft unter noch tiefgreifenderem Sexismus leidet als bisher angenommen. Neben den Vorwürfen zur problematischen Arbeitssituation im Unternehmen geht aus dem Report außerdem hervor, dass die strukturelle Frauenfeindlichkeit auch die Entwicklung der Assassin's Creed-Reihe maßgeblich beeinflusst haben soll.
Alexios sollte ursprünglich gar nicht spielbar sein
Betroffen davon ist unter anderem Assassin's Creed Odyssey. Der letzte große Hauptableger der Reihe lässt uns bekanntlich entscheiden, ob wir lieber mit Alexios oder Kassandra ins Abenteuer ziehen. Wie Schreier berichtet, war das offenbar aber nicht der ursprüngliche Plan der Entwickler*innen: Eigentlich sollte ausschließlich Kassandra spielbar sein.
Dass Odyssey mit Alexios schließlich eine männliche Option bietet, sei laut Bericht der frauenfeindlichen Einstellung und letztlich Entscheidung von Serge Hascoet geschuldet. Als Chief Creative Officer nahm der im Rahmen der jüngst ans Licht gekommenen Ereignisse entlassene Entscheidungsträger maßgeblich Einfluss auf die Entwicklung von Ubisofts Titeln. Hier hatte er offenbar stets das letzte Wort, wenn es um die Ausrichtung der Marken sowie entscheidende Features ging.
Hascoets Aussage laut Bericht: Spiele mit Frauen in der Hauptrolle würden sich nicht verkaufen. Deshalb mussten die Entwickler*innen von ihrer ursprünglichen Idee abweichen, erstmals innerhalb der Assassin's Creed-Hauptreihe eine Heldin zur einzigen spielbaren Figur zu machen.
In Assassin's Creed Syndicate schlüpfen wir zwar in die Rolle der Assassinin Evie Frye, sie wird allerdings stets von ihrem ebenfalls spielbaren Zwillingsbruder Jacob begleitet. Meuchelmörderinnen in der Hauptrolle ohne männliches Pendant an der Seite (oder zur Auswahl) finden wir bislang lediglich in Spin-offs: In Assassin's Creed Liberation klettern wir als Aveline über die Häuserdächer, im Sidescroller Assassin's Creed Chronicles: China schlagen wir uns als Shao Jun durch die Gegnerreihen.
Weibliche Charaktere in der zweiten Reihe
Schreier zufolge sei Odyssey dabei nur einer von mehreren Ablegern der Reihe, deren Entwicklung von Hascoets Sexismus geprägt worden sei: Zunächst hätten die Macher*innen von Assassin's Creed Origins den Plan verfolgt Bayek schon sehr früh in der Geschichte sterben zu lassen oder ihn ernsthaft zu verletzen und stattdessen seine Frau Aya zur Hauptfigur zu machen. Das ist letztendlich aber nicht geschehen, weil es Hascoet untersagt hätte.
Entwickler*innen hätten Evie Frye in Syndicate zudem anfänglich ebenfalls eine größere Rolle zugeschrieben. Ihr Anteil an der Story sei am Ende aber maßgeblich reduziert worden, weil Hascoet gefordert habe, ihren Bruder Jacob zur wichtigsten Figur zu machen.
In Assassin's Creed Valhalla dominierte zunächst der männliche Eivor
Dass diese Einstellung nicht der Vergangenheit angehören, zeigt aktuell auch Assassin's Creed Valhalla. Im Marketing des kommenden Action-RPGs war zunächst fast ausschließlich der männliche Held zu sehen. Zwar betonte Ubisoft von Anfang an, dass wir im Wikinger-Abenteuer erneut die Wahl zwischen Mann und Frau haben, von Eivors weiblichen Variante fehlte in den ersten beiden Trailern allerdings jede Spur.
Die Heldin wurde darin nicht einmal gezeigt. Wie die weibliche Eivor aussieht, konnten wir zunächst lediglich anhand einer Figur erahnen, die als Teil der Collector's Edition ausgeliefert wird. In den ersten offiziellen Screenshots ist die Wikingerin hingegen nur ganz klein abgebildet und kaum als wichtiger oder gar als Hauptcharakter erkennbar.
Wirklich gezeigt wurde sie schließlich erst im Gameplay-Trailer vom Ubisoft Forward-Event, das am 12. Juli stattfand, nachdem Fragen nach ihr laut wurden.
GamePro hat Assassin's Creed Valhalla-Producer Julien Lafarriere in einem Interview im Vorfeld von Ubisoft Forward explizit danach gefragt, warum die weibliche Variante von Eivor in den ersten beiden AC Valhalla-Trailern nicht auftritt. Eine konkrete Antwort darauf bekamen wir aber nicht, vielmehr redete Lafarriere drumherum und betonte, dass Fans entscheiden können, wen von den Beiden sie spielen:
"Wir lieben Eivor, er/sie ist ein wunderbarer Charakter. Und wir lassen Spieler*innen entscheiden, ob sie lieber die männliche oder weibliche Variante verkörpern wollen. [Die Wahl des Geschlechts] ist auch innerhalb der Geschichte begründet, wovon wir aber noch nicht zu viel verraten wollen. Aber es gibt definitiv etwas spannendes zu entdecken, das sich sehr gut in die Lore von Assassin's Creed einfügt."
Die Implikationen des Berichts deuten aber darauf hin, dass wir die Antwort dennoch kennen: Spiele mit weiblichen Hauptcharakteren verkaufen sich in den Augen von Ubisoft nicht, weshalb sie im Marketing eine untergeordnete Rolle spielen.
Spiele mit weiblichen Hauptfiguren verkaufen sich sehr wohl
Dass das nicht zwingend stimmt, hat zuletzt The Last of Us Part 2 bewiesen, das mit Ellie und Abby zwei weibliche Heldinnen bietet und mit weltweit über vier Millionen Verkäufen innerhalb der ersten drei Tage zum am schnellsten verkauften Sony-Exclusive überhaupt wurde. Beworben wird Naughty Dogs Spiel ebenfalls mit den Protagonistinnen: Ellie ist auf dem Cover abgebildet und der Star mehrerer Trailer.
Sogar Abby, die aus Spoiler-Gründen eigentlich eine wesentlich kleinere Rolle im Marketing spielt, wird in einem Trailer gezeigt. Das Video von der Paris Games Week 2017 dreht sich ausschließlich um sie:
Den Erfolg von Spielen mit Frauen in der Hauptrolle beweist aber nicht nur das aktuelle Beispiel aus dem Hause Sony: Im Februar 2018 kürte das Unternehmen Horizon Zero Dawn mit 7.6 Millionen abgesetzten Einheiten im ersten Jahr zur bis dato erfolgreichsten neuen PS4-Marke aller Zeiten (diesen Titel hat sich mittlerweile Ghost of Tsushima geschnappt).
Mittlerweile hat sich das postapokalyptische Abenteuer der Jägerin Aloy allein auf der PS4 über 10 Millionen Mal verkauft (Stand Februar 2019); eine beeindruckende Zahl, die mit dem PC-Release am 8. August nur noch steigen wird.
Eine selbsterfüllende Marketing-Prophezeiung
Eine Erhebung von Ubisoft mag zunächst dagegen sprechen, dass ein Assassin's Creed-Spiel mit einer Heldin als einzige spielbare Figur genauso erfolgreich wäre wie ältere Titel mit rein männlichen Protagonisten: Wie Game Director Scott Phillips in einem Interview gegenüber Game Informer im Dezember 2018 verriet, wählten zwei Drittel aller Spieler*innen bis dato Alexios und ein Drittel Kassandra als Charakter in Odyssey aus.
Doch dieses Ergebnis kommt nicht von ungefähr: Wie oben schon erwähnt, spielen weibliche (Haupt)-Figuren innerhalb der Assassin's Creed-Reihe seit jeher eine eher untergeordnete Rolle. Altair, Ezio, Connor, Edward, Arno, Bayek - die Assassin's Creed-Community ist seit dem Release des ersten Teils im Jahr 2007 daran gewöhnt, hauptsächlich in die Haut von Männern zu schlüpfen.
Unterstützt wird das von einem einseitigen Marketing, das größtenteils nur die männlichen Helden in den Vordergrund stellt - auch dann, wenn eine weibliche Figur ebenfalls ausgewählt werden kann. Denn nicht nur Valhalla, sondern auch Odyssey wirbt primär mit dem Protagonisten. Alexios ziert die Teaserbilder auf Steam und Uplay, nicht Kassandra.
Link zum Twitter-Inhalt
Das Boxart der Retail-Version kommt zwar mit Wendecover, standardmäßig ist aber ebenfalls Alexios darauf zu abgebildet und ist schließlich der Held, den die Menschen im Laden zuerst sehen. Für Spontankäufer*innen und Personen, die sich gar nicht mit Odyssey beschäftigt haben, wird damit gar nicht direkt ersichtlich, dass es überhaupt eine weibliche Option gibt.
Das Resultat: Fans wird dadurch suggeriert, dass Kassandras männliches Gegenstück die eigentlich wichtige Figur darstellt, der "richtige" Hauptcharakter ist. Tatsächlich ist aber das Gegenteil der Fall: Ubisoft stellte kurz nach der Ankündigung von Odyssey in einer Fragerunde auf Twitter sowie Reddit klar, dass Kassandra als Heldin zum Kanon der Geschichte zählt. Screenshots, Banner und das Spielecover verschleiern diesen Fakt jedoch zugunsten einer männlichen Zielgruppe, die Ubisoft schon seit dem ersten Assassin's Creed primär anspricht.
Mit dieser Grundvoraussetzung bestätigt sich der Entwickler und Publisher seit Jahren im Prinzip immer wieder selbst: Die meisten Assassin's Creed-Spieler*innen wählen lieber den Mann, weil er in ihren Köpfen bereits als Hauptcharakter etabliert ist. Also wird für den nächsten Serienableger der männliche Held wieder ins Rampenlicht gerückt. Ein sich ständig wiederholender Kreis, den Ubisoft selbst am Laufen hält.
Nach 12 Assassin's Creed-Teilen wäre es für Ubisoft womöglich sogar riskant, das nächste Spiel der Reihe von Anfang an mit einer spielbaren Heldin zu bewerben. Doch dieses Risiko einzugehen, ist wichtig, um neue Zielgruppen anzusprechen. Bislang schließt Ubisofts Marketing Frauen und damit eine riesige neue Spielerschaft systematisch aus und bedient ein veraltetes Weltbild, das andere Publisher schon längst abgelegt haben.
Mit der Entlassung von Serge Hascoet und weiteren hochrangigen Mitgliedern, gegen die die Sexismus-Vorwürfe besonders schwer wiegen, hat Ubisoft schon erste Schritte eingeleitet, gegen Frauenfeindlichkeit innerhalb des Unternehmens vorzugehen. Bleibt zu hoffen, dass Jason Schreiers Bericht eine Art Weckruf für den Entwickler und Publisher ist und sich nicht nur die Unternehmenskultur ändert, sondern auch die Herangehensweise an Ubisofts Top-Marken wie Assassin's Creed.
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