Animal Crossing: New Horizons fühlt sich nicht wie die alten Teile an - und das ist auch gut so

War Animal Crossing früher wirklich besser? Und woher kommt es, dass das alte Animal-Crossing-Gefühl in New Horizons nicht mehr aufkommt? Diesen Fragen widmet sich Géraldine, die ein Fan der ersten Stunde ist.

Animal Crossing hat sich verändert. Aber ist das wirklich etwas schlechtes? Animal Crossing hat sich verändert. Aber ist das wirklich etwas schlechtes?

Früher war alles besser. Man bekam eine Kugel Eis für 50 Pfennig, man konnte die Backstreet Boys noch unironisch hören und an Weihnachten reichte es, selbstgemalte Bilder zu verschenken. Und wenn man vielen Stimmen von Animal-Crossing-Fans der ersten Stunde glauben darf, dann war auch unser aller liebste Spielreihe früher irgendwie besser. Seit Animal Crossing: New Horizons die Spielewelt im Sturm erobert hat, stellen mehr und mehr Fans von damals fest, dass es sich nicht mehr wie früher anfühlt. Aber stimmt das wirklich? Und woher kommt dieses Gefühl? 

Nachdem ich nun selbst schon viele Stunden in Animal Crossing: New Horizons verbracht habe, kann ich sagen: Ich liebe es, aber auch bei mir stellt sich nicht das gleiche Gefühl wie bei Animal Crossing für den N64 und GameCube oder Wild World ein. Und das ist keine bloße Nostalgie, sondern hat einige gute Gründe. Setzen wir also mal unsere Detektivhüte auf. 

Die Autorin
Kaum eine Spielereihe löst in Géraldine (@mighty_dinomite) so nostalgische Gefühle aus wie Animal Crossing. Sie liebt ihre Erinnerungen, wie sie als Kind Animal Crossing: Wild World mit dem DS auf den Knien auf dem Balkon ihres Elternhauses spielte. So sehr, dass sie auch New Horizons ausschließlich im Handheld-Modus spielt, um das Gefühl von damals wieder zu erwecken. 

Warum gibt es eigentlich Animal Crossing?

Um die folgenden Punkte wirklich zu verstehen, brauchen wir einen kleinen Exkurs, wie Animal Crossing anno 2001 entstanden ist. Der Animal-Crossing-Vater Katsuya Eguchi entwickelte das Spiel aufgrund seiner eigenen Erfahrungen, in eine neue Stadt zu ziehen und einen Neuanfang zu wagen. Mit allem, was dazu gehört: Neue Freundschaften, Dinge zum ersten Mal erleben, aber auch mal Einsamkeit und Scheitern. Und natürlich eine absurde Menge Schulden, um sich ein Dach über dem Kopf leisten zu können. 

Und genau diese Dinge sind es, die das "alte" Animal-Crossing-Gefühl ausmachen und die allesamt nicht mehr in New Horizons zu finden sind. Angefangen bei den Bewohnern. 

Beleidige mich!

Stellt euch mal vor, ihr zieht in eine neue Stadt. Euer korrupter Vermieter lacht euch dafür aus, dass ihr nicht genügend Geld habt, macht eine abfällige Bemerkung über eure Körpergröße und der erste Nachbar, den ihr trefft, nennt euch eine fette Zeitverschwendung. Im ersten Animal Crossing stand das ganz natürlich an der Tagesordnung. Und es war großartig!

Klar, als Kind konnte es mich schon mal verstören, wenn mein liebster Bewohner mir sagte, dass mein Gesicht abstoßend war. Aber heute wünsche ich mir die Zeit der wüsten Beleidigungen zurück. Alles ist besser als die immer gleichen Dialoge über das Gärtnern und das schöne Wetter in New Horizons. Obwohl es schon immer so war, wird im neuen Teil mehr denn je deutlich, dass es nur acht Charaktere mit verschiedenen Skins gibt. Und die sind teilweise auch noch erschreckend ähnlich. Wen mögt ihr lieber, den Miesepeter-Adler in weiß oder den Miesepeter-Adler in braun? 

Dialog 1 "Ich hoffe du gehst ins GEFÄNGNIS! Und dass dein dummes Haus ABGERISSEN wird, tee-hee!" Wenn wir nicht daheim waren, wenn Bewohner uns besuchen wollten, konnte die Enttäuschung schon mal groß sein. (Quelle: greatacdialogue.tumblr.com)

Dialog 2 "Du Elend! Du komplette Verschwendung! Du fetter, aufgeblasener Idiot!" Danke, Ihnen auch einen guten Morgen. (Quelle: greatacdialogue.tumblr.com)

Mal davon abgesehen, dass in New Horizons selbst die Miesepeter und hochnäsigen Charaktere nichts besseres zu tun haben, als mir zu sagen, wie toll sie mich finden. Kein Wunder, ich an ihrer Stelle hätte auch Angst, mir die Wahrheit zu sagen - denn ich bin ja die Königin der Welt.

Mein Weg in die Tyrannei

Tatsächlich geht es hier gar nicht nur darum, dass ich die witzigen Beleidigungen von früher vermisse, sondern auch das, wofür sie standen: Ich war ein Niemand. Im besten Falle konnte ich mich hocharbeiten zu einem Mitglied der Gemeinschaft, aber das war auch schon das höchste der Gefühle. In New Horizons werde ich an meinem ersten Tag zur Herrscherin der Insel erklärt, Bewohner brechen bei jedem meiner Worte in tosenden Beifall aus und alles dreht sich nur um mich.

Deswegen findet es auch niemand befremdlich, wenn ich plötzlich die Macht über die Schlafenszeiten meiner Bewohner habe, ihnen sagen kann, wie ihr Haus auszusehen hat und sie mich sogar um Erlaubnis bitten müssen, um aus meiner Diktatur … ähm, Inselgemeinschaft auszuziehen. 

Dass ich nicht alles kontrollieren konnte - das war es, was das alte Animal Crossing ausgemacht hat. Wenn ich erst am Abend zum Spielen kam, dann waren einige Bewohner vielleicht schon im Bett. Wenn mich mein Lieblingscharakter um 14 Uhr besuchen wollte, wenn ich noch in der Schule saß, war er am nächsten Tag wütend auf mich. Wenn ich einige Tage nicht spielte, konnte mich ein Abschiedsbrief einer geliebten Nachbarin erwarten. (Ich werde dich nie vergessen, Doro!)

Denn Animal Crossing war früher eine Lebenssimulation durch und durch. Mit Höhen und Tiefen, mit Dingen, die außerhalb meiner Macht lagen und mit dafür auch umso schöneren Überraschungen. Mal ehrlich, wann habt ihr New Horizons zuletzt wie eine Lebenssimulation gespielt? Euch wirklich mit euren Nachbarn unterhalten, einen Tagesablauf gehabt und kleine Geschichten erlebt? Ich persönlich bin so mit dem Grinden von Sternis, Meilen und Material beschäftigt, dass ich den Lebenssimulationsaspekt völlig aufgegeben habe. Er fühlt sich ja auch irgendwie bedeutungslos an, wenn alles ohne Probleme übers Internet gelöst werden kann.

Kollegin Eleen hat übrigens eine ähnliche Erfahrung mit dem ewigen Grind-Stress in Animal Crossing: New Horizons gemacht. Sie musste Animal Crossing erst kaputtspielen, damit sie es wirklich verstehen konnte:

Von der intimen Erfahrung zum Massenphänomen

Ein Discord-Server mit abertausenden Mitgliedern, auf dem im Minutentakt Bewohner zum Verkauf angeboten werden. Schatzinseln, auf denen man sich jedes Item ercheaten und unendlich viel Geld scheffeln kann. Ein Rübenschwarzmarkt. Listen über Listen, welche Charaktere am besten zu meiner angestrebten "Inselästhetik" passen. 

Ja, spätestens seit New Horizons ist Animal Crossing kein intimes und einzigartiges Erlebnis mehr, es ist etwas, das mit der ganzen Welt geteilt wird. Ich erlebe keine besonderen Geschichten mehr mit meinen Bewohnern, sie sind nur noch Massenware. Dekorationsobjekte für meine Insel, der ich ein Thema wie "Cottage Core" oder "Kid Core" oder "Farm Core" gebe. 

Ein Blick auf die Bewohner-Seite auf der Tausch-Website Nookazon kann schon mal ziemlich befremdlich wirken. Hier werden Charaktere wie Ware angeboten. Ein Blick auf die Bewohner-Seite auf der Tausch-Website Nookazon kann schon mal ziemlich befremdlich wirken. Hier werden Charaktere wie Ware angeboten.

Das letzte Puzzlestück in meiner Deduktion ist das Ausbreiten von Tom Nooks Kapitalismus in meine eigene Realität. Habe ich schon zu viel Geld für eine amiibo-Karte meiner liebsten Bewohnerin ausgegeben? Absolut. Habe ich einen Nookazon-Account, um seltene Items gegen eine Wagenladung Meilentickets zu erstehen? Schuldig. Und nicht falsch verstehen, das gemeinsame Spielen mit anderen und die Community sind meistens eine großartige Erfahrung. Aber sie sind der letzte Sargnagel des alten Animal-Crossing-Gefühls, bei dem man die Inseln seiner Freunde nur mit dem Austauschen von Memory Cards besuchen konnte.

Aber jetzt kommt’s. Haltet euch fest und setzt euch auf eure Froggy Chairs, denn ich werde hiermit meine sorgfältige Detektivarbeit ins Wanken bringen. Ich verkünde feierlich: New Horizons ist perfekt, wie es ist.

Animal Crossing ist nicht wiederholbar

Es wäre absolut unmöglich gewesen, ein weiteres Spiel wie das originale Animal Crossing oder Wild World im Jahr 2020 noch einmal zu verkaufen. Denn wenn wir mal ganz ehrlich sind: Es gab schon verdammt wenig zu tun damals. Ja, wir konnten uns mit Bewohnern unterhalten und fischen und unser Haus einrichten, aber irgendwann kam für uns alle der Tag, an dem all das ausgeschöpft war und wir das Spiel zum letzten Mal in die Hand nahmen.

Im Jahr 2001 war es revolutionär und beinahe einzigartig, ein Spiel zu haben, das in Echtzeit weiterläuft, euch Beziehungen knüpfen lässt und unendlich lang gespielt werden kann - ganz ohne Storykampagne. 20 Jahre später holt dieses Konzept niemanden mehr hinter dem Ofen hervor. Deswegen brauchte Animal Crossing eine neue Motivation und neue Ideen, um uns nach so langer Zeit nochmal gewinnen zu können. Die unendlich Individualisierung der eigenen Insel, das Craften und die Verknüpfung mit anderen Spielern ist genau das, was Animal Crossing gebraucht hat. Aber es ist auch der Grund, dass es sich nicht mehr so wie damals anfühlen kann. 

So gerne ich noch einmal in die heile Animal-Crossing-Welt von damals zurückreisen würde, so schnell würde sie mich heute auch langweilen. So gerne ich noch einmal in die heile Animal-Crossing-Welt von damals zurückreisen würde, so schnell würde sie mich heute auch langweilen.

Und obwohl ich mir zumindest die fiesen Dorfbewohner zurückwünsche, muss ich wohl einfach akzeptieren, dass die alten Animal Crossings selbst mich heute nicht mehr lange zum Spielen motivieren würden. Die Zeit ist vorbei. Deswegen genieße ich meine schönen Erinnerungen von damals und trete ein in eine neue Animal-Crossing-Ära. Mal schauen, wie die in 20 Jahren aussieht. 

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