Fehlender Feinschliff
Falls es Unklarheiten gibt, können wir natürlich die Autoren anschreiben und möglichst präzise Fragen einreichen. Im besten Fall bekommen wir zeitnah ebenso präzise Antworten. Und im schlechteren Fall bekommen wir nicht nachvollziehbare oder oft genug gar keine Antworten und müssen kritische Passagen erstmal vage oder unter Vorbehalt übersetzen.
Als Qualitätssicherung sollte dann ein Korrekturlesen folgen, das sich neben der Ausbesserung echter Fehler, zum Beispiel bei der Rechtschreibung, auch um solche Sonderfälle kümmert. Allerdings findet oft auch das Lektorat parallel statt, sodass auch die Lektoren nur scheibchenweise arbeiten können und im engen Zeitrahmen nicht immer die Chance bekommen, entscheidende Fragen eindeutig und abschließend zu klären. Mit anderen Worten: Hier fehlen aus Zeitgründen oft der finale Überblick und eine letzte Testphase.
Zeitprobleme wurzeln meist in aufgebrauchten Pufferzeiten bei der Entwicklung. Wenn der Release-Termin veröffentlicht wurde und es kein Zurück mehr gibt, legen die Hersteller mehr Wert auf die Finalisierung aufwändiger Elemente wie der Grafik. Die Veredelung der Texte und erst recht die Übersetzung stehen am Ende der Produktionskette.
Wir Übersetzer müssen mit der Zeit klarkommen, die dann übrig bleibt. Außerdem führt die Grundlage unseres Honorars, das auf der Menge der übersetzten Worte beruht, zwangsläufig zu Stress: Je mehr wir übersetzen, desto mehr verdienen wir. Im Grunde also ein klassischer Akkord an der Tastatur. Deshalb können auch nicht alle textlichen Unklarheiten rechtzeitig geklärt werden. Bei manchen Spielen müsste ich, um hundertprozentig sicher zu gehen, so viele Fragen einreichen, dass die Übersetzung doppelt so lange dauern würde.
Grafik- vor Text-Qualität
Ähnlich verklärt wie die Vorstellung des »spielenden« Übersetzers ist die Annahme, dass man als Nischen-Übersetzer für Videospiele wohl doch gutes Geld verdienen müsse. Denn auch im monetären Zusammenhang greift wieder die Problematik des Endes der Produktionskette.
Die Budgetgrenzen wurden schon von anderen Elementen gesprengt (Grafik!). Also versuchen die Hersteller jetzt bei der Lokalisierung zu sparen, wobei sich immer wieder Leute finden, die zu Konditionen arbeiten, die für professionelle Übersetzer schlichtweg keinen wirtschaftlichen Sinn ergeben. Und da ich auch als Korrektor arbeite, erlebe ich zunehmend, welche sprachlichen Auswüchse dabei entstehen. Es droht also immer mehr das Szenario, dass Videospiele nur noch von Menschen übersetzt werden, die diese Tätigkeit als Nebentätigkeit und nicht als Beruf wahrnehmen.
Ein weiterer Irrglaube ist, dass es für die Übersetzung von Spielen ausreiche, die englische Sprache gut zu beherrschen. Denn dies ist meiner Meinung nach weder ausreichend noch die wichtigste Voraussetzung. Da am Ende ein möglichst mitreißender Text für deutsche Leser stehen soll, braucht man vielmehr ein gutes und lebendiges Deutsch.
Ebenfalls schwer wiegt die Leidenschaft für unterhaltsame Texte. Übersetzer von Tabellenkalkulationen dürften mit Spielen Probleme bekommen. Ich selbst habe in meiner Kindheit und Jugend neben gehobener Lektüre auch Comics und »Groschenromane« verschlungen und profitiere heute davon. Und nicht zuletzt muss man ganz einfach bereit sein, trotz der zeitlichen Zwänge viel »harte Arbeit« zu investieren. Dazu zähle ich unter anderem die Recherche von Hintergrundinfos über die Spielwelt.
Mut zur Schere
Außerdem muss ein Übersetzer seine Werke kürzen können. Die deutsche Sprache ist, je nach Textart, um bis zu dreißig Prozent länger als die englische Sprache. Diese Überlänge steht uns aber nicht immer zur Verfügung, weil dann zum Beispiel die Texte ihre Rahmen sprengen. Oder weil die Stimme des deutschen Sprechers noch weiterläuft, während der Charakter auf dem Bildschirm schon den Mund hält.
Zwar gibt es Spiele mit flexiblen Grafiken für längere Übersetzungen und sogar Mechanismen, die die Mundbewegungen der Charaktere an den übersetzten Text anpassen. Beides ist aber leider noch kein Standard. Also müssen wir Texte einkürzen, ohne dabei wichtige Infos zu unterschlagen, und gleichzeitig darauf achten, dass der Stil gewahrt bleibt.
»Die Sprecher hatten keine Lust«
Einer der häufigsten Kritikpunkte von Usern und Kritikern lautet, dass die deutsche Sprachausgabe bisweilen lustlos klingt. Das kann mit der Übersetzung zusammenhängen, wenn der Übersetzer eine Situation falsch eingeschätzt hat.
Viel häufiger liegt es aber daran, dass weder den Übersetzern noch den Synchronsprechern »Drehbücher« zur Verfügung stehen, aus denen die Stimmung der Situation hervorgeht. In diesem Fall wissen auch die Sprecher nicht immer genau, in welcher Situation oder Gemütslage sich der von ihnen gesprochen Charakter gerade befindet. Und wenn dann der Dialogregisseur, der sich mit der Story eigentlich gut auskennen und den Sprechern wertvolle Informationen geben sollte, eben auch nicht im Bilde ist, stochern die Sprecher genauso im Dunklen wie wir Übersetzer. Dann wird ein Satz im Zweifelsfall eben lieber neutral eingesprochen, um missverständliche Betonungen zu vermeiden.
Der einfachste Ansatz für bessere Übersetzungen ist, dass die Publisher generell mehr Wert auf die Lokalisierung legen und sie in der Projektplanung im Voraus berücksichtigen. Einfach gesagt: Mehr Zeit brächte auch bessere Ergebnisse. Mit vergleichsweise geringem Aufwand ließe sich die Qualität von Übersetzungen so deutlich steigern. Grafik, Sound und andere Spielmechanismen verschlingen doch auch Millionenbeträge!
Zudem können auch die Spieler selbst zu besseren Übersetzungen beitragen, indem sie die Hersteller möglichst offen ansprechen und das Thema so weiter vertiefen. Wenn die Entwickler mit (noch viel mehr) konstruktiver Kritik konfrontiert werden, könnte ich mir schon vorstellen, dass sie aufgeschlossen reagieren. Schließlich haben sie durchaus ein eigenes Interesse daran, auch im textlichen Bereich das Beste aus ihren Spielen herauszuholen. Eine spannend erzählte Geschichte und mitreißende Dialoge sind für viele Spieler doch ebenso wichtig wie schöne Grafik und knalliger Sound. Für manche sogar noch wichtiger.
Kai Wichmann
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