Auch Scavenger legen sich schlafen
Überhaupt, die Atmosphäre. Wir könnten an dieser Stelle natürlich vom rauen, dreckigen Charme der Serie erzählen, von derben Kraftausdrücken und dem unverkennbaren Piranha-Bytes-Stil. Aber mal ehrlich: Das wissen Sie doch ohnehin schon. Wer Gothic oder Risen schon immer wegen dieser Qualitäten schätzte, der wird auch Risen 3 dafür schätzen. Und wer die beiden Serien schon immer bemüht auf Krawall gebürstet fand, der wird seine Meinung auch mit Risen 3 nicht revidieren.
Viel wichtiger erscheint uns, dass Humor und Erzählstil besser zum neuen, alten Szenario passen, dass sich die Spielwelt authentischer anfühlt und weniger konstruiert wirkt als im Vorgänger. An den typischen Piranha Bytes-Elementen hat sich übrigens nichts geändert: Noch immer gibt's einen dynamischen Tag- und Nachtwechsel, noch immer folgen die NPCs einem geregelten Tagesablauf, gehen also in der Mittagspause einen Happen essen und gießen sich abends gepflegt einen hinter die Binde.
Sogar die lokale Tierpopulation legt sich irgendwann aufs Ohr, wenn wir uns vorsichtig heranschleichen, können wir schlummernde Scavenger (ja, richtige, echte Scavenger, keine Seegeier) mit dem Schwert unsanft aus dem Schlaf reißen.
Alternativ zum Nahkampf gibt's auch wieder Fernkampfwaffen, die wir wie aus Risen 2 gewohnt mit der E-Taste auslösen, neben den bekannten Pistolen feiern beispielsweise auch Armbrüste ein leises, aber sehr effektives Comeback, Bogen haben wir in der angespielten Version hingegen noch keine gesehen.
Seelenlos
Dafür wirkte der Cooldown nach dem Abfeuern einer Fernkampfwaffe bemerkenswert kurz, aber das hängt laut Piranha Bytes nicht zuletzt mit den hohen Fähigkeitswerten des vorgefertigten Helden zusammen. Aus diesem Grund können wir auch noch keine Aussagen über die Balance treffen. Ob sich Risen 3 letztlich am direkten Vorgänger (der vielen Fans zu einfach war) oder doch eher an Gothic 2 (das manchen Liebhabern von Risen 2 zu schwierig erschien) orientiert, ist eine der spannenden Fragen der nächsten Monate.
Ebenfalls spannend: das neue Moralsystem. Zu Spielbeginn nämlich stiehlt ein Schattenlord unserem Helden die Seele - oder zumindest einen Teil davon. Die will der Protagonist im weiteren Spielverlauf natürlich wiederhaben, fraglich ist bloß, ob er bei der Suche danach seine restliche verbliebene Menschlichkeit riskiert. Diese Gratwanderung bildet Risen 3 über einen sogenannten Seelenwert ab.
Sind wir nett und hilfsbereit, dann steigt dieser Wert, verhalten wir uns wie ein rücksichtsloser Kotzbrocken, sinkt er. Außerdem werden wir beim Schlafen mit hübscher Regelmäßigkeit von Alpträumen geplagt, die ebenfalls den Seelenwert verringern, ohne dass wir (zunächst?) etwas dagegen unternehmen können.
In der gespielten Version hatte der Seelenwert noch keine spürbaren Auswirkungen, später jedoch soll er sich massiv auf Quests, das Verhalten von NPCs und sogar das Ende der Geschichte auswirken. Eine schöne Idee in der Tradition von The Witcher oder Mass Effect, restlos überzeugt sind wir von der bisherigen Umsetzung aber noch nicht. Warum beispielsweise verlieren wir beim Klauen keine Seelenpunkte, beim Lügen in Dialogen aber schon?
Ein hirnloser Gastwirt
Apropos Dialoge: Die sind zwar allesamt gut vertont (auch wenn manche Sprecher nicht immer zur Rolle passen), aber auch sehr hölzern und statisch inszeniert. Ein Problem, das sich schon seit jeher durch die Serie - und ihre Vorgängerserie - zieht. Vielleicht wäre Piranha Bytes gut beraten, die Antwortmöglichkeiten unseres Helden nicht konsequent auszuformulieren, das nimmt den Gesprächen zusätzliche Dynamik, weil wir Wort für Wort schon wissen, was wir im Anschluss sagen werden.
Die restliche Technik macht unterdessen einen soliden Eindruck, auch wenn Risen 3 grafisch natürlich nicht in einer Liga mit Dragon Age: Inquisition oder The Witcher 3 spielt - aber das kann man von einem 25köpfigen Team schlechterdings auch nicht erwarten. Die Texturen sind schärfer als im Vorgänger, die Weitsicht wirkt höher, die Vegetation ist angenehm dicht und plastisch, sie wächst im Gegensatz zum ungepatchten Risen 2 auch nicht mehr in Sekundenschnelle nach.
Außerdem bleibt der Held nicht mehr gefühlt an jeder Felskante hängen, clippt beim Klettern nicht einfach ins Gestein, und in rund fünf Stunden ist uns lediglich ein einsamer Bug aufgefallen: Während einer Unterhaltung zeigte die Kamera plötzlich das Schädelinnere eines NPCs. Immerhin wissen wir jetzt, dass der Wirt von Calador kein Gehirn besitzt.
Auf dem richtigen Weg
Ein abschließendes Lob verdienen sich die Quests der Dämonenjäger-Region, denn sie sind durchweg abwechslungsreich und spannend, typische »Hole dies«- oder »Töte das«-Aufträge bilden die Ausnahme. Wir haben unter anderem: ein uraltes Grimoire geborgen, einen nicht ganz alltäglichen Dieb ausfindig gemacht, einen Fluch gebrochen, einem alten Bekannten mit nostalgischer Freude ordentlich aufs Maul gehauen (er lümmelte vor dem Wirtshaus rum, Sie wissen schon) und sind auf Nachtwache gegangen.
Ach, die Nachtwache. Es gibt Rollenspiele, die würden einfach die Zeit nach vorne spulen, wenn wir den entsprechenden NPC bei Tageslicht ansprechen. Risen 3 tut das nicht. Risen 3 fragt uns stattdessen, ob wir noch alle Tassen im Schrank haben - und überhaupt wissen, was das Wort »Nachtwache« bedeutet. Es sind solche Momente, in denen man bemerkt, wie oft einen moderne Spiele wie einen ausgemachten Volltrottel behandeln; und wie wunderbar es ist, wenn am anderen Ende ein Entwickler eine Gegenleistung einfordert.
In diesen Momenten möchte man Piranha Bytes zurufen, dass sie auf den internationalen Markt pfeifen sollen, dass Gothic 2 nicht zuletzt deshalb so großartig war, weil es einen spröden, unverwechselbaren Charme versprühte. Solche Qualitäten darf man nicht opfern, die muss man kultivieren.
Es ist keine Schande, ein Spiel für Fans zu machen, ein Spiel, das nur in einem einzigen Land sein breites Publikum findet. Spiele von Piranha Bytes sind wie Sketche von Loriot: Man kann sie freilich in den USA zeigen, aber man muss sich nicht wundern, wenn keiner lacht. Der Fehler von Risen 2 bestand darin, etwas übersetzen zu wollen, das sich kaum übersetzen lässt. Die Chance von Risen 3 besteht darin, den gleichen Fehler nicht noch einmal zu begehen. Piranha Bytes ist auf einem guten Weg.
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