Nach der Ankündigung von Fallout 3 wussten viele Spieler nicht so recht, was sie vom Revival der Fallout-Marke halten sollen und wie Bethesda als neuer Entwickler an das Franchise herantreten wird. Daher wurde sich schnell auf einen einfachen Vergleich geeinigt: Fallout sei im Grunde wie The Elder Scrolls - nur eben mit Schusswaffen. Dass diese Gegenüberstellung nur bedingt funktioniert, weiß jeder, der sowohl Oblivion gespielt als auch durch das Ödland gewandert ist.
Mit dem Release von Red Dead Redemption gab es eine ähnliche Abkürzung im Marketing. Denn da Rockstar Games hier ja die Finger im Spiel hat, ist Red Dead Redemption im Grunde wie GTA - nur eben im Wilden Westen. Und wenn ihr mich fragt, dann passt dieser Vergleich sogar noch viel weniger. Red Dead Redemption mag sich eine grundlegende Architektur mit der GTA-Reihe teilen, aber die Geschichte von John Marston besitzt Qualitäten, die wir in GTA IV und GTA V nicht zu suchen brauchen.
Der Mensch hinter dem Wildwest-Klischee
Ich kann den GTA-Ablegern durchaus etwas abgewinnen und schon zu ihren frühen Top-Down-Zeiten begeisterte mich die Reihe mit der absurden Darstellung von Gewalt bei gleichzeitig grenzenlos wirkender Freiheit. Doch mit dem Schwenk zur vermeintlichen Seriosität von GTA IV und GTA V verlassen sich die Entwickler immer mehr auf satirische Rundumschläge, die gleich alles parodieren sollen, was die Americana-Kultur zu bieten hat. Aber all die Seitenhiebe gegen Facebook, Online-Dating, Korruption und Co. verpuffen ohne jeden Tiefgang und wirklich interessant wird es nur, wenn wir Treppen herunterfallen oder auf der Autobahn angefahren werden.
Hannes Rossow (@Treibhauskonfekt):
Hannes verkleidet sich auch auf Mottopartys zur Weimarer Republik immer als Cowboy und hat die Dollar-Trilogie Szene für Szene im Kopf. Seine Begeisterung für den Wildwest-Charme von Red Dead Redemption kommt also nicht von ungefähr. Dabei hat er mit den Entwicklern von Rockstar Games eigentlich ein paar Hühnchen zu rupfen. Doch mit John Marston hat das Team bewiesen, dass sie ihre dürftigen Geschichten auch deutlich besser erzählen können.
In Red Dead Redemption sorgte das besondere Setting dafür, dass sich die Entwickler vom Anspruch entfernen, die Realität abbilden zu wollen: Von der ersten Sekunde an ist klar, dass hier ein klassisches Film-Genre bedient wird. In Red Dead Redemption werden wir nicht etwa in Zeit der Jahrhundertwende versetzt, sondern in einen Mix aus den großen Italo-Western der 1960er und 1970er Jahre. Der Zwang, die übertriebenen Gewaltdarstellungen in den GTA-Spielen durch "unterschwellige" Satire zu rechtfertigen, fällt in Red Dead Redemption weg.
Hier wird die Brutalität durch den Topos des Wilden Westens legitimiert, wo sich Probleme noch durch abgefeuerte Kugeln lösen lassen. Die Verhältnisse sind so offensichtlich fiktiv und aus der Realität entrückt, dass die Satire links liegen bleiben darf und Rockstar sich auf Film-Klischees verlassen kann, um Geschichten zu erzählen. Red Dead Redemption ist nicht gerade originell, so viel steht fest. Und wenn wir uns die Darstellung der Frauenfiguren anschauen oder rassistische Implikationen untersuchen, dann wird Rockstar Games wohl nie besonders gut wegkommen.
Ein ganz besonderes Rockstar-Spiel
Das Abenteuer von John Marston hat viele Probleme, die ich nie leugnen würde. Aber hier hatte ich endlich die Gelegenheit zu erleben, wie es sich anfühlt, wenn Rockstar Wert auf erzählerische Momente legt und weniger durch bloßen Bombast zu beeindrucken sucht. Vermutlich gibt es in Red Dead Redemption keinen einzigen Dialog, den ich nicht so oder so ähnlich schon bei Sergio Leone gehört habe, doch der Fokuswechsel ist spürbar. Die wahren Protagonisten der GTA-Spiele sind Los Santos, Liberty City und Co., doch der Held von Red Dead Redemption ist eindeutig John Marston.
Während es für Tommy Vercetti, Niko Bellic und die anderen GTA-Antihelden immer auch um den American Dream geht, darf John Marston mit sich selbst in Konflikt stehen. Die zentralen Thema in Red Dead Redemption sind Schuld sowie Wiedergutmachung und eben nicht Reichtum oder Geltungsdrang. Gerade weil die Spielwelt in den Hintergrund rückt und die Charaktere an Wichtigkeit gewonnen haben, hat sich Red Dead Redemption aus dem Schatten der GTA-Reihe bewegen können.
Wer Red Dead Redemption gespielt hat, kennt den oft besungenen Magic Moment, als wir das erste Mal nach Mexiko gelangen und John Marston im vollen Tempo über die unbekannten Steppen jagt. Die übliche Spielmusik setzt aus und es erklingt die Gitarre von Jose Gonzales, der mit »Far Away« den nächsten Abschnitt unserer Reise kommentiert. Ein vergleichbarer Moment wäre in GTA 5 wohl undenkbar, denn keine der Figuren besitzt die nötige Tiefe, die dieser Szene Bedeutung verleihen könnte.
Red Dead Redemption ist kein besonderes Spiel, aber es ist ein besonderes Rockstar-Spiel. Auch wenn es auf dem ersten Blick nicht so scheint, wurde hier ein erfolgreiches Konzept um die eigene Achse gedreht und mit neuen Eigenschaften versehen. Und allein deswegen bin ich schon jetzt auf Red Dead Redemption 2 gespannt.
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