Es ist ein denkbar schweres Erbe, das Satoru Iwata Mitte 2002 antritt: Mit gerade mal 42 Jahren soll er die Führung von Nintendo übernehmen, als erst vierter Chef in der 113-jährigen Unternehmensgeschichte. Und als erster Firmenlenker, der nicht aus dem Clan des Gründers Fusajiro Yamauchi stammt.
Chef Nr. 3, der seit 1949 regierende und ebenso smarte wie starrköpfige Hiroshi Yamauchi, räumt 2002 seinen Posten - zu einer Zeit, in der Nintendo einer unsicheren Zukunft entgegensieht. Mit dem Gamecube ist man gerade dabei, ein zweites Mal in Folge vom Emporkömmling Sony auf die Bretter geschickt zu werden. Zudem hat das IT-Schwergewicht Microsoft vor kurzem ebenfalls den Konsolenring betreten – mit prall gefüllter Börse und dem festen Vorsatz, die Hoheit über das Wohnzimmer des 21. Jahrhunderts zu erkämpfen.
Wer dies (zunächst) schafft, ist jedoch Nintendo unter Iwatas Führung: Noch bevor die siebte Konsolengeneration mit der Veröffentlichung der Xbox 360 eingeläutet wird, verabschiedet man sich offiziell aus der virtuellen Materialschlacht. Iwata präsentiert auf der Keynote der Tokyo Game Show 2005 die »Nintendo Revolution« – eine Heimkonsole, bei der die technischen Spezifikationen zunächst außen vor bleiben, und bei der man sich einzig auf den neuartigen Controller konzentriert.
Gespür für neue Spieler
Die Wiimote, wie die Spielefernbedingung später heißen wird, soll durch ihre Einfachheit die Berührungsängste von Nichtspielern abbauen und so neue Zielgruppen für Nintendo erschließen. Wie beim Nintendo DS, der ebenfalls unter Iwatas Ägide entsteht und der Öffentlichkeit Mitte 2004 präsentiert wird, stößt das Konzept der Wii zunächst auf lautstarke, bissige Skepsis. Wie beim DS lässt der Erfolg der Wii die Unkenrufe aber rasch verstummen. Letztlich verkauft sich die Bewegungskonsole sagenhafte 101,52 Millionen Mal.
Dass Nintendo im letzten Jahrzehnt derartige Wagnisse eingeht, ist in weiten Teilen Iwatas Verdienst. Und dass Iwata an die Visionen von Doppelbildschirm und Bewegungsteuerung glaubt, hat viel mit dessen gut zwanzigjährigem Weg auf Nintendos Chefposten zu tun. »Wenn ich einer dieser Präsidenten wäre, die keine Erfahrung als Entwickler oder Ingenieur haben, hätte ich vielleicht eine eher lineare Weiterentwicklung des Controllers befürwortet,« sagt Iwata in einem Interview zur Revolution-Enthüllung.
Schon früh interessiert sich Satoru Iwata für Computer und Videospiele; ab seiner Studienzeit am Tokyo Insititute of Technology arbeitet er für das Entwicklerstudio HAL Laboratory, das von einer Gruppe junger Leute 1980 im Tokioter Elektronikmekka Akihabara gegründet wird. Er programmiert Spiele für VC20 (den Galaxian-Clone Star Battle), NES (3D Hot Rally, Hole in One Professional) und SNES (Earthbound), außerdem tritt er für zahllose Nintendo-Klassiker – von Ice Climber über Super Mario Bros. 3 bis zu etlichen Kirby- und Pokémon-Titeln – als Produzent auf.
Bereits als Chef von HAL Laboratory in den frühen 1990ern kümmert sich Iwata nicht nur um die Entwicklung von Spielen, sondern auch um ihre Finanzierung und Vermarktung. Als er 2000 endgültig zu Nintendo stößt, kennt er alle Seiten des Games-Business, vereint in seiner Person Technikkompetenz, Kreativität und Geschäftssinn.
Freundlich und feinsinnig
Gleichzeitig gewinnt Iwata in der Industrie und vor allem der Spielergemeinde durch seine gleichermaßen bescheidene wie offene Art viel Sympathie: Iwata demonstriert in YouTube-Videos seinen Respekt vor den vielen Nintendo-Fans, indem er sich intensiv mit ihnen und den kommenden Nintendo-Produkten beschäftigt.
Er bittet um Entschuldigung, wenn die Enttäuschung über eine maue E3-Pressekonferenz zu hohe Wellen schlägt. Er verzichtet angesichts der schwachen 3DS-Verkaufszahlen auf die Hälfte seines Gehalts. Und stets beweist er einen feinen, leisen Humor, der ein angenehmes Gegenstück darstellt zur blassen Entrücktheit japanischer Führungsetagen, aber auch zum brachialen Auftreten von Nintendos nordamerikanischem Marketingbulldozer Reggie Fils-Aimé.
Mit Satoru Iwata an der Spitze ist Nintendo einige Zeit lang über alle Maßen erfolgreich. Der Konzern wird in den letzten paar Jahren aber auch mit gewaltigen Herausforderungen - namentlich der miserablen Lage der jüngsten Heimkonsole Wii U - konfrontiert, die in naher Zukunft bewältigt werden müssen. Ob der vierte Nintendo-Chef das Unternehmen wieder zurück in die alte Wii-Erfolgsspur gebracht hätte, kann niemand sagen.
Was aber sicher ist: Satoru Iwata hat viel dazu beigetragen, dass die lange und wechselhafte Geschichte Nintendos noch ein bisschen länger und wechselhafter geworden ist. Dass Marken gepflegt, Visionen realisiert und einzigartige Videospiele geschaffen wurden. Und dass ein einst kauziger und verschlossener Videospielkonzern ein menschliches und freundliches Gesicht bekommen hat. Den irrwitzig schweren Balanceakt zwischen Tradition und Innovation, den alle Welt von Nintendo fordert und erwartet, muss nun allerdings ein anderer leisten.
Saturo Iwata ist am 11. Juli im Alter von 55 Jahren an Gallenkrebs verstorben.
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