Michel Ancel veröffentlicht via Instagram ein Bild von Beyond Good & Evil 2 – und die Hälfte des Internets spielt verrückt: Beyond Good & Evil 2! Endlich! Die andere Hälfte fragt sich derweil, was das alles soll. Was ist so besonders am Nachfolger eines Spiels, das seinerzeit am umgekehrten McDonald's-Effekt (keiner geht hin, trotzdem erfolgreich) litt? Dieser Text ist ein Versuch zu ergründen, woher die warmen Erinnerungen an den Vorgänger kommen. Beyond Good & Evil von 2003 ist eines dieser Spiele, die jeder kennt und liebt, die aber kommerziell hinter den Erwartungen blieben oder sogar richtige Flops waren. Ich selbst habe Beyond Good & Evil mittlerweile mehrmals durchgespielt. Dabei wirkt das durchgeknallte Open-World-Abenteuer des Rayman-Erfinders Michel Ancel aus heutiger Sicht spielerisch altbacken, Story und Dialoge an manchen Stellen fast schon fremdschämig. Zum Start vor 13 Jahren war der Titel allerdings für mich eine kleine Offenbarung.
Der Autor
Markus hat ein Faible für Underdog-Helden und ungewöhnliche Szenarien, also kam ihm 2003 Beyond & Good & Evil gerade recht. Apropos Faible: Auch das schmutzig-lustige Action-Rollenspiel von Peter Molyneux schlägt in diese Kerbe und gehört deshalb zu Markus’ Lieblingsspielen. Deshalb wäre es ihm auch lieber gewesen, Peter wäre nach dem letzten Fable 3 wie Michel Ancel mehr oder weniger in der Versenkung verschwunden, um in Ruhe am nächsten, echten Fable zu arbeiten. Da wäre uns allen viel erspart geblieben.
Das Ferkel und das Mädchen
Es ist fraglich, ob Michel Ancel das Konzept hinter Beyond Good & Evil heute bei irgendwelchen Geldgebern (zum Beispiel den Investoren von Vivendi) durchkriegen würde. Es fängt schon bei den Charakteren an: Die Heldin – eine Journalistin mit bunt geschminkten Lippen – geht ja noch, doch spätestens bei ihrem Onkel wird's absurd. Pey'j ist nämlich ein ausgewachsener Eber, der aber wie alle Tiere im Spiel aufrecht gehen und sprechen kann. Das gilt für die Rastafari-Nashörner in der Luftkissenboot-Werkstatt genauso wie für den vogelartigen Zeitschriften-Händler. Nur geringfügig weniger abgedreht ist die Story rund um die Alien-Invasion der DomZ, die für ihren Hohepriester Seelenenergie aus den Bewohnern des Planeten Hyllis zapfen. Logisch, dass sich Jade für die Widerstandskämpfer von IRIS aufmacht, die DomZ (und die zwielichtige Militärorganisation Alpha Section) auszuschalten.
Ich auf Heldenreise
Komische Charaktere, eine hanebüchene Story, warum finde ich Beyond Good & Evil dann so gut? Ganz einfach: Für mich ist Jades Abenteuer ein modernes Märchen. Schließlich sind alle typischen Elemente vorhanden: sprechende Tiere, eine böse Macht, eine tapfere Heldin. Dazu passt die märchenhafte Optik mit ihren rustikalen Häusern und den Pastellfarben. Und sicher hilft es, dass sich das Spiel ziemlich genau an das Konzept der Heldenreise von Joseph Campbell hält, komplett mit Berufung, Prüfung, Rettung usw. Stimmt schon, vielleicht würde sich der abgebrühte Markus von heute nicht mehr so leicht von Beyond Good & Evil verzaubern lassen, doch damals hat mich die Atmosphäre sofort in ihren Bann geschlagen. Ich denke aber auch, dass es just dieses vermeintlich kindlich-märchenhafte war, das damals viele Spieler abgeschreckt hat.
Mit Stab, Disk und Kamera
Spielerisch ist Beyond Good & Evil auf den ersten Blick ein heilloser Flickenteppich. Da wird gehüpft, gekämpft, geschlagen, geschossen, geschlichen, gerätselt, gerast, geklettert, geschoben, gezogen – und fotografiert. Vor allem Letzteres ist wichtig, denn nur wenn Jade Bilder der Hyllianischen Tierwelt macht, kommt Geld für Upgrades des Luftkissenboots in die Kasse. Oft genug braucht sie ihre Kamera auch, um Beweisbilder für die Machenschaften des Militärs zu schießen. Immer wieder ist Jade mit KI-Begleitern unterwegs, die sie für Schalterrätsel einsetzen kann und die lustige Kommentare abgeben.
Was all diese Elemente für mich zusammenbringt und -hält und die offene Spielwelt. Mit dem Luftkissenboot düse ich quer über Hyllis, schieße dabei DomZ ab und mache Fotos. Hin und wieder steht ein Rennen an, oder ich freue mich einfach beim Cruisen über die selbst heute noch einigermaßen anschaubare Welt. Logisch, mittlerweile hat diese Abwechslung jedes bessere Open World-Spiel zu bieten. Doch damals war diese spielerische Freiheit noch relativ neu. Zumal Beyond Good & Evil im Gegenteil zu den etwa gleich alten Spielen GTA 3 oder GTA: San Andreas das Kunststück schafft, diese Elemente nahezu perfekt zu verzahnen. Nicht nur deshalb ist der Vergleich mit der Zelda-Reihe vielleicht passender. Wie in Links Abenteuern bekommen es die Entwickler nämlich hin, mich an einem zarten roten Faden durch das Spiel zu ziehen, ohne dass ich mich in der offenen Welt vor lauter Freiheit verzettele.
Damals hui, heute okay
Würde Beyond Good & Evil heutzutage bei mir die gleiche Begeisterung hervorrufen wie 2003? Sicher nicht! Mittlerweile ist spielerisch bei den Open World-Titeln zu viel passiert. Und die Indie-Explosion haut uns ständig ungewöhnliche Szenarien und Grafikstile um die Ohren. Ein sprechendes Schwein? Gähn! Nein, Beyond Good & Evil ist ein Kind seiner Zeit, war dieser aber vielleicht um ein oder zwei Jahre zu weit voraus, um wirklich erfolgreich zu sein. Spannend wird, ob es Michel Ancel es bei Beyond Good & Evil 2 erneut schafft, so viele neue Ideen aufzufahren und sie wieder so gekonnt zu verknüpfen. Ich wünsche ihm auf jeden Fall viel Glück. Und wenn das Spiel gut wird, endlich auch den kommerziellen Erfolg, den es verdient.
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