Es heißt, Schüler können allgemein in zwei Gruppierungen aufgeteilt werden: Die Sprach-Talente und die wissenschaftlich Begabten. Bilingual aufgewachsen und mit den Leistungskursen Englisch und Deutsch, zählte ich zu Schulzeiten Sprachen zu meinen Stärken. Bei Chemie und Physik setzte mein Gehirn allerdings regelmäßig aus. Zu viel Theorie, nicht genügend Praxis. Und was bringt es mir überhaupt, die Trägheit von Körpern zu bestimmen?
Einer meiner Freunde legte mir damals dann das Spiel Portal ans Herz. Zunächst war ich skeptisch; das Ganze klang ziemlich technisch und der leise Zweifel beschlich mich, ob das wirklich etwas für mich sein könnte. Wie gut, dass ich damals über meinen Schatten gesprungen bin und zur Portal-Gun gegriffen habe.
Was ist "Mein Herz für Klassiker"?
In diesem wöchentlichen Format stellt euch die GamePro-Redaktion abwechselnd ein Spiel vor, das mindestens zehn Jahre ist und erklärt euch, warum es sich dabei aus unserer persönlichen Sicht (!) um einen Klassiker handelt. Mal ist es das Gameplay, das seiner Zeit voraus war, mal eine Story, die nie an Relevanz verloren hat oder einfach nur ein Spielelement, das uns nicht mehr aus dem Kopf geht.
Als ich in der Rolle von Testperson Chell in einer sterilen Forschungseinrichtung aufwachte und mich die Computerstimme von GLaDOS begrüßte, ahnte ich noch nicht, welche außergewöhnliche Spielerfahrung mir bevorstand.
Physik für Anfänger
Ich war ein Versuchskaninchen in dem Aperture-Labor. So weit, so gut. Wenige Sekunden nach Spielstart war es dann schon soweit: Ich durchquerte mein erstes Portal und fand wenig später eine Waffe, die auf Knopfdruck Wurmlöcher schoss.
Ein Sci-Fi-Traum, von dem ich nicht wusste, ihn zu haben, ging plötzlich in Erfüllung. Die Rätsel und Hindernisparcours, die mir die Entwickler von Valve noch vorsetzen sollten, habe ich in den ersten Spiel-Minuten gekonnt ignoriert. Zuerst musste die Portal-Gun auf ihre Tauglichkeit und variablen Nutzungsmöglichkeiten getestet werden.
Nachdem ich ein paar Probe-Schüsse abfeuerte, verlor ich mich tiefer und tiefer in einem reißenden Bewusstseinsstrom. Wenn ich an dieser Stelle zwei Portale erzeuge, kann ich mich selber sehen. Wie wäre es wohl, so eine Waffe im echten Leben zu besitzen? Ein Portal würde ich in der Küche und eins neben dem Sofa erzeugen, damit ich leichter an Essen komme. Woah, mit der Geschwindigkeit, mit der ich ins Portal reingehe, komme ich auch heraus …
Und ehe ich mich versah, erlebte ich die praxisorientierteste Physikstunde meines Lebens. Auf einmal waren Konzepte wie Momentum, Trägheit und Drehimpuls, die ich nur aus Hausaufgaben kannte und mit denen ich bisher nur quälende Erinnerungen verband, relevant und spannend.
"Was schnell hineingeht, kommt auch schnell wieder heraus"
Das Spiel erklärte mir in einer der ersten Test-Kammern die physikalischen Gegebenheiten, mit denen ich es zu tun hatte. Was mir als physikscheue Schülerin in Erinnerung blieb, war allerdings die Kurzfassung: "Was schnell hineingeht, kommt auch schnell wieder heraus." Wie sich herausstellte, eine überlebenswichtige Lektion in der Portal-Welt. Während ich nach dem ersten Ausprobieren und Herumspielen mit der Waffe ein Gebiet nach dem Nächsten erschloss, überwand ich zunehmend schwere und immer tödlichere Hindernisse.
Es hieß, in Lichtgeschwindigkeit zu reagieren, um dem sicheren Tod durch wild um sich schießende Roboter und ätzende Säurebecken zu entgehen. Nicht selten schwirrte mir dabei der Kopf, wenn meine Finger mal wieder schneller als mein Verstand waren und ich ohne weiter zu überlegen in ein Portal verschwand. Bin Millisekunden kam ich am anderen Ende des Raums heraus, war für einen Moment orientierungslos und brauchte zugegebenermaßen manches Mal meine Zeit, mich an den neuen Blickwinkel zu gewöhnen.
Mit zunehmender Spieldauer verinnerlichte ich jedoch die Mechanik, verteilte meine Portal-Schüsse überlegter und war schließlich mental bereits einen Schritt weiter, wenn ich eine der virtuellen Pforten betrat.
GLaDOS, du bezauberndes Miststück
Abgerundet wurde die wilde Teleportation von den freundlichen Kommentaren von GLaDOS, die absolut zuverlässig und vertrauenswürdig erschien. Okay, ab und zu spann das System und wichtige Informationen fielen regelmäßig durch Aussetzer der Sprach-Software unter den Tisch. Und auch Stanley Kubricks 2001: A Space Odyssey lehrte mich eigentlich, undurchschaubare künstliche Intelligenz zu fürchten. Dennoch hatte ich einen Funken Hoffnung, dass GLaDOS anders als die anderen KIs war. Was habe ich mich doch geirrt.
Sie gewann mit ihrer scheinheiligen Fürsorglichkeit mein Vertrauen, um mir im späteren Spielverlauf ihr gnadenloses wahres Gesicht zu zeigen. Statt Hilfe bekam ich immer wieder hinter Euphemismen versteckte Drohungen, ihre aufmunternden Worte entpuppten sich als dreiste Lügen. Die Atmosphäre in dem sterilen Labor verdichtete sich schließlich, als ich fernab der Versuchsräume heruntergekommene Kammern entdeckte, vollgeschrieben mit beunruhigenden Nachrichten aus vergangenen Test-Tagen, die mich vor der KI warnten.
GLaDOS trieb ein falsches Spiel mit mir und sicherte sich dennoch mit ihrem trockenen Humor, psychologischer Kriegsführung und mörderisch-sympathischen Art einen Platz in meiner Liste liebster Videospiel-Charaktere.
Oft kopiert, selten erreicht - das Spiel Portal zeichnet sich für mich aus der Mischung des weichenstellenden Gameplays und der denkwürdigen Antagonistin GLaDOS, zu der wahrscheinlich nicht nur ich bis heute eine Hass-Liebe pflege, als Klassiker aus. Deswegen geht mein Herz an dich, Portal.
Auch, wenn ich bis heute noch auf meinen Kuchen warte.
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