Wir gehen auf Selbstmord-Mission
Nicht falsch verstehen: Mass Effect 2 macht wahnsinnig viel Spaß. Denn so dünn die eigentliche Handlung auch sein mag, so komplex und überzeugend sind die Geschichten der Figuren, die ich im Laufe des Spiels für mein Team rekrutierte.
Wenn ich beispielsweise die völlig durchgeknallte Jack aus einem Weltraumknast befreie und anschließend mit ihr zu jenem Ort reise, wo sie als kleines Mädchen von Cerberus (von wem auch sonst?) zu grausamen Experimenten missbraucht wurde, dann ist das nicht nur toll erzählt, sondern erklärt auch plausibel, wie aus Jack eine selbstzerstörerische Soziopathin wurde.
Und wenn sich kurz vor dem Finale plötzlich Legion meinem Team anschließt, dann bricht das so wunderbar und trotzdem schlüssig die Konventionen des Vorgängers, dass der »Kerl« schnell zu meinem heimlichen Liebling wird, obwohl ich gefühlte 90 Prozent des Spiels ohne ihn (oder sollte ich sagen: ohne sie?) absolviert habe.
Diese emotionale Nähe zu meiner Crew ist, und das finde ich bemerkenswert, nicht nur Selbstzweck, sondern ein geradezu elementarer Bestandteil des ganzen Spiels. Denn wenn ich am Schluss einen letzten verzweifelten Angriff auf die Heimatwelt der Kollektoren fliege, dann lebt diese Selbstmordmission von der Gewissheit, dass meine Crew dabei draufgehen kann – und von dem Umstand, dass ich das unbedingt verhindern will.
Ich weiß, was du im letzten Mass Effect getan hast
Als Spielstand-Importeur begegne ich übrigens immer wieder Konsequenzen aus meinen Entscheidungen im ersten Teil – toll! Zum Beispiel habe ich es in Mass Effecteinfach nicht übers Herz gebracht, die letzte überlebende Rachni-Königin des Universums (und damit eine ganze Spezies) zu vernichten; in Mass Effect 2 übermittelt mir die Königin eine Botschaft und gibt mir so das Gefühl, dass ich eine wirklich bedeutende und moralisch richtige Entscheidung getroffen habe. Tiefere Befriedigung kann man aus einem Spiel wohl kaum ziehen.
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Und dann ist da noch die Sache mit Khalisah al-Jilani. Diese Schmierfink-Reporterin wollte nämlich im ersten Teil ein Interview mit mir führen, und naiv wie ich bin, stand ich ihr natürlich bereitwillig Rede und Antwort – bloß damit sie mir auch wirklich jedes Wort im Mund umdrehte und mich wie einen eingebildeten, alienhassenden Fatzke dastehen ließ. In meiner Verzweiflung habe ich ihr dann, auch wenn das sonst nicht meine
Rollenspiel-Art ist, kräftig eine geballert.
Und jetzt raten Sie mal, wer mir im zweiten Teil in der Citadel über den Weg läuft und ein Interview mit mir machen will? Genau. Aber diesmal bin ich vorbereitet. Diesmal baller’ ich ihr gleich eine.
Was ist Mass Effect 2?
Mass Effect 2 ist eine gewisse spielerische Geradlinigkeit vorgeworfen worden, das mag halt nicht jeder. Objektiv stimmt: Die Level sind im Vergleich schlauchiger geworden, die Kämpfe tendenziell einfacher, Geld finde ich jetzt an fest vorgegebenen Orten und mein Team entwickelt sich quasi von alleine weiter.
Da kann ich entsprechende Kritik schon verstehen, teilen muss ich sie deswegen nicht. Denn ich persönlich begreife Mass Effect 2 gar nicht als klassisches Rollenspiel, sondern als mitreißendes Science-Fiction-Epos zum Selberspielen.
Es vereint die Komplexität eines guten Romans, die visuelle Wucht eines perfekt inszenierten Films und die Interaktion des Mediums Computerspiel. Das Resultat ist faszinierende Unterhaltung, wie ich sie in dieser Form nirgendwo sonst finde. Und das reicht mir. Das reicht mir vollkommen.
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