Nur Sekunden, wenige Noten der Titelmelodie reichen aus, um einen Saal voller erwachsener Menschen in Jubelstürme und Freudentränen ausbrechen zu lassen. Kickstarter und das Gamingforum NeoGAF versagen unter einem User-Ansturm zeitweise den Dienst. Die Ankündigung der Crowdfunding-Kampagne für Shenmue 3 bringt Spieler, Journalisten und das halbe Internet kurzzeitig an den Rand des Zusammenbruchs. Nein, dass dieses Spiel gut ankommen würde, war wirklich nicht vorauszusehen - richtig, Sony?
Der große Bluff
Auf seiner E3-Pressekonferenz lädt der PlayStation-Hersteller den Shenmue-Erfinder Yu Suzuki auf die Bühne - und lässt ihn um Geld betteln. Zwei Millionen Dollar möchte Suzuki für Shenmue 3 sammeln, das auf Basis der Unreal Engine 4 entstehen soll. Shenmue 3, die Fortsetzung der Action-Adventure-Serie für Segas früh verblichene Dreamcast-Konsole, die Wiederbelebung einer Legende. Natürlich kommt dieser Plan gut an. Dennoch möchte Sony die Entwicklung angeblich nicht selbst finanzieren, sondern Suzuki nur eine Bühne bieten. Das ist an Scheinheiligkeit kaum zu überbieten.
Adam Boyes, der Vizepräsident von Sonys PR-Abteilung, behauptet allen Ernstes, die Ankündigung der Kickstarter-Kampagne für Shenmue 3 finde nur deshalb im Rahmen der Sony-Pressekonferenz statt, weil die Serie ein echter Liebling der Playstation-Fans sei. Shuhei Yoshida, der Präsident von Sonys weltweiter Spielesparte, ergänzt später in einem Interview, dass die Rechte an Shenmue ja weiterhin bei Sega lägen, der Start der Kickstarter-Kampagne auf der Sony-Bühne sei lediglich eine PR-Aktion gewesen.
Wenige Stunden und fast drei Millionen Dollar an Kickstarter-Spenden später (die erste Million hatte Shenmue 3 nach nur einer Stunde und 42 Minuten in der Tasche) kommt die Wahrheit ans Licht: Sony steigt als Publisher in die Entwicklung von Shenmue 3 ein. Gio Corsi, Sonys Director of Third-Party-Production gibt sogar zu, dass dieser Schachzug von vorneherein geplant war- und entlarvt damit die Lügen seiner Kollegen: Es sei von Anfang an der Plan gewesen, dass Sony die restliche Entwicklung von Shenmue 3 finanziere, wenn die Crowdfunding-Kampagne Erfolg habe. Nur die Spieler, die ihr Geld investierten, um einen Traum zu verwirklichen, die wussten nichts davon.
Das ist eine Perversion des Crowdfunding-Gedankens. Statt Entwicklern die Möglichkeit zu geben, unabhängig von Publisherwünschen und Finanzierungszwängen ihrem Traumspiel Leben einzuhauchen, missbraucht Sony Kickstarter als Marketing- und Umfragetool. Zugleich werden die gesammelten Spendenmillionen die Sony-Buchhalter erfreuen - dieses Geld müssen sie schon mal nicht selbst ins Spiel stecken. Das senkt das finanzielle Risiko für den Publisher. Und ist für die zahlenden Spieler ein Schlag ins Gesicht.
Wenn Sony zunächst die Nachfrage auf dem Markt prüfen will, bevor der Publisher zig Millionen in eine Fortsetzung von Shenmue investiert, ist das völlig verständlich. Schließlich ist Shenmue zwar ein Insider-Liebling, hat sich aber nie überragend verkauft. Übrigens auch, weil Sony den Dreamcast-Hersteller Sega mit aggressivem Marketing aus dem Markt gedrängt hat. Die Marktforschung unter dem Deckmantel einer Crowdfunding-Kampagne durchzuführen, ist jedoch mehr als dreist.
Sony missbraucht nicht nur Kickstarter: Unsere Kolumne zum Early-Access-Debakel von H1Z1
Eine neue Qualität des Missbrauchs
Der Missbrauch des Crowdfundings erreicht damit zwar eine neue Qualität, stattgefunden hat er aber schon vorher. Man muss sich nur anschauen, was auf Kickstarter gerade durch die Decke geht. Statt kleiner Indies, die das Geld dringend nötig hätten, sammeln große, professionell aufgestellte Projekte wie Bloodstained Spenden in Millionenhöhe. Doch selbst solche für Otto-Normal-Spieler unvorstellbaren Summen reichen nicht aus, um ein Spiel dieser Größenordnung zu finanzieren. Das lässt sich leicht an zwei Fingern abzählen. Am Ende brauchen Großprojekte also doch wieder einen Geldgeber. Das Crowdfunding dient nur noch dazu, Publishern zu beweisen, dass Interesse am Spiel besteht.
Auch die Entwicklungskosten von Shenmue 3 dürften weit höher liegen als die ursprünglich veranschlagten zwei Millionen Dollar. Denn die Unreal Engine 4 mag für Entwickler zwar erst mal kostenlos sein, die Entwicklung hochdetaillierter Charaktermodelle und Umgebungen aber nicht. Je detaillierter und technisch hochwertiger ein Spiel, desto höher steigen die Entwicklungskosten. Zwei und selbst die inzwischen angesammelten drei Millionen sind auf dem heutigen Blockbuster-Markt nur Tropfen auf den heißen Stein. Mal ganz davon abgesehen, dass ein Milliardenkonzern wie Sony diese Summen aus der Portokasse vorschießen könnte.
Unter dem Einstieg der »Big Player« ins Crowdfunding-Geschäft leiden vor allem die kleinen Projekte. Die Entwickler, die wirklich auf jeden Cent angewiesen sind. Denn das Budget der potenziellen Kunden ist endlich. Und wer schon 50 Kröten in Shenmue 3 gesteckt hat, überlegt sich zweimal, ob er auch noch 5 Dollar in ein unbekanntes Liebhaberprojekt investiert.
Sollte das Beispiel von Sony Schule machen, ist die Traumfabrik Crowdfunding bald Geschichte. Die Spendensammlung wäre nur noch eine weitere Säule des Vorbestellungsgeschäfts - direkt neben Preorder-DLCs und exklusiven Vorabzugängen. Eine Säule, bei der allein wir Kunden das finanzielle Risiko tragen. Denn das Geld gibt's nie zurück, selbst wenn das Spiel gar nicht erscheint. Und was hielte denn nun beispielsweise Electronic Arts davon ab, via Kickstarter ein neues Ultima zu finanzieren? Das hätte gewiss auch viele Fans …
Aber wenn ich ein Spiel unterstütze, dann ist das eben keine Vorbestellung. Es ist eine Investition in eine Idee, in einen Traum, in das Spiel, das ich spielen will und das seine Entwickler produzieren wollen, ohne dass ihnen marketingorientierte Anzugträger dazwischenfunken. Und so soll es auch bleiben.
Also Sony, ihr habt euer Ziel erreicht. Die Aussage des Crowdfunding-Stimmungsbarometers könnte nicht klarer sein. Shenmue 3 wird sich verkaufen wie geschnitten Brot. Nun geht den einzig richtigen Schritt: den Schritt zurück. Blast die Kickstarter-Kampagne ab, gebt den Fans ihr Geld zurück und füllt das Loch aus eurer eigenen Tasche. Erfüllt einmal euer eigenes Motto »This is for the players«. Und überlasst das Crowdfunding dann wieder den Projekten, die wirklich darauf angewiesen sind.
Der Autor
Weil Johannes damals mit Herz und Seele dem Nintendo 64 verfallen war und ihm die Dreamcast nicht in Haus kam, hat er mit Shenmue selbst ziemlich wenig am Hut.
Trotzdem geht ihm die Art und Weise, wie Sony die Fans des Action-Adventures an der Nase herumgeführt hat, gehörig gegen den Strich.
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