Der Film pfeift auf die Gesetze der Physik, hat eine stereotype Unterscheidung zwischen Gut und Böse, eine konstruierte Geschichte voller bequemer Zufälle und ist an Pathos kaum zu übertreffen. Aber: Er ist unterhaltsam erzählt, hat genau das richtige Tempo für die Story, nimmt sich an den richtigen Stellen selbst nicht allzu ernst, bietet einen charismatischen Cast und schafft es irgendwie einen patriotischen Nerv zu kitzeln. Perfektes Popcorn-Kino eben!
Die Rede ist allerdings von »Independence Day«, dem 20 Jahre alten Original. Die Fortsetzung Independence Day: Resurgence - oder zu Deutsch »Wiederkehr« - ist dagegen ein echter Katastrophenfilm, und das in jeder Hinsicht. Die schlechten Attribute werden anstandslos übernommen und die guten nie erreicht. Eine fast schon dreiste Nacherzählung des Originals, die aber auf alles noch eine Schippe draufzusetzen versucht.
Ein Film, der so sehr damit beschäftigt ist, die Erfolgsformel zu wiederholen, dass er dabei völlig aus den Augen verloren hat, weshalb der Vorgänger überhaupt diesen Kultstatus erlangen konnte. Ein Film, der etwas zu einem Franchise aufbläst, das nie hätte eines werden sollen und uns ein Potenzial vorgaukelt, dass überhaupt nicht da ist. Eine echte Katastrophe eben.
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Der Autor
Seit Marco im zarten Alter von 6 Jahren festgestellt hat, dass James Bond von mehr als einer Person gespielt wird, hat ihn das Thema Filme und wie sie produziert werden, nicht mehr losgelassen. Mittlerweile hat er seine Leidenschaft zum Beruf gemacht und betreut in Eigenregie für uns den YouTube-Kanal Nerdkultur. Dort sind Ausflüge in den Weltraum Tagesgeschäft.
Ein schweres Erbe
»Resurgence« scheitert also an einem schweren Erbe. Wobei schon das natürlich strittig ist. Die eingangs erwähnten Negativaspekte des Vorgängers überwiegen für viele, weshalb »Independence Day« durchaus als überschätzt bezeichnet werden kann. Aber für eine bestimmte Generation nimmt dieser eine ganz andere Stellung ein. 1996 war er ein nie dagewesenes Effektspektakel, dass die Invasionsfilme auf ein völlig neues Level anhob. Und auch wenn die einst sagenhaften CGI-Effekte heute angestaubt wirken, die explodierenden Miniaturmodelle haben nichts von ihrer beeindruckenden Wucht verloren.
Das Ganze ist getragen von einem Cast, der trotz aller Zerstörung die unterhaltsamen Zwischentöne trifft. Angeführt vom damaligen Serienstar Will Smith auf dem vorläufigen Höhepunkt seiner Karriere. Ein Jahr zuvor hatte er sich mit dem kultigen »Bad Boys« von seiner Rolle als »Fresh Prince of Bel-Air« emanzipieren können und »Independence Day« machte ihn endgültig zum Publikumsmagneten.
Dass gerade Will Smith, der in den letzten Jahren nicht immer das glücklichste Händchen bei der Rollenauswahl hatte (After Earth, Focus), ausgerechnet hier ein Comeback ablehnte, spricht Bände. Statt die absolute Hauptrolle in einer Fortsetzung zu seinem einstigen Durchbruch anzutreten, versucht er sich lieber an der zweiten Geige in dem Comic-Ensemble-Film Suicide Squad.
Neu und doch alt
»Independence Day: Resurgence« kommt darüber auch nicht hinweg. So wird dem Zuschauer permanent unter die Nase gerieben, dass sein Captain Hiller bei einem Testflug um's Leben kam, er aber der größte Held aller Helden sei. Fußstapfen, in die sein Filmsohn Dylan (Jessie T. Usher) treten muss.
Tatsächlich übernimmt das aber eher sein eigentlich bester Kumpel Jake (Liam Hemsworth). Überhaupt gibt es einen albern wirkenden Überschuss an Piloten, die hochmoderne Kampfjets fliegen können, als hätten sie nie etwas anderes getan.
Womit wir bei den überstrapazierten Zufällen wären, die auch schon das Original geplagt haben. Der Film versucht den Verlust von Smith dadurch zu kompensieren, dass man fast jede noch so kleine Rolle aus dem Vorgänger aus der Versenkung holt - wirklich fast jede.
Von einem Totgeglaubten, einer beruflich aufgestiegenen Ex-Stripperin bis hin zu den Kindern - ganz unabhängig davon, ob sie auch wirklich zur Handlung beitragen. Hauptsache sie lösen einen Erinnerungsreflex beim Zuschauer aus: »Ah, da war ja was.«.
Das ist meist derart gewollt und konstruiert, dass es der Geschichte eher Steine in den Weg legt, als dass es den Nostalgiefaktor wert wäre. Und es führt dazu, dass sich selbst die nebensächlichsten Figuren über wenigstens zwei Ecken kennen.
Alt und doch anders
Die einzig wirklich interessante Komponente ist das Szenario. Hier wie da sind 20 Jahre seit der ersten Invasion vergangen. Die Menschheit hat sich mit der adaptierten Alien-Technologie und dem gemeinsamen Feindbild entscheidend weiterentwickelt. Es herrscht Weltfrieden und Einigkeit. In der Kombination erinnert das entfernt an das Szenario von »Star Trek«. Der Ansatz ist erfrischend anders, aber im Ergebnis gleich: Wir sind trotzdem den Aliens hilflos ausgesetzt.
Aber auch das wird zu einem Problem des Films, weil das Zukunfstszenario ein anderes Gefühl vermittelt als das Original. Dort stieß unsere Vorstellung von der realen Gegenwart noch mit der Hilflosigkeit angesichts einer außerirdischen Invasion zusammen. Das war interessant, machte uns neugierig, spielte mit echten Ängsten und konnte uns überraschen.
Jetzt kennt man den Feind, ist vorbereitet und nicht mehr in einer nahbaren Gegenwart verankert. Und auch wenn sich der Film alle Mühe gibt zu überraschen und die Überlegenheit der Aliens auszuspielen - beeindrucken wird das niemanden mehr.
Das mag nicht zuletzt daran liegen, dass zwar die Effekte tadellos sind, aber nicht spannend präsentiert werden. Regisseur und Produzent Roland Emmerich wird einmal mehr seinem eigenen Ruf gerecht und zelebriert eine seelenlose Zerstörungsorgie, die trotz aller Wahrzeichen arm an echten Höhepunkten ist. Das Understatement des Erstlings war wesentlich beeindruckender: ein langsam über die Weltstädte schleichender Schatten wirkt nunmal viel bedrohlicher, als effektreich auf den Kopf gestellte Kontinente.
Ein selbstreferentielles Zitatefeuerwerk
Wohlwollend gesehen ist das wenigstens originell. Weniger originell dagegen ist das Klauen beim eigenen Vorgänger. Man denke nur an eine beliebige, einprägsame Szene, einen überraschend witzigen Satz oder interessanten Drehbucheinfall: »Resurgence« kopiert ihn gnadenlos.
Das könnte man als Hommage missverstehen, ist aber eher eine Restewiederverwertung. Man badet sich in den alten Gags, denn die eigenen neuen sind leider noch überzeichneter. Das gipfelt in Charakteren, die einzig und allein für Kalauer zuständig sind, wie einem übertrieben nervigen John-Oliver-Verschnitt, aber nichts zur Geschichte beitragen. Das könnte man auch vom ersten Teil behaupten. Dort spiegeln sie aber gesellschaftliche Aspekte wider, wie die Scheidung, das Finden zur Religion und die Läuterung.
Unabhängig von den Gags findet das selbstrefentielle Zitatefeuerwerk aber einen einsamen, traurigen Höhepunkt, als wie zu erwarten der ehemalige Präsident (Bill Pullman) zu einer erneuten Rede ansetzt. Damals war sie trotz allem Pathos und Patriotismus in ihrer deutlichen Anlehnung an Shakespeares »Heinrich V.« unheimlich effektiv und mitreißend. Man wäre am liebsten selbst in einen Kampfjet gestiegen, um den Aliens in den Hintern zu treten.
In der Neuauflage scheitert sie alleine schon an Ort und Zeit. In dem Moment, in dem Präsident Whitmore ausholt und aus einem normalen Dialog (!) eine Rede aus dem Stehgreif hält, ist das unfreiwillig komisch. Man fragt sich, ob das gerade sein Ernst ist. Eine vertane Chance.
Ein Franchise, um von anderen Franchises lernen
Das ist überhaupt das Grundproblem von »Resurgence«: die eigene Überbewertung. Ein im Prinzip simpler Invasionsfilm wird zum epischen Franchise erhoben. Und der Anspruch nach »Mehr« führt zu »Mehr«: mehr Action, mehr Comic-Reliefs, mehr Charaktere, mehr Hintergründe zu den Aliens. War deren Motivation mit »Überleben durch Auslöschen« noch klar umschrieben, wird die Bedrohung jetzt noch weiter gespannt.
Außer bei den Größenverhältnissen, bleiben aber einmal mehr die eigenen Ideen auf der Strecke. Für ein neues Franchise bedient man sich hier lieber bei altbekannten Franchises. Neben Star Trek, sind das klar die Dogfights aus Star Wars, vergangene Kriege und Flüchtlinge der Transformers und eine Alien-Königin.
Licht und Schatten
Dass sich »Independence Day 2« durchaus bewusst ist, der Mittelteil einer Trilogie zu sein, schimmert also überall durch, wird aber zum Ende hin dem Zuschauer noch mal so richtig ins Gesicht geklatscht. Wer die ambitionierten Pläne von Emmerich bis dahin nicht kannte, wird sie spätestens jetzt kennen.
Das erfordert wenigstens ein paar einsame Lichtblicke. Und die gibt es: Liam Hemsworth ist noch am ehesten das, was man einen adäquaten Ersatz für Will Smith nennen könnte. Star-Trek-Urgestein Brent Spiner hat zwar die peinlichsten, aber mitunter besten Gags und Jeff Goldblum ist mit seiner trocken-zynischen Art kein großer Abfall zur ersten Inkarnation. In der deutschen Fassung fehlt aber schmerzlich seine verstorbene, ikonische Synchronstimme von Arne Elsholtz.
Der Schatten am Horizont ist aber so groß wie der eines Mutterschiffs. Denn genau das, was an »Resurgence« stört, die fehlgeleitete »Mehr ist Mehr«-Mentalität, ist genau das, was uns die nächste Fortsetzung deutlich verspricht. Sie wird nochmals eine Nummer größer sein. Wenn man schon nicht genau so gut wie das Original sein kann, dann will man wenigstens alles überbieten. Eine einzige Katastrophe ist wohl noch nicht genug.
Link zum YouTube-Inhalt
Zu einem etwas positiveren Schluss zu »Independence Day 2: Wiederkehr« kommen unsere Kollegen von Filmstars.de.
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