Als die GamePro im Herbst 2002 ihr Debüt gibt, nimmt die sechste Konsolengeneration gerade so richtig Fahrt auf: PlayStation 2, Xbox und Game Cube haben ihre Markteinführung vor zehn bis 18 Monaten hinter sich gebracht und erweitern beständig Spielekatalog und Fangemeinde. Der große Nintendo-Rivale des 20. Jahrhunderts hingegen – Sega – hat sich bereits im Vorjahr mit dem Dreamcast aus dem Hardware-Rennen verabschiedet und sucht nun sein Glück in der Unterstützung der einstigen Konkurrenz.
Weil sie ihre Liebe zunächst einmal gezielt verteilen, beeinflussen die traditionsreichen Japaner zweifellos die eine oder andere Kaufentscheidung: Wer Beach Spikers oder Skies of Arcadia spielen will, braucht den Game Cube, Panzer Dragoon und Jet Set Radio finden auf Xbox ein Zuhause, Virtua Fighter und Shinobi beehren die PS2.
GamePro-Jubiläum
Dieser Artikel ist Teil unserer Jubiläumswoche anlässlich des 20. GamePro-Geburtstages. Mehr Artikel dazu findet ihr in unserer Übersicht.
Startschuss zum modernen Dreikampf
Echten Einfluss übt das Unternehmen, das 2003 wieder in die schwarzen Zahlen kommt, auf den Lauf der Dinge allerdings nicht aus – entscheidend für den überragenden Sony-Erfolg in dieser Generation (Xbox und Game Cube schaffen es zusammen nicht mal auf ein Drittel der PS2-Verkaufszahlen) sind andere Spielemacher. Rockstar Games beispielsweise, die auch die Nachfolger ihres 2001er-Überraschungshits Grand Theft Auto 3 zuerst auf PS2 erscheinen lassen. Oder Square, die mit Kingdom Hearts ein neues, heißgeliebtes Universum auf PS2 erschaffen und auch nach der Vereinigung mit dem Rollenspiel-Rivalen Enix im April 2003 ihre Final Fantasy-Reihe zunächst Sony-exklusiv weiterführen.
Aber auch hauseigene Marken und Studios zementieren Sonys Führungsrolle – ob God of War oder Ratchet & Clank, Polyphony Digital oder Naughty Dog. Nintendo hingegen muss sich trotz großer Historie gar mit einem dritten Platz hinter Neueinsteiger Microsoft begnügen: Heute lassen sich altersmilde Spieler von der knalligen Farbigkeit und dem Kinderzimmer-Design des Game Cube verzaubern, doch den Anfang des 21. Jahrhunderts verbringt die Konsole im Schatten der erwachsenen Multimedia-Konkurrenz. Legendäre Spielereihen entstehen trotzdem – vom originellen Echtzeitstrategietitel Pikmin bis zu Metroid Prime, dem 3D-Abenteuer der NES-Ikone Samus Aran.
Newcomer mit Kriegskasse
Microsoft lässt sich von der Sony-Überlegenheit erst mal nicht beirren: Nach dem holprigen Start der Xbox sollen Studio-Übernahmen und der Aufbau einer komfortablen Online-Infrastruktur die Marke attraktiv und relevant machen – mit dem Ende 2002 startenden Service Xbox Live, Halo 2 oder dem Rollenspiel Fable (das beim 2006 übernommenen Peter-Molyneux-Studio Lionhead entsteht) gelingt das auch halbwegs. Der Kauf von Rare für 375 Millionen Dollar (kurz vor Erscheinen der ersten GamePro) erweist sich dagegen als Schuss in den Ofen. Den einstigen Nintendo-Überfliegern (Donkey Kong Country, GoldenEye) gelingen ein paar nette Titel wie Grabbed by the Ghoulies, die aber weder die Charts noch die Herzen der einstigen Fans erobern können.
Zumindest liefert Rare mit Perfect Dark Zero und Kameo gleich zwei optisch ansehnliche Startspiele für die Xbox 360, die bereits Ende November 2005 – kurz nach dem dritten GamePro-Geburtstag – die siebte Konsolengeneration einläutet. Als Killer App erweist sich aber das zweite Call of Duty – ein mitreißender 2. Weltkriegs-Shooter, der bei den ehemaligen Medal of Honor-Entwicklern Infinity Ward entsteht, die 2003 von Activision übernommen werden.
Zwei Jahre arbeiten 75 Leute (laut dem damaligen Chef Grant Collier noch ohne von oben verordneter Crunch Time) an dem damaligen Next-Gen-Titel, der ein (aus heutiger Sicht eher kleines) Budget von 14,5 Millionen US-Dollar verschlingt, aber bis Ende 2005 bereits auf einer Million Xbox 360-Konsolen Dienst tut.
Und mit dem der Jahresrhythmus der Call of Duty-Reihe debütiert, der nur durch Hinzuziehen weiterer Studios (Treyarch, Sledgehammer Games) möglich wird. Mit über 400 Millionen verkauften Einheiten wird Call of Duty in knapp 20 Jahren zur viertbestverkauften Spielemarke der Geschichte und zu einem der wichtigsten Umsatzbringer von Activision, die 2008 mit Vivendi Games zu Activision Blizzard verschmelzen, sich 2013 von der französischen Mutterfirma freikaufen und 2023 Teil von Microsoft werden sollen (sofern das US-Kartellamt zustimmt).
Erfolge freigeschaltet
Der Frühstart der Xbox 360, eine breite Dritthersteller-Unterstützung, Exklusivserien wie Halo oder Gears of War und die konsequente Weiterentwicklung von Xbox Live lassen Microsoft in der zweiten Hälfte der 2000er rasch Macht und Einfluss in der Konsolenwelt gewinnen. Mit der zweiten Xbox etablieren sich endgültig das Online-Spiel und System-übergreifende Identitäten auf Konsolen, mit Gamerscore und "Achievements" wird Gaming um eine ebenso simple wie süchtig machende Metaebene erweitert. Xbox Live Arcade stößt die Tür zur digitalen Distribution auf, die zunehmend von einer aufkeimenden Indie-Szene durchschritten wird. Am Erfolg der Xbox 360 ändern auch Image-schädigende Hardware-Probleme (Stichwort: Red Ring of Death) nichts.
Sonys nächste Konsole schwächelt hingegen: Wie zuvor die Xbox ist nun die im November 2006 (und bei uns wegen Produktionsengpässen gar erst im März 2007) startende PlayStation 3 spät dran und hat dank Ausstattung mit Blu-ray-Laufwerk, 60-GB-Festplatte, abwärtskompatibler Hardware, WiFi und allerlei Schnittstellen einen hohen Produktions- und somit Verkaufspreis.
Außerhalb Japans dauert es einige Jahre und Konsolenrevisionen, bis Sony langsam wieder zu Microsoft aufschließen kann, wobei die erfolgreichsten und bedeutendsten Titel – neben GTA 5 und Metal Gear Solid 4 – aus hauseigener Produktion stammen. Uncharted, Gran Turismo und The Last of Us prägen die PlayStation-Konsolen bis heute. Quantic Dream haben mit Heavy Rain und Beyond: Two Souls ihre große Zeit auf der PS3, und das 2010 übernommene Studio Media Molecule begeistert mit dem Do-it-yourself-Plattformer LittleBigPlanet, der auch das Maskottchen der PS3-Ära liefert: Die Häkelpuppe Sackboy.
Wedeln in Kyoto
Und Nintendo? Nach zwei weniger erfolgreichen Hardware-Generationen hat der Mario-Konzern Mitte der 2000er den richtigen Riecher und beschließt, nicht am Leistungswettrennen der Konkurrenz teilzunehmen, sondern über einen neuartige Steuermethode die Zielgruppe maximal auszuweiten.
Die Revolution (so der Codename der neuen Konsole), die der joviale, von vielen Fans verehrte und 2015 verstorbene Nintendo-Chef Satoru Iwata auf der Tokyo Game Show im Herbst 2005 der Öffentlichkeit präsentiert, ist ein Fernbedienungs-artiger Controller, der mittels Infrarot- und Beschleunigungssensoren die Bewegungssteuerung des Bildschirmgeschehens erlaubt. Eine ansteckbare Analog-Stick-Einheit (der "Nunchuk") erweitert die Möglichkeiten dieser "Wiimote", und ein optionaler "Classic Controller" soll die altgedienten Nintendo-Fans bei Laune halten.
Wichtiger als das Stammpublikum wird für die Ende 2006 erscheinende Wii aber tatsächlich die breite Masse: Das beigelegte Wii Sports animiert ganze Familien zu Bowling- und Tennisturnieren, dank Steppbrett-Controller halten sich Senioren mit Yoga und Aerobic fit. Kinder werden allerdings überschüttet mit primitivem Lizenz-Gefuchtel und durch die Verwendung der Wiimote in billigen Gewehr-, Angel- und sonstigen Controllern sammelt sich in den Wohnzimmern der Plastikmüll.
Branche in Bewegung
Mit über 100 Millionen verkauften Wii kehrt Nintendo zu alter Größe zurück und entscheidet diese Generation von den Verkaufszahlen her für sich, viele Dritthersteller fremdeln aber mit der schwachen Technik und sind enttäuscht von den eigenen Umsätzen – in den Wii-Top 20 tauchen mit zwei Just Dance-Titeln, zwei Mario & Sonic-Olympiaden und Lego Star Wars gerade mal fünf Nicht-Nintendo-Spiele auf.
Entsprechend zurückhaltend zeigt sich die Industrie bei der Nachfolgekonsole, die Ende 2012 erscheint und bei der Nintendo erneut einen Innovation-vor-Leistung-Ansatz verfolgt: Die Wii U unterstützt zwar endlich HD-Grafik, verwendet aber einen ungewöhnlichen Tablet-Controller. Der bringt fürs Spielerlebnis wenig, nervt dafür aber mit kurzer Akkulaufzeit und ist teuer in der Produktion, was spätere Preisanpassungen der Konsole für Nintendo schwierig macht.
Die breite Masse sieht in dem unglücklich getauften Gerät nur eine verzichtbare Deluxe-Wii, die Core-Gemeinde wartet lieber auf die neue PlayStation bzw. Xbox, und so kommt die Wii U in ein paar Jahren mit Ach und Krach auf gut 13 Millionen ausgelieferte Exemplare. Zumindest verdanken wir der Konsole mit Splatoon und Super Mario Maker zwei pfiffige neue Spielemarken.
Der "Second Screen" der Wii U lässt die Manager von Microsoft und Sony kalt, die plötzliche Popularität von Bewegungssteuerung hingegen nicht. Sony, die in diesem Gebiet bereits seit der PS2-Webcam EyeToy Erfahrung haben, bescheren der PS3 2010 den "Move-Controller", der allerdings nur von ein paar Spielen unterstützt wird und erst ab 2016 mit der PlayStation VR-Brille auf PS4 relevant werden soll.
Microsoft hingegen investiert in die Entwicklung von "Kinect", einer Leiste aus Mikrofon, Kamera und Tiefensensor, die die Körpersteuerung von Spielen möglich macht. Kinect wird positiv aufgenommen, mangels Exaktheit und Nutzen im klassischen Spielbetrieb bleibt es aber ein Gelegenheitsspieler-Gimmick. Was Microsoft allerdings nicht davon abhält, von der ganz großen Kinect-Zukunft zu träumen: Die neue Xbox One soll von vornherein mit einer aufgebohrten Version des Sensors ausgestattet werden, dank der Gesten- und Sprachsteuerung zum neuen Standard der Konsolenbenutzerführung werden sollen.
Aus Schaden klug
Der obligatorische Betrieb von Kinect (noch liegt Amazons Alexa zwei Jahre in der Zukunft) sorgt für Datenschutzbedenken, ist aber bei weitem nicht die einzige strategische Sackgasse, in die sich Microsoft bei der Enthüllung der neuen Xbox manövriert. Man plant ein "Always On"-Gerät, bei dem einmal am Tag die Lizenzen der darauf installierten Spiele via Internet bestätigt werden sollen, sowie die Verknüpfung von Disc-Spielen mit dem Nutzerkonto – zugunsten des Teilens von Spielen mit Familienmitgliedern soll dabei der Verkauf gebrauchter Games erschwert werden.
Die Reaktionen aus Branche und Publikum sind derart vernichtend, dass Microsoft eine 180-Grad-Wende hinlegt, am bisherigen Rechtemanagement nichts verändert und auch keine Verwendung von Kinect voraussetzt. Mitgekauft werden muss der Sensor trotzdem, als die Xbox One im November 2013 auf den Markt kommt, was sie 100 Euro teurer macht als die fast zeitgleich erscheinende, in puncto Leistung vergleichbare PlayStation 4. Erst über ein halbes Jahr später kommen Xbox One-Bundles ohne Kinect, 2017 wird das von den Spielern verschmähte Accessoire komplett beerdigt.
Der Image-Schaden allerdings ist angerichtet, viel Vertrauen verspielt. Nun ist Sony wieder am Zug, vieles richtig und besser zu machen als noch eine Generation zuvor. Wie Microsoft setzt der PlayStation-Konzern bei seiner neuen Konsole auf PC-nahe Hardware, die unter der Führung des scharfsinnigen Games-Veteranen Mark Cerny erheblich Entwickler-freundlicher gerät als die PS3.
Zudem lässt Sony vermehrt ambitionierte Exklusivspiele von seinem weltweiten Studio-Verbund entwickeln: Die 2019 übernommenen Insomniac Games liefern Spider-Man-Titel, die seit 2011 zum Unternehmen gehörenden Sucker Punch setzen die Infamous-Reihe fort und erfinden das atemberaubende Ghost of Tsushima.
Und die holländischen Guerilla Games lassen in Horizon Zero Dawn die Postapokalypse erstrahlen. Auch die stetig wachsende Indie-Szene bevorzugt (erneut wegen strategischer Fehlentscheidungen seitens Microsoft) erst mal die PS4, auf der das 2010 gestartete PlayStation Network zu einem dem langjährigen Klassenprimus Xbox Live ebenbürtigen Online-Dienst heranreift. Der digitale Spieleverkauf boomt, kleine und unabhängige Entwickler werden sichtbarer (verschwinden dann aber häufig doch wieder in der Masse an Neuveröffentlichungen), Abo-Modelle zur Befriedigung des Spiele-Grundumsatzes werden populär.
Langer, wilder Atem
Und Nintendo? Es wird gemunkelt und gerätselt, wie die zwingend nötige Wii U-Ablösung wohl aussehen mag, ob vielleicht das Hype-Thema Virtual Reality von den Japanern aufgegriffen wird. Doch es ist der Aufstieg des "Mobile Gaming" zum weltweiten Massenphänomen, der die Manager und Designer ab 2012 beschäftigt. Statt aber den erfolgreichen 3DS weiterzudenken und fortzusetzen, will man einerseits "Casual"- und "Core"-Nutzung, andererseits auch mobiles und stationäres Spielen auf einer Konsole vereinen.
Die Nintendo Switch entsteht – eine Hybridkonsole mit Touchscreen und abnehmbaren, Sensor-bestückten Controllern, die über ein Dock am Fernseher betrieben werden kann. Doch zum Start Anfang März 2017 begeistert nicht nur die pfiffige Hardware, sondern zuvorderst einer der bedeutendsten (und besten) Starttitel der Konsolen-Historie: The Legend of Zelda: Breath of the Wild – bis heute über 28 Millionen Mal verkauft, woran die gleichzeitig veröffentlichte Wii U-Version nur geringen Anteil hat.
Die Switch ist immer wieder ein rares Gut und verkauft sich bis heute ungebremst – Anfang 2022 lässt sie die Wii als erfolgreichste Nintendo-Konsole hinter sich. Diesen enormen Schub verleihen ihr (Nintendo-typisch) traditionsreiche Marken wie Pokémon, Super Smash Bros. oder Mario, der mit über 45 Millionen verkauften Mario Kart 8 Deluxe-Spielen das Feld anführt. Der gewaltige Erfolg der Switch mag auch dem verzögerten Anbruch der 9. Konsolen-Generation geschuldet sein.
Sony und Microsoft lassen sich so viel Zeit wie nie mit der Veröffentlichung einer neuen Hardware und liefern stattdessen zum ersten Mal in ihrer Geschichte technisch aufgebohrte Versionen ihrer Geräte. Ende 2016 bringt Sony die PS4 Pro, ein Jahr später Microsoft die Xbox One X, deren zusätzliche Leistungsstärke vornehmlich der Berechnung einer höheren Auflösung gewidmet wird – langsam halten Ultra-HD-Fernseher Einzug in die Wohnzimmer.
48 Jahre nach dem ersten Videospielgerät und 18 Jahre nach der ersten GamePro bricht im November 2020 schließlich die neunte und jüngste Konsolengeneration an – sehnlichst erwartet und ausgiebig gefeiert, trotz Absenz einzigartiger, überzeugender Starttitel. Was nichts an der Begehrlichkeit von PS5 und Xbox Series X ändert, die wegen Pandemie, Chipmangel und unterbrochenen Lieferketten bis heute tröpfchenweise im überhitzten Markt verdampfen.
So unvorhergesehen und ungeplant der Start dieser Generation aber auch verläuft, markiert sie doch deutlich eine Zeitenwende: Laufwerk-lose PlayStation- und Xbox-Varianten und die wachsende Bedeutung von Abo-Modellen und Service-Games weisen den Weg in eine Zukunft, in der Konsolen zwar zunehmend ohne physische Spiele auskommen, wo sie aber als universelle Unterhaltungsplattformen nur noch bedeutender werden. Und in der offenbar genügend Platz für jeden der drei Hersteller ist, die uns seit der Erstausgabe der GamePro begleiten.
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