Die Evolution hat begonnen
Ein Drei-Jäger-Team ist gleich deutlich harmloser, und ab einer Mannstärke von zwei sollten die Waidmänner besser ihr Heil in der Flucht suchen. Uns gelang es leider nie, die Wildtiere in Hinterhalten zu nutzen, doch wir können uns vorstellen, dass erfahrenen Spielern raffinierte Taktiken offenstehen. Sehr wohl empfanden wir jedoch Spaß dabei, das Monster in dieser frühen Phase einer Runde zu spielen. Es ist der reinste Thriller, vor der Jagdgemeinschaft zu fliehen und unterhält bestens - sicherlich auch, weil wir als Monster alleine spielen und auf niemanden Rücksicht nehmen müssen.
Ab Evolutionsstufe zwei des Monsters kippt das Spielgefühl deutlich. Mit einem Zusatzbrocken Lebensenergie und stärkeren Angriffen stellt es plötzlich eine ernste Gefahr dar, und auf Stufe drei ist es derart mächtig, dass die Jäger es bis dahin besser stark beschädigt und fest im Visier haben. Einer solchen Kreatur freien Spielraum zu geben, ist im höchsten Maße fahrlässig. Auch wenn viele unserer Matches mit ereignislosen Minuten begannen, so kam es doch später immer wieder zu intensiven Scharmützeln.
Bei unseren Probespielen wurden die Monster-Spieler ab Stufe zwei stets dreister und unvorsichtiger. Wir können es ihnen nicht verübeln, schließlich wirkt die Kreatur dann bereits optisch weitaus eindrucksvoller. Dazu kommt die Gewissheit, mehr Schaden auszuteilen, und schon werden Fehlentscheidungen getroffen. Ein Stolperstein ist etwa die Tatsache, dass der Energieschild eines Monsters komplett verschwindet, sobald es einen Wachstumsschritt macht. Die Jäger haben also immer wieder Chancen, das Monster zu stellen, etwa wenn es zu gierig futtert oder sich zu selbstbewusst auf einen Kampf einlässt.
Sind sie einmal nah an ihrer Beute, kann alles ganz schnell gehen. Der Fallensteller aktiviert seinen Energiekäfig und bindet das Monster mit Harpunen, der Soldat lässt seine Minigun rattern, Sanitäter und Support halten sich im Hintergrund und verteilen im richtigen Moment Schutzschilde oder Heilstrahlen. Solche Scharmützel sind für alle Beteiligten ungemein spannend. In der Rolle eines Jägers wirken sie wie der Bosskampf eines Koop-Shooters oder Online-Rollenspiels. Wir sind vollends damit beschäftigt, unsere Rollen zu erfüllen, Angriffen auszuweichen und gefallenen Kameraden aufzuhelfen.
Herrlich chaotisch
Als Monster empfinden wir einen Kampf ganz anders. Das Jägerquartett umschwebt uns mit seinen Jetpacks wie ein Schwarm Insekten. Keiner der Jäger richtet viel Schaden an, aber das beständige Niederprasseln von Projektilen, Betäubungspfeilen, Artillerieschlägen und Harpunen zermürbt uns rasch, wenn wir nicht aufpassen. Einzelne Jäger zu isolieren und auszuschalten, ist knifflig. Insbesondere der Sanitäter und der Support-Kämpfer mit seinem Schildstrahler verhindern immer wieder, dass wir dem Jägerteam ernsthaft schaden.
Es ist bemerkenswert, wie deutlich wir dabei spüren, dass da keine KI-Gegner mit uns ringen, sondern ein menschliches Team. Wir spüren, wenn es sich überlegen fühlt oder Panik bekommt, und wir werden misstrauisch, wenn es sich zurückzieht oder aufteilt. Wir trauen den Kerlen alles zu. Und das ist ein fantastisches Gefühl - zumindest in der Rolle des Goliath. Als Kraken empfinden wir hingegen bloße Überlegenheit. Er ist zu stark. Das Tentakelvieh kann fliegen, ist daher nur schwer fassbar, und mit seinen Fernangriffen reibt es das Jägerteam auf, bevor dieses eine gute Angriffsposition hat.
Wieder hegen wir den Verdacht, ein paar wichtige Taktiken zu übersehen, und wieder hilft uns Phil Robb weiter, indem er erklärt, dass der Kraken nur in der Luft stark ist. Zu Fuß (oder besser: zu Tentakel) ist er langsamer und muss auf seinen starken Fernangriff verzichten. Es gibt zahlreiche Mittel, um das Viech aus der Luft zu pflücken. Robb geht ins Detail: »Ein Betäubungspfeil zwingt ihn zur Landung, Griffins Harpune zerrt ihn ebenfalls langsam zu Boden. Gegen den Kraken spiele ich außerdem gern den Soldaten Markov. Seine Blitzkanone ist zwar nicht so stark wie andere Waffen im Spiel, ihre Reichweite macht sie aber zur perfekten Waffe gegen den Kraken.«
Emotionale Achterbahnfahrt
Wir stellen fest: Evolve ist komplex und anders. Den Shooter in nur wenigen Stunden vollends zu begreifen, das ist ein Ding der Unmöglichkeit. Dennoch fällt es uns leicht, eine positive Prognose abzugeben. Denn das Vier-gegen-Eins-Konzept funktioniert und unterhält prima. Einen asymmetrischen Shooter in dieser Form haben wir noch nie gespielt. Und selten haben wir bei einer Mehrspieler-Runde so viel gejohlt, geflucht und gelacht.
Auch wenn wir uns am Kraken die Köpfe einrannten, auch wenn das Monster in manchen Runden einfach nicht zu fassen war, und auch wenn uns die Umgebungen mitunter als zu düster erschienen, nutzte sich der Spaß nicht ab. Weil sich Evolve immer wieder anders anfühlt und weil es immer wieder andere Emotionen weckt - Freude, Frust, Überlegenheit oder Panik. Bezeichnend war eine Runde, in der Kollege Johannes Rohe in der Monsterrolle nur ganz knapp verlor. Er war danach völlig aufgewühlt, ja geradezu zittrig.
Dass Evolve solche Adrenalinschübe auslöst, ist bemerkenswert, und wir hoffen, dem Entwickler gelingen zwei essenzielle Dinge: Sie müssen das einzigartige Konzept sowie dessen zahlreiche taktischen Möglichkeiten gut vermitteln, und sie müssen Monster und Klassen gut ausbalancieren. Eine Evolution des Genres ist Evolve schon jetzt. Ob es am Ende eine Revolution wird, entscheiden die Spieler. Und die, so befürchten wir ein wenig, bringen vielleicht nicht alle die Geduld auf, um Evolve wirklich zu erlernen. Aber so ist es halt mit revolutionären Ideen: Bequem sind sie selten.
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