Meine Ankunft in Karnaca fühlte sich an wie ein wuchtiger Schlag ins Gesicht. Hatte ich in der Haut von Emily Kaldwin Hauptmann Ramsey und seine Männer im Palast Dunwalls noch ohne allzu großes Chaos hinter mich gelassen, riss mich die mediterrane Hauptstadt der Insel Serkonos wieder auf den harten, in Walblut getränkten Boden der Tatsachen zurück. Was ich mir nach einigen Bildschirmtoden wohl oder übel eingestehen musste: Ich bin eine verdammt miese Attentäterin, die sich mit ihrem Vorhaben, das Rätsel um die sinistre Hexe Delilah pazifistisch und möglichst unauffällig zu lösen, einen gigantischen Stein in den Weg gelegt hat.
Mit aller Kraft wehrte sich Karnaca gegen meine einfallslosen Schleichversuche. Es schien, als jagte mir die Stadt ihre Wachleute, Spürhunde und Uhrwerksoldaten hinterher, als sei ich ein Fremdkörper, der ihr Gleichgewicht auszuhebeln versucht. Erst als ich meinen Frust beiseite schob und mich auf die Welt von Dishonored 2 einließ, verstand ich, dass ihre Bewohner, Bauten und Gesetze, auf ihre ganz eigene Art und Weise funktionieren. Ich musste nur herausfinden wie.
Karnaca, Juwel des Südens und Klotz am Bein
Bei meinen ersten Versuchen, zunächst ungesehen eine Sperrzone und dann die allererste Lichtwand im Spiel zu durchqueren, scheiterte ich grandios: Ohne Plan und Orientierung drückte ich mich an Häuserwände, um vorsichtig das Gebiet zu erkunden. Doch jedes Bemühen endete stets im Zentrum einer großen Soldatentraube, die mich einmal im Klingensturm sofort niederstreckte und ein anderes Mal mit einer Hartnäckigkeit verfolgte, die ich sonst nur von Dark Souls-Ungetümen kenne.
Auf hartem Wege musste ich lernen, dass ich hier mit gewöhnlichen Schleich-Methoden ein schweres Leben haben würde: Deckungsmöglichkeiten, hinter denen ich mich in aller Ruhe verschanzen kann, um meinen nächsten Schritt zu planen, sind in den Straßen und Gebäuden rar gesät; die Faktoren Licht und Schatten spielen in der Stealth-Mechanik von Dishonored 2 ohnehin keine Rolle. Der Sichtkegel der Wachen indes erscheint im Vergleich zu anderen Stealth-Actionspielen wie Metal Gear Solid V: The Phantom Pain so groß wie der eines Matrosen, der auf einem Mast Ausschau nach feindlichen Schiffen hält. Auch Zivilisten arbeiten gegen mich und schlagen sofort lauthals Alarm, sofern ich mit erhobenen Waffen durchs etwaige Spielgebiet streife oder ihren Weg zufällig mit einem Bewusstlosen auf der Schulter kreuze.
Linda Sprenger (@lindalomaniac):
Linda stellt liebend gern ihre Geduld in Stealth-Spielen wie Deus Ex: Mankind Divided oder Metal Gear Solid V: The Phantom Pain auf die Probe. Umso verwunderlicher ist es, dass sie Dishonored: Die Maske des Zorns bereits nach wenigen Spielstunden wieder beiseite legte. Damals fand sie einfach keinen Zugang zur Spielwelt. Erst mit dem Nachfolger lernte sie, die wahren Qualitäten der Dishonored-Spiele zu schätzen.
Die Architektur der Stadt und die feine Wahrnehmung der Wachleute zwangen mich letztendlich zum Umdenken: Wenn doch die offene, lichtdurchfluete Straße den Wachmännern und dem gemeinen Pöbel gehört, dann bleibt für mich als diskrete Attentäterin mit dem Segen übernatürlicher Kräfte hingegen nur die Flucht nach oben. So schwang ich mich mit meiner Far Reach-Fähigkeit auf den Balkon über mir und huschte in Windeseile weiter auf ein Dach, auf dem ich eine Windmühle und damit das Lichttor deaktivierte. Abschließend knockte ich einen Soldaten mit einem schwungvollen Sprungangriff aus. Diskret und ohne den gesamten Distrikt in Alarmbereitschaft zu versetzen.
Doctor StealthMein erstes richtiges Erfolgserlebnis pumpte mir das nötige Adrenalin durch den Körper, das mich erst dazu motivierte, mich mit meinen Fähigkeiten und ihrer Wirkung auf meine Umwelt auseinanderzusetzen, sie zu kombinieren, mit ihnen zu experimentieren. Im späteren Spielverlauf wanderte die Fähigkeit Domino auf meine Favoritenliste, die mich in Kombination mit anderen Skills zu mal erfolgreichen und mal weniger erfolgreichen Kniffen verleitete.
Einmal kettete ich mit Domino zwei ahnungslose Gegner an meinen Schattendoppelgänger, den ich mit meiner weiterentwickelten Far Reach-Fähigkeit griff und in eine Lichtwand jagde. In der Folge tötete ich auch die beiden armen Männer, die meinem Double im hohen Bogen folgten und ebenfalls im Blitzsturm des Tores zerbarsten. Konsequenterweise musste ich das Spiel neustarten, amüsant war das Spektakel aber trotzdem.
Effizienz versus Experiment
Auch Adam Jensen, der Protagonist von Deus Ex: Mankind Divided, verfügt durch seine Augmentierungen über besondere Fähigkeiten. Skills wie die Glasschild-Tarnung, die mich kurzzeitig unsichtbar macht, oder dem Tesla-Schocker, mit dem ich entfernte Gegner betäuben kann, waren für mein Vorankommennicht unbedingt notwendig. Sie dienten allenfalls als zusätzliche Spielerei oder allerletztes Mittel in der Not.
Denn anders als Dishonored 2 regte mich das Level-Design von Mankind Divided weniger zu kühnen Versuchen mit dem eigenen Skill-Repertoire an. Vielmehr ließ es mich stets den schnellsten und effizientesten Weg einschlagen: In beinahe jedem Gebiet des Stealth-Action-RPGs finden sich Kisten, Paletten oder Schreibtische, die mir stets genügend Zeit verschafften, mir die Routen der Wachen zu merken und sie anschließend mit der Faust oder meiner Elektroschockpistole kampfunfähig zu machen. Bis zum Ende des Spiels verließ ich mich auf diese einfachen aber meistens erfolgreichen Handgriffe. Ich benötigte lediglich das richtige Timing und die eiserne Geduld eines Cyber-Agenten.
Immersive Welt
Natürlich ist es auch möglich, Dishonored 2 ganz ohne Fähigkeiten durchzuspielen, das könnte mitunter aber frustrieren, eben weil die meisten Level nicht für das klassisches Versteck- und Schleich-Spiel designt sind. Im Gegensatz zu Mankind Dividedfordert mich
Dishonored 2kontinuierlich neu heraus. Beinahe jeder Spielabschnitt, vom Addamire Institut bis zum großen Finale, verleitete mich nicht nur zu Kunststücken mit meinen Skills sondern zur Interaktion mit der Umgebung selbst: Ich staunte nicht schlecht, als ich versehentlich einen mächtigen Uhrwerksoldaten in Jindoshs Villa einfach mit einer mechanischen Wand zerquetschte, oder mit einer Schnapsflasche mehrere Blutfliegennester in Flammen setzte und mir somit einen alternativen Weg freilegte. Im Mikrokosmos von Dishonored 2 ergeben noch so abwegig klingende Situationen Sinn, nur musste ich sie durch stetiges Testen und Ausprobieren erst ergründen.
Wenn ich mich nicht gerade mit Wachmännern und anderen Feinden herumschlug, suchte ich in den dunkelsten Nischen und entlegensten Ecken immer wieder nach alternativen Wegen oder Items, die sich für mein Weiterkommen in der Hauptgeschichte als nützlich erweisen konnten. Das waren nicht nur Knochensplitter oder Runen, die ich zum Ausbau meiner Fähigkeiten benötigte. Auch das Absolvieren von Nebenquests verschuf mir entscheidende Vorteile für meine Reise zurück auf den Thron Dunwalls: Bei einem Abstecher in das allererste Schwarzmarktgeschäft des Spiels ließ ich mich von einer zwielichtigen Person namens Mindy Blanchard dazu überreden, eine Leiche zu stehlen.
Nach Abschluss des Auftrages stellten ihre Männer zur Belohnung den Strom der Bahnschienen ab, sodass ich problemlos zum Addamire Institut schreiten konnte, ohne dass die Wachen auf dem Weg jemals von meiner Anwesenheit erfuhren. Dishonored 2 steckt voller großer wie kleiner Geheimnisse, die mich wie ein Magnet zwischen Häuserschluchten, auf Dächer oder in Kanalisationen zogen. Je tiefer ich in die Welt eintauchte, desto müheloser schritt ich in der Hauptstory voran.
Ja, mein Einstieg in Dishonored 2 war alles andere als einfach. Die Welt schien sich konstant gegen mich zu stellen. Das Problem war aber nie Karnaca sondern meine eigene ideenlose Spielweise. Das Level-Design forcierte unaufhörlich waghalsige Entscheidungen und Experimente mit meinen Fähigkeiten und den Sonderbarkeiten der Welt. Jedes Level zwang mich zu einem kreativen Leichtsinn, für den ich sogar ständiges Neuladen in Kauf nahm. Es war einfach viel zu spannend, auszutesten, auf wie vielen Wegen ich an einer Lichtwand vorbeikommen oder ein Wachen-Duo aus einem Raum locken kann, um ihn anschließend auszurauben. Bevor es für mich auf den Thron Dunwalls zurückging, musste ich die Spielwelt erobern. Um all die raffinierten Wachen, boshaften Hexen und scharfsinnigen Uhrwerksoldaten hinter mich zu lassen, musste ich mich mit den ganz eigenen Gesetzen Karnacas vertraut machen. Und genau das bescherte mir eine der intensivsten Stealth-Erfahrungen der letzten Jahre.
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