Meine V scheint eine wirklich gefragte Persönlichkeit in Night City zu sein, denn sonst würden nicht gefühlt alle Bewohner*innen der Cyberpunk 2077-Metropole ihre Nummer besitzen. Ununterbrochen klingelt das Handy, und das zu meinem Leidwesen. Zu jeder Uhrzeit, an jedem Ort. Ganz egal ob ich auf dem Motorrad durch die Straßen brause oder mit einem wichtigen Charakter quatsche. Die stetigen Anrufe überfordern mich stellenweise maßlos und rauben mir damit den Spaß an der Erkundung von Night City.
Nein danke, wiederhören!
Mittlerweile bin ich so genervt von der ständigen Bimmelei, dass ich gegen bestimmte Nebenaufgaben deshalb sogar einen richtigen Groll hege. Vielleicht habt ihr es schon geahnt: Ich meine die Missionen des KI-Service Delamain.
In der Quest-Reihe "Epistrophy" sind mehrere in allen Stadtbezirken verteilte KI-Autos von ihren vorgesehenen Routen abgekommen, haben ihre Verbindung zu Delamain abgekoppelt und drehen nun ihre eigenen Runden durch Night City. Meine Aufgabe? Ich muss die fehlerhaften Fahrzeuge abfangen, quasi wieder auf die richtige Bahn lenken. Und wie sich herausstellt, erweist sich dabei Delamain selbst als hilfsbereit. Zu hilfsbereit.
Jedes Mal, wenn ich durch einen neuen Bezirk streife, klingelt die KI auf meinem Handy durch. Nur um mir mitzuteilen, dass sich in unmittelbarer Umgebung ein Taxi auf Abwegen befindet und ich es nun ausfindig machen soll. Ich tuckere durch die Hügellandschaften von North Oak? Ein Anruf von Del. Ich schlendere über die dichten Straßen von Wellsprings? Ein Anruf von Del. Ich brause durch die staubige Wüste der Badlands? Ein Anruf von Del!
"Hey V, eines meiner Fahrzeuge befindet sich in deiner Nähe!"
Alleine, wenn ich das Wort "Delamain" schon ausschreibe, springt mir sofort die glatzköpfige Taxi-KI vor Augen und bohrt sich mit ihrer Stimme mitten in mein Trommelfell. Ich kann es wirklich nicht mehr hören.
Linda Sprenger
@lindalomaniac
Linda hat trotz technischer Mängel und Bugs viel Spaß an Cyberpunk 2077, was insbesondere an den vielen dystopischen und größtenteils wirklich spannenden Geschichten liegt, die Haupt- und Nebenquests erzählen. Schade nur, dass Cyberpunk 2077 Spieler*innen bei der Open World-Erkundung mit Symbolen und Anrufen so sehr an die Hand nimmt, dass es stellenweise wirklich nervt.
Maximale Open World-Überforderung
Aber nicht nur Delamain, sondern auch etliche andere Charaktere zücken ihr Smartphone schneller, als V ihre Pistole ziehen kann. Denn viele der Haupt- und Nebenmissionen des Spiels entdecke ich nicht nach eigenem Tempo und Belieben selbst, sondern NPCs teilen sie mir per Anruf mit. Was in der Theorie wie ein praktischer Open World-Service klingt, ist in der Praxis allerdings furchtbar nervig. Denn Cyberpunk 2077 greift nicht nur auf altbekannte Teile der sogenannten "Ubisoft-Formel" zurück, sondern treibt sie sogar auf die Spitze.
Öffne ich die Map von Night City, dann springen mir wie in Assassin's Creed oder Far Cry etliche Symbole entgegen, hinter denen etliche Aktivitäten stecken. Zum Beispiel Cyberpsychos, die ich ausschalten oder Verbrechen, die ich bekämpfen soll. Und ähnlich wie in Ubisofts Spielen fühle ich mich schließlich auch in Cyberpunk 2077 so, als wäre ich in einer Quest-Tretmühle gefangen: Ich fahre nur von Symbol zu Symbol, arbeite nur noch ab.
Das Spiel nimmt mich zu sehr an die Hand, als dass es mich Aufträge und Charaktere auf eigene Faust entdecken lässt. In der Folge kann ich Night City gar nicht richtig genießen, nehme die Stadt kaum wahr.
Und wären die Symbole allein nicht schon genug, führt Cyberpunk 2077 mit den Telefonanrufen eine ganz neue – und viel penetrantere – Art der Open World-Hilfestellung ein. Sie erinnern mich nahezu im Minutentakt daran, dass noch unerledigte Quests auf mich warten. Damit ich ja nichts verpasse. Damit ich immer auf dem Laufenden bin und sofort weiß, was ich in Night City alles erleben kann.
Mein stummer Schrei nach Stille
Regina Jones, Wakako Okada oder eben mein besonders geliebter KI-Kumpel Delamain quatschen mich zu den unpassendsten Zeiten zu und reißen mich damit regelmäßig aus meinen eigenen Vorhaben heraus.
Ich kann ihre Anrufe weder wegdrücken, noch kann ich Gespräche abbrechen. Sie sind dabei jedes Mal so stressig und aufdringlich wie Werbe-Pop-ups, die mir beim entspannten Surfen durchs Netz vor die Augen springen und auch dann nicht verschwinden wollen, wenn ich verzweifelt wiederholt auf den Schließen-Button hämmere. Ich bin ihnen ständig ausgesetzt und muss mich ihnen ständig unterordnen.
Da will ich beispielsweise nur mal kurz von Heywood in die Badlands schnellreisen und werde natürlich ich genau in diesem Moment von einem neuen Klienten angeklingelt. Anstatt, dass ich jetzt aber auflegen und später einfach zurückrufen kann, muss ich nun warten, bis das Gespräch endet, weil die Fast Travel-Station währenddessen gesperrt ist.
Außerdem klingeln NPCs gerne mal durch, während ich gerade wichtige Story-Dialoge führe. Delamain will mir nämlich auch dann von einem verschwundenen Taxi berichten, wenn ich gerade ein ernstes Wörtchen mit Johnny, Judy oder Panam rede. Dialoge überlappen sich, Charaktere quasseln durcheinander, und ich bekomme gar nichts mehr mit.
Höchstwahrscheinlich handelt es sich hierbei einfach nur um einen Bug, ironisch ist es aber dennoch: Das Spiel achtet so streng und eifrig darauf, mich auf offene oder neue Quests hinzuweisen, dass es mich nicht nur bei der Erkundung stört, sondern letztendlich auch seine eigene Story kannibalisiert.
Rare Momente der Ruhe
Dabei geht es doch auch anders. Cyberpunk 2077 lässt durchaus Raum für Momente, in denen ich spannende Geschichten und Charaktere in Night City tatsächlich selbst entdecke.
Wenn ich etwa gerade Vs Apartment verlasse und im Gang das Gespräch zweier Polizisten aufschnappe: Ein Kollege, der zufällig Vs Nachbar ist, wäre schon lange nicht mehr zum Dienst erschienen und würde sich auch nicht melden. Also klopfe ich einfach mal an dessen Tür und starte damit unwissentlich die Quest "Happy Together", in der ich das schwerwiegende Schicksal eines depressiven Cops erfahre. Und weder Anruf noch Map-Symbol haben mich dorthin getrieben, sondern einzig und allein die pure Neugier.
Und wo ich schon von Nebenquests spreche, die spannendsten stellt euch GamePro hier vor:
In derartigen Momenten habe ich wirklich das Gefühl, am Leben in Night City teilzuhaben. Die Stadt, ihre Bewohner und Geschichten wirklich auf mich wirken zu lassen, statt nur kühl und distanziert eine To Do-Liste abzuarbeiten, die mir das RPG wedelnd vor Augen hält. Doch von derlei Situationen gibt es zu wenig. Nicht gemütliche Erkundung lautet hier die Devise, sondern ständiger Informationsfluss und Reizüberflutung.
Auf der Metaebene ist das natürlich wieder spannend: Night City ist eine laute, stressige Stadt. Und wie die kalifornische Metropole ist auch Vs Handy niemals stummgeschaltet. Das passt zum Setting und letztendlich zum Hauptcharakter selbst: Eine angehende Legende des Afterlife, deren Telefonnummer bei gut zahlenden Fixern, korrupten Politiker*innen und anderen zwielichtigen Persönlichkeiten herumgereicht wird. Ginge es nach mir, wäre meine V lieber ein Nobody. Dann hätte ich wohl wirklich genug Ruhe, um Night City nach eigenem Bestreben erleben und erkunden zu können.
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