Das Rollenspiel Cris Tales des kolumbianischen Entwicklerstudios Dreams Uncorporated wird von den Machern selbst als "Liebesbrief an klassische JRPGs" bezeichnet. Als Beispiele nannten sie etwa Reihen wie Final Fantasy, Chrono Trigger oder Persona.
Und tatsächlich ist dieser Einfluss leicht zu sehen: Cris Tales ist eine klassische Heldenreise, an deren Ende ein übermächtiger Feind steht, der die Welt vernichten will - und natürlich können nur die Herld*innen das verhindern. Ich sammle im Spielverlauf mein Team zusammen, bestreite rundenbasierte Zufallskämpfe, durchquere Dungeons, lerne neue Skills beim Aufleveln und verbessere die Charaktere mittels neuer Ausrüstungsgegenstände.
All das befeuert schnell bei JRPG-Fans wie mir die Nostalgie zu den alten Spielen, mit denen ich meine Kindheit verbracht habe. Doch bei aller Liebe zu alten JRPGs hat Cris Tales eben auch ein paar nervige Marotten des Genres mitgenommen, die für mich gerne in der Versenkung hätten bleiben können.
Backtracking, Archetypen und manuelles Speichern… das hab ich nicht vermisst
In der Bemühung, möglichst nah an das Gefühl alter JRPGs ranzukommen, findet sich im Spiel nämlich das ein oder andere Element, das heutzutage aus gutem Grund eine Seltenheit geworden sind.
So sind die Charaktere allesamt mehr Archetypen als wirklich komplexe Personen, allen voran Crisbell selbst: Das "ganz normale" sanftmütige Mädchen, dass sich als legendäre Auserwählte inklusive sprechendem Tierbegleiter herausstellt. Sicher, diese Einteilung in Rollen ist in JRPGs auch heute noch weit verbreitet (man schaue nur auf Final Fantasy 15 oder Persona 5), doch inzwischen gibt es einfach zu viele gute RPGs mit komplexen Charakteren, die über ihre Rolle hinausgehen. Das war zum Beispiel immer eine Stärke von Bioware-Spielen.
Noch dazu ist Cris Tales verdammt linear und lässt mir überhaupt nicht die Möglichkeit, abseits von vorgeschriebenen Punkten mitzudenken oder Entscheidungen zu treffen. Sehe ich etwa einen Gegenstand - wie eine Rose, die auffällig aus dem Boden wächst - von der ich als erfahrene RPG-Spielerin schon ganz genau weiß, dass sie relevant werden wird, kann ich sie dennoch nicht pflücken, bis ich das entsprechende Prompt von der Story bekomme. Kreative Problemlösung, Fehlanzeige. Was früher noch ganz normal in Spielen war, ist heute ein berechtigter Kritikpunkt.
So schickt mich die Story stur von Punkt A nach Punkt B und dann wieder zurück zu Punkt A… und Punkt B. Denn auch Backtracking gibt es jede Menge. Ja, auch das ist irgendwie nostalgisch und etwas, das ich bei den Spielen meiner Kindheit einfach als notwendig angenommen habe. Aber entweder ist meine Aufmerksamkeitsspanne kürzer als früher, oder ich bin einfach zu verwöhnt von Schnellreisefunktionen und Co.
Zur Autorin
Eleen ist mit Final Fantasy aufgewachsen. Den Anfang hat bei ihr FF10 gemacht, bevor sie sich in der Chronologie der Reihe rückwärts vorgearbeitet hat. Cris Tales weckt bei ihre viele der nostalgischen Gefühle zu alten JRPGs, zeigt ihr aber auch, das viele Neuerungen der letzten Jahre wichtig für das Genre sind.
Auch eine automatische Speicherfunktion gibt es nicht. Zu Anfang des Spiels fühle ich mich noch in alte Final Fantasy-Teile zurückversetzt, in denen ich bangen musste, ob ich meine angeschlagenen Helden noch bis zum nächsten Speicherpunkt schleppen kann, bevor der nächste Zufallskampf sie niederstreckt.
Aber auch dieses Feature gehört für mich berechtigterweise zu großen Teilen der Vergangenheit an. Denn häufiger sorgt es nicht für Spannung (zumal das anfänglich anspruchsvolle Cris Tales recht einfach wird, sobald Crisbell Heilen lernt), sondern einfach nur Frustration, wenn ich endlich meine Konsole ausschalten und schlafen gehen will, aber seit einer halben Stunde keinen Speicherpunkt passiert habe. Es hat einen Grund, warum etwa Remaster alter Final Fantasy-Teile heutzutage automatisches Speichern als Option anbieten.
Cris Tales ist besser, wenn es von der Formel abweicht
Dabei ist an Cris Tales bei Weitem nicht alles schlecht, im Gegenteil. Die charmanten 2D-Animationen können sich beispielsweise mehr als sehen lassen. Und das Kampfsystem verlässt sich zum Glück nicht nur auf die klassische JRPG-Formel, sondern kombiniert alte und neue Elemente. Neben dem timing-basierten Angreifen und Verteidigen bringt besonders die Zeitreise-Mechanik wundervolle Neuerungen und taktische Kombinationsmöglichkeiten zur rundenbasierten Formel.
Apropos Zeitreise, auch dass ich in den Königreichen einsehen kann, welche Auswirkungen meine Entscheidungen haben, indem ich jederzeit in die Zukunft schauen kann - statt warten zu müssen, welche Konsequenzen sich entwickeln - ist großartig.
Doch neben diesen sinnvollen Neuerungen reihen sich eben auch die eingestaubten Mechaniken ein. Und obwohl Cris Tales damit das Gefühl alter JRPGs oft wieder aufleben lässt, trägt die Nostalgie dann leider doch nicht das gesamte Spiel. Viele Änderungen von JRPGs in den letzten Jahren waren durchaus sinnvoll - das Remake von Final Fantasy 7 etwa wurde dafür gelobt, dass es den Geist des Originals einfangen konnte und gleichzeitig sinnvoll Spielmechaniken erneuert hat.
Nostalgie ist eben nicht alles und im Falle von Cris Tales steht sie einem ansonsten charmanten kleinen RPG zu oft im Weg.
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