Früher habe ich bei "Pilzwesen" als erstes an die Clicker aus The Last of Us gedacht. Seit ich Mycelia habe, ist das allerdings anders. Die Pilzchen in diesem Spiel sind zwar alles andere als furchterregend und böse, haben aber einen ähnlich nachdrücklichen Eindruck bei mir hinterlassen.
Nach dem Öffnen der Schachtel – und eigentlich schon davor – fallen vor allem die schicken Artworks von Mycelia ins Auge. Die niedlichen Pilzwesen auf den vielen unterschiedlichen Karten und die farbenfrohe Gestaltung sorgen sofort für ein heimeliges Gefühl und den Wunsch, direkt los zu spielen.
Generell gibt es am Material des Spiels nichts zu meckern, die Pappteile haben eine ordentliche Dicke, es gibt einen imposanten 3D-Schrein und die insgesamt 84 blauen Tautropfen funkeln, wenn man sie richtig ins Licht hält.
Und diese Tautropfen bzw. deren Entfernung sind dann auch das Ziel des Spiels. Alle der bis zu vier Spielenden bekommen ein Tableau, auf dem eine Verteilungskarte dann vorgibt, auf welchen Feldern einer oder mehrere der blauen Tropfen platziert werden.
Das Ziel ist es jetzt, sie auf das Schreinfeld des Tableaus zu bekommen. Laut der Anleitung gewinnen wir dadurch die Unterstützung der Waldgöttin, aber ganz ehrlich, die "Story" ist in Mycelia herzlich egal.
So funktioniert Mycelia
Mycelia wird über Karten gesteuert, das Spiel ist ein sogenannter Deckbuilder. Am Anfang haben wir sechs Startkarten in unserem Deck und ziehen davon drei auf die Hand. In unserem Zug spielen wir sie dann nacheinander aus und führen die darauf abgebildeten Aktionen durch.
Manche Karten erlauben uns beispielsweise, Tautropfen von Feldern auf orthogonal angrenzende zu schieben, mit anderen wiederum können wir Tropfen direkt entfernen oder unseren Blättervorrat auffüllen.
Blätter sind die Währung im Spiel, mit denen wir im Verlauf neue Karten mit deutlich mächtigeren Effekten aus einer offenen Marktauslage kaufen können. Diese wandern direkt auf unseren Nachziehstapel, das Deck wird mit der Zeit also ausgebaut und so immer größer – deshalb der Begriff "Deckbuilder".
Und hier liegt dann auch der große Spielreiz von Mycelia. Mit den Karten lassen sich mit etwas Übung nämlich gut funktionierende Gameplay-Motoren aufbauen und dank der unterschiedlichen Bewegungs- und Entfernungseffekte fängt es im Kopf schnell an zu rattern.
Denn manche Karten erfordern bestimmte Bedingungen auf dem Tableau, etwa eine konkrete Anzahl von Tropfen auf einem Feld. Wenn dann aber ein Karteneffekt in den nächsten greift und in einem Zug gleich mehrere Tropfen vom eigenen Tableau verschwinden, kann das ein echtes Hochgefühl sein – bei mir war es jedenfalls oft so.
Abgegebene Tropfen werden übrigens auf den erwähnten 3D-Schrein gelegt, der vor dem ersten Spiel zusammengebaut werden muss, aber glücklicherweise so auch wieder in die Schachtel passt. Ist eine bestimmte Menge erreicht – abhängig von der Spielerzahl – wird die Oberseite einmal gedreht, was die Tropfen entfernt und gleichzeitig einen kleinen Würfel wirft. Der wiederum zeigt dann an, auf welche Felder neue Tropfen kommen, von Zeit zu Zeit wird also auf dem Tableau nachgelegt, damit das Spiel nicht zu schnell vorbei ist.
Ein Wettrennen – nicht nur um die guten Karten
Mycelia ist mechanisch zwar ein Deckbuilder, gleichzeitig aber auch ein Wettrennen, denn wer es als erstes schafft, alle seine Tropfen vom Tableau zu entfernen, gewinnt das Spiel. Und hier erwischt man sich immer wieder dabei, auf die Tableaus der Mitspielenden zu schielen – und eventuell zu entscheiden, jemandem eine Karte aus der Auslage weg zu schnappen, weil sie anderen möglicherweise nützlicher sein könnte.
Grundsätzlich bleibt die Interaktion in Mycelia auf einem moderaten Level. Ja, man konkurriert zwar um die Karten in der Mitte und bei manchen Karten bekommen im eigenen Zug auch die Mitspielenden etwas, aber grundsätzlich machen alle ihr eigenes Ding, optimieren die eigene Kartenhand und suchen nach den besten Kombinationen. Das ist allerdings eine sehr reizvolle Aufgabe, die über mehrere Spiele motiviert.
Denn neben einem Einsteigerkartendeck mit recht einfachen Effekten gibt es auch noch "fortgeschrittene" Karten mit komplexeren Aktionen und der Möglichkeit, schwächere Karten aus dem eigenen Deck zu entfernen – und dadurch stärkere Karten schneller wieder auf die Hand zu bekommen. 70 Karten sind es insgesamt und auch wenn es meiner Meinung nach ruhig noch ein paar mehr hätten sein dürfen, reicht das locker aus, um einige Synergien auszuprobieren.
Mycelia ist aber nicht nur knuffig präsentiert, sondern auch ziemlich schnell verstanden. Das liegt nicht zuletzt an der verständlichen Symbolik für die Effekte auf den Karten. Text gibt es darauf zwar ebenfalls, der ist aber stets reiner Fluff – wenn auch ziemlich netter. Allerdings sitzen nicht alle Karteneffekte sofort, ich musste bei den ersten Partien jedenfalls bei ein paar davon in der Anleitung nachschlagen. Dem Spielspaß tut das aber keinen Abbruch.
Mycelia ist ein Spiel von Autor Daniel Greiner und beim Ravensburger Verlag erschienen. Empfohlen wird es für 2 bis 4 Spielende ab 9 Jahren, der Preis beträgt ca. 30 Euro.
Einschätzung der Redaktion
Tobias Veltin
@FrischerVeltin
Mycelia ist eines dieser Brettspiele, die ich auf den ersten Blick in eine Schublade gesteckt hatte, in die sie eigentlich nicht gehören. Aufgrund des knuffigen Artworks hatte ich es zunächst als nettes Kinderspiel abgestempelt, das erfahrenen Spieler*innen maximal ein müdes Lächeln entlockt.
Natürlich richtet sich das Spiel hauptsächlich an Einsteiger*innen und Familien, die nach den üblichen Klassikern den nächsten Schritt machen wollen. Und dafür ist Mycelia tatsächlich perfekt geeignet, dank verständlicher Symbolik und nachvollziehbarer Abläufe ist es zudem ein ideales "Erklärspiel" für den Deckbuildung-Mechanimus, der ja auch in vielen anderen Brettspielen genutzt wird.
Trotzdem steckt hinter der süßen Schale ein echt guter und solider spielerischer Kern. Dadurch wird das Tautropfen-Wettrennen auch für erfahrene Spieler*innen wie mich zu einer reizvollen Aufgabe, die dank unterschiedlicher Ausgangssituationen, vieler Karten und den dazugehörigen Effekten auch genügend Variabilität für viele Partien verspricht. Deshalb gibt’s für Mycelia von mir eine Empfehlung – schaut es euch unbedingt mal an!
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