In Deutschland gelten knapp 10% der Bevölkerung amtlich als schwerbehindert. Weltweit gehen Statistiken sogar von etwa 15% aus. Dennoch sehen wir in vielen Spielen, Filmen oder Serien wenig bis gar keine Menschen mit Behinderung. Spielbare Charaktere oder vielleicht sogar eine Hauptfigur sind noch einmal sehr viel seltener.
Und wenn dann jemand mit Behinderung vorkommt, lässt die Vielfalt der dargestellten Erkrankungen zu wünschen übrig. Oft erscheint es so, als wären Querschnittslähmungen oder Amputationen die einzigen Behinderungen auf der Welt, dabei gibt es noch so viel mehr und viele davon sind gar nicht mal so selten.
Zur Autorin:
Melanie Eilert beschäftigt sich mit Inklusion, Games und Musicals. Die 31-Jährige lebt mit Spinaler Muskelatrophie und cruist seit ihrem vierten Lebensjahr im elektrischen Rollstuhl durch die Welt. Auf ihrem Blog meilert.net und als @melly_maeh bei Twitter spricht sie über ihre Erfahrungen als behinderte Gamerin und alle Themen rund um Inklusion.
Menschen mit Behinderung werden also nur eingeschränkt repräsentiert. Das macht Personen wie mich nahezu unsichtbar und führt zu einer verzerrten Wahrnehmung dieser Gruppe als Teil der Gesellschaft. Selbst in Kino- oder Spielszenen mit großen Menschenansammlungen gibt es kaum Menschen im Rollstuhl, Blinde oder mit senso-motorischen Störungen. Die Menge bleibt meistens uniform.
Bemitleidenswert oder gruselig
Wenn sich dann doch mal ein behinderter Charakter in Games verirrt, handelt es sich meistens um einen von zwei Typen: den traurigen, der sich selbst bemitleidet und sein Leben als wertlos empfindet oder böse Schurken und Antagonisten. Die Behinderung steht also immer in Verbindung mit etwas Negativem.
Solche Darstellungen sind ein großes Problem. Sie verstärken nicht nur Unsicherheit und Berührungsängste, sondern führen zu Stigmatisierung. Ginge man nur nach ihrem Auftritt in Spielen, würden alle behinderten Menschen ihr eigenes oder generell das Leben an sich hassen.
Ein gutes Beispiel ist hier Life is Strange, von dem wir jetzt einen Teil des Finales spoilern werden. Im Laufe des Spiels nutzt Max ihre Fähigkeiten um zu verhindern, dass Chloes Vater bei einem Autounfall stirbt.
Typisch für Life is Strange führt ein positives Ereignis auf der einen Seite immer zu einer dramatischen Wendung auf der anderen und so finden wir Chloe bei unserem nächsten Besuch in einem elektrischen Rollstuhl vor. In dieser Realität ist sie diejenige, die in einen Autounfall geriet.
An dieser Stelle erstmal ein Lob: Die Designer haben sich mit Chloes Rollstuhl viel Mühe gegeben. Er ist modern und sehr nah an dem, was viele behinderte Menschen heute nutzen würden. Ich hebe das deswegen so hervor, weil die meisten Ingame-Rollstühle oft hässlich und unpraktisch sind und maximal von Krankenhäusern zur Überbrückung kurzer Transportzeiten genutzt werden.
Trotz moderner Technik ist Chloe jedoch deprimiert und hadert mit ihrem Leben. Am Ende der Sequenz fordert sie sogar Max auf, ihr beim Sterben zu helfen und diese Entscheidung muss dann natürlich der Spieler treffen.
Ich, selbst Rollstuhlfahrerin, habe Chloe nicht umgebracht. Ich war unheimlich sauer, dass es bei behinderten Menschen in den Medien so oft auf Suizid hinausläuft, als wäre das unausweichlich.
Es gibt sehr viele Möglichkeiten, durch Hilfsmittel oder personelle Unterstützung als Mensch mit Behinderung ein erfülltes und glückliches Leben zu haben. Den Tod als einzigen Weg darzustellen, halte ich für sehr gefährlich. Mir ist klar, dass es schwieriger ist, sich mit der eigenen Behinderung zu identifizieren, wenn diese wie in Life is Strange erst im Laufe des Lebens auftritt. Die Umstellung ist enorm.
Eine große Problematik dabei liegt aber eben genau bei solchen Rollen wie der von Chloe. Wenn in Filmen und Spielen Behinderung als furchtbare Bürde dargestellt wird, die bisweilen sogar im Suizid endet, wie sollen Menschen nach einem Unfall dann Mut und Hoffnung auf eine gute Zukunft schöpfen?
Es wird ihnen keine Realität aufgezeigt, in der Menschen ihr Schicksal akzeptieren und ein glückliches und erfülltes Leben leben. Depressionen sind keine unvermeidbare Konsequenz. Und das sollte sich auch in den Medien widerspiegeln.
Positive Bilder von Menschen mit Behinderung sind bitter notwendig, damit wir uns mit ihnen positiv identifizieren können.
Ein Schritt in die richtige Richtung
Test des Xbox Adaptive Controller
Der Alltag fehlt
Was ebenfalls nur selten gezeigt wird, sind die Situationen im alltäglichen Leben. Je genauer sich die Gesellschaft ein Bild davon machen kann, wie der Alltag für Menschen mit Behinderung aussieht, desto geringer werden Vorurteile.
Spiele wie Detroit: Become Human bewirken leider das genaue Gegenteil: Carl, der zurückgezogen lebende Künstler und ehemalige Besitzer von Android Markus, sitzt im Rollstuhl. Aufgrund des futuristischen Settings ist der auch hier wieder sehr ansprechend gestaltet. Auffällig ist allerdings, dass Carl sich kaum selbst darin fortbewegt.
Das lässt vermuten, dass der Rollstuhl nicht vollständig auf seine Bedürfnisse angepasst wurde, sodass Carl nicht selbstständig fahren kann. Vielleicht hat er nicht mehr genug Kraft, die Räder über längere Zeit anzuschieben, doch dann hätte er einen elektrischen Antrieb bekommen müssen. Oder seine Sitzposition ist zu schlecht, um mit wenig Mühe an die Räder zu kommen, aber auch das ließe sich problemlos einstellen.
Ebenso ist es äußerst merkwürdig, dass Carl für die Frühpflege ins Bad getragen werden muss. Sein ganzes Haus ist gut umgebaut, warum nicht der Zugang zum Badezimmer? Immerhin spielt Detroit: Become Human 2038, die Technik wäre also da.
Die meisten Rollstuhlfahrer möchten sich selbstständig und selbstbestimmt fortbewegen und nicht ständig geschoben und schon gar nicht unnötig gehoben werden. Ein so reicher Mann hätte mit Sicherheit dementsprechende Vorkehrungen getroffen.
Was wir bei Carl übrigens auch wieder sehen, ist eine depressive Grundstimmung, die das Spiel auf seine Behinderung zurückführt. Er versucht seinen pflegenden Androiden sogar dazu zu bringen, ihm morgens nicht seine lebensnotwendige Spritze zu geben und unterhält sich mit ihm über den Verfall des menschlichen Körpers. Also ist auch hier ein Leben mit Behinderung bemitleidenswert und sollte beendet werden.
Der reine Horror?
Neben Mitleid wird eine Behinderung jedoch auch genutzt, um ein ganz anderes Gefühl hervorzurufen: Bedrohung oder sogar Horror. Denken wir zum Beispiel mal an Szenen in Krankenhäusern, dem Arkham Asylum oder der Nervenheilanstalt von Outlast.
Wie oft wird dort die gruselige Stimmung dadurch verstärkt, dass ein leerer - altmodischer und hässlicher - Rollstuhl auf dem Flur steht und quietschend ein paar Zentimeter nach vorne rollt? Dieses Stilmittel ist nicht nur schon seit Ewigkeiten völlig ausgelutscht, es sorgt auch für negative Assoziationen von Hilfsmitteln, die Menschen mit Behinderung dringend brauchen.
Ein anderes unangenehmes Beispiel sind die Wheelchair Huntsmen in Bloodborne mit ihren (ebenfalls absolut unhandlichen) Rollstühlen. Der bewusst auf Horror oder Unbehagen ausgerichtete Einsatz von Hilfsmitteln oder der Thematik Behinderung im Allgemeinen stärkt das Empfinden, dass diese Dinge etwas schlechtes wären.
Das sind sie nicht. Ich liebe meinen Rollstuhl! Er gibt mir Freiheit, mich selbst von A nach B zu bewegen, ich bin damit flott unterwegs, wenn ich das will. Er ist ein großartiges und sehr stylisches Stück Technik, wie ein kleiner Transformer.
Ich sitze darin immer und überall bequem, kann mich darin hinlegen oder auf Veranstaltung den Sitz hochfahren, um etwas zu sehen. Ich habe sogar eine USB-Steckdose dabei, um mein Smartphone zu laden.
Weniger Chloe, mehr Chase
Es zeigt sich allerdings ganz langsam, dass der Wunsch nach guter Repräsentation in der Gamingindustrie ankommt. Senua in Hellblade lebt mit psychotischen Erkrankungen. Sie wird aber zu keinem Zeitpunkt als bemitleidenswert dargestellt und geht mit ihrer Erkrankung ihren Weg, auch wenn dieser oft schwer ist.
Den Entwicklern war eine sensible Darstellung der Thematik wichtig, weshalb sie sich nicht nur von Psychologen beraten ließen, sondern insbesondere auch Gespräche mit Menschen führten, die mit ähnlichen Symptomen leben.
Stimmen im Kopf
Unser Report zu Hellblade: Senua's Sacrifice
Das ist ein wichtiger Punkt, wenn es um Repräsentation geht. So wie für Kampfszenen Experten herangezogen werden, müssen Studios auch Menschen in die Entwicklung einbinden, die Behinderungen aus der eigenen Situation heraus kennen. Wird das berücksichtigt, dann sehe ich der zukünftigen Repräsentation von Menschen mit Behinderung positiv entgegen.
Ein weiteres Positivbeispiel ist übrigens Chase aus Starlink: Battle for Atlas. Sie wird im Spiel nicht anders dargestellt als die anderen Piloten auch, doch wenn wir sie genauer betrachten und uns mit ihrer Geschichte beschäftigen, fällt uns auf, dass sie eine Arm- und eine Beinprothese trägt.
Das wird jedoch nicht weiter groß thematisiert, sondern einfach als gegeben angesehen. Chase leidet nicht darunter, Chase wird nicht als Horrorelement genutzt.
Gebt uns mehr Chases und Senuas, dann könnt ihr auch hin und wieder eine Chloe in die Geschichten schreiben. Gute Repräsentation bedeutet, die Vielfalt abzubilden und zu zeigen, dass Charaktere mehr sein können als Projektionen von Stereotypen, Stigmata und Vorurteilen.
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