Michael Graf:»Es geht ums Gefühl!«
Telltale hat mit Game of Thrones: Iron from Ice ein Adventure auf Schienen abgeliefert, eine Abfolge von Klicks bar jeder spielmechanischen Herausforderung. Es ist auf die Spitze getriebene Vereinfachung, ohne Puzzles, ohne Grips. Ich finde das vollkommen legitim. Klar, Sid Meier hat einmal gesagt, ein gutes Spiel bestehe aus einer Abfolge interessanter Entscheidungen. Und wenn Sid Meier das sagt, dieser Designguru, dieser Johann Sebastian Bach des Spielemachens - wenn Sid Meier das sagt, dann wird das ja wohl stimmen, oder? Ja, aber nicht nur. Die meiersche Definition ist mir zu eng.
Bitte nicht falsch verstehen, sinnvolle Entscheidungen und eine durchdachte Spielmechanik können ein Spiel prägen, sie befeuern Vielfalt und Motivation - verdammt, sie machen Spaß! Was wäre ein Civilization 5 ohne die Wahl des nächsten Kriegsgegners und Bauprojekts, was ein Diablo 3 ohne die Wahl zwischen Talenten und Items, was ein Hitman: Absolution ohne die Wahl des Attentatsweges, und was selbst ein Space Invaders ohne die Wahl des Ziels (Schieße ich auf das unterste Ufo oder das Mystery Ship ganz oben?)?
Spiele sind ein interaktives Medium, ihre Stärke kann (wohlgemerkt: »kann«) darin bestehen, dass man etwas tut, eingreift, gefordert wird. Ohne spielerische Herausforderung könnte man ja auch einen Film schauen oder ein Buch lesen, heißt es oft. Könnte man? Mitnichten. Spiele sind eine interaktive Erfahrung, die mich fordern kann, es aber nicht notwendigerweise muss, wenn sie andere Stärken entfaltet. Etwa erzählerische.
Beispiel To the Moon: Das mit dem RPG Maker gebastelte Indie-Adventure aus dem Jahr 2011 entfaltet den spielerischen Anspruch eines Kinderpuzzles, ich sammle hier etwas auf, klicke da etwas an, das war's. Trotzdem erinnere ich mich bis heute an To the Moon, an seine mitreißende Geschichte, herrje, ich weiß sogar noch, dass die Hauptcharaktere Dr. Rosaline und Dr. Watts hießen. Und To the Moon hat nicht nur mich berührt, sondern offensichtlich auch viele andere Spieler, die Metacritic-User verliehen dem mechanischen Simpelspiel damals 9,5 (heute immer noch 8,9) Durchschnittspunkte.
»Interaktion = Emotion«
Die Interaktivität war dabei kein Hindernis, im Gegenteil: Ich fand es an To the Moon gerade spannend, dass ich mir die Geschichte selbst erspiele, statt sie nur zu betrachten. Auch wenn ich nur klicken musste, versank ich viel mehr in der Welt als bei vielen Filmen, baute viel persönlichere Beziehungen auf zu Charakteren und Geschichten. Ich war Akteur, nicht nur Betrachter.
Und just diese emotionale Bindung ist doch der Kern jedes guten Spiels. Ja, sie kann durch Mechanik entstehen, durch ausgefeilte Spielsysteme à la Civilization, das aus einem Haufen Pixelstädte und -soldaten mein Imperium macht, weil ich entschieden habe, wen es bekriegt, was es baut, wie es sich entwickelt. Emotionale Bindung kann aber auch durch geschliffene Charaktere entstehen, durch packende Geschichten, schockierende Wendungen. So wie in Telltales The Walking Dead. Oder eben nun in Game of Thrones.
Statt der »interessanten Entscheidungen« plädiere ich für eine neue Qualitätswährung: große Momente, denkwürdige Momente. Ein Spiel ist doch vor allem dann gut, wenn es mir in guter Erinnerung bleibt - völlig egal, ob diese Erinnerung nun auf Mechanismen oder Geschichten basiert. Völlig egal, ob es nun die Freude über die erbeutete Superrüstung in Diablo 3 ist, die Angst vor der ersten Nacht in Minecraft oder der Schock über, äh, gewisse Geschehnisse in Game of Thrones. Das Schöne am Medium Spiel ist ja, dass es beides kann, mechanisch herausfordern und emotional ansprechen - um in Erinnerung zu bleiben, reicht schon eines davon.
Und wer die Mechanik im meierschen Sinne dann doch für entscheidend hält, der muss Game of Thrones & Co. ja nicht spielen.
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