Eine der besten Erklärungen, warum Spiele wie Animal Crossing: New Horizons uns so lange fesseln, ist die Selbstbestimmungstheorie von den Psychologen Deci und Ryan. Sie gehen davon aus, dass uns vor allem drei Grundbedürfnisse antreiben: das Bedürfnis, erfolgreich etwas in der Welt zu bewegen, das Bedürfnis, bedeutsame Entscheidung zu fällen und das Bedürfnis, mit anderen verbunden zu sein.
In der psychologischen Theorie heißen sie Kompetenz, Autonomie und soziale Eingebundenheit. Animal Crossing ist besonders gut darin, diese Bedürfnisse zu befriedigen - und kennt viele Tricks, um das zu erreichen.
Nur noch sieben Unkraut
Kompetent fühlen wir uns meistens dann, wenn wir eine Aufgabe erfolgreich gemeistert haben. Animal Crossing hat viele davon: Fische fangen, Früchte ernten, Blumen pflanzen und so weiter. Es kommt aber nicht nur darauf an, uns Aufgaben vor die Nase zu halten wie saftige Karotten. Die größere Kunst ist es uns dazu zu motivieren jeden Tag zurückzukommen - auch wenn wir immer dasselbe tun.
Dafür hat Animal Crossing einen besonderen Trick auf Lager. Wenn ihr erstmal wisst, wie er funktioniert, werdet ihr ihn überall wieder entdecken: In der Psychologie heißt er Zeigarnik-Effekt. Demnach erleben wir eine psychische Spannung in uns, wenn wir eine Aufgabe schon angefangen, aber nicht beendet haben.
Anders ausgedrückt: unabgeschlossene Aufgaben gehen uns ziemlich auf den Keks. Dafür fühlen wir uns gut, wenn wir sie abhaken können.
New Horizons hält uns ständig vor, was wir angefangen und nicht zu Ende gebracht haben. Bereits die erste Reise auf die Insel zieht einen Schuldenberg nach sich, den wir abarbeiten müssen, doch abbezahlte Schulden führen direkt zum nächsten Kredit. So haben wir ständig das Gefühl, noch etwas im Spiel tun zu müssen.
Was im Großen funktioniert, geht auch im Kleinen. Kaum haben wir das erste Mal Unkraut gejätet, bekommen wir eine Stempelkarte in die Hand gedrückt: "3 von 10 Unkraut" - schon wieder haben wir eine Aufgabe angefangen! Für zahlreiche Spielaktionen gibt es einen Stempel und Bonusmeilen als Belohnung.
Es sind aber nicht die Meilen, die uns immer wieder Kraut rupfen lassen. Es ist der Gedanke, dass wir erst einen von vier Stempeln auf der Karte haben und jetzt noch die anderen drei brauchen. Auf dieselbe Weise bringt ein neues Möbelstück die Erkenntnis, welche Einrichtung uns im neuen Heim noch fehlt. Und jeder neue Fisch mag einen Platz im Museum füllen, doch erinnert uns zugleich an die Lücken links und rechts von ihm.
Mit all seinen Stempeln, Katalogen und Stellflächen im Museum hat Animal Crossing es perfektioniert, uns daran zu erinnern, was wir nicht haben. Kaum etwas ärgert (und motiviert) uns mehr. Und es ist besonders belohnend, wenn wir endlich das letzte Teil ins Puzzle setzen können.
Mein Haus, mein Garten, meine Entscheidung
Das Spiel verlangt zwar ständig, dass wir Kredite abzahlen, aber es weiß auch, dass wir am liebsten selbst entscheiden, wo es lang geht. Wenn wir zum Beispiel unser Haus einrichten und gestalten, erleben wir Autonomie. Das kennen wir auch aus Die Sims.
New Horizons hat die Freiheitsgrade im Vergleich zu seinen Vorgängern sogar noch einmal enorm angehoben und erlaubt die Gestaltung der ganzen Insel mit Mobiliar, Straßen, Brücken und Rampen bis zum vollständigen Terraforming.
Außerdem sind die meisten Dinge optional. Ihr könnt aus einem Angebot von Angeln bis Schneidern frei wählen. Eine solche Auswahl steigert das Autonomie-Erleben, ähnlich wie optionale Szenen und Side-Quests in Rollenspielen.
Einige Freiheiten wie der Brückenbau und Terraforming winken als Belohnung für Spielfortschritte - hier verschränkt die Lebenssimulation geschickt eine Motivation mit der anderen: Zum einen füttern diese Erfolge unser Kompetenzerleben, weil wir einen weiteren Meilenstein erreicht haben. Zum anderen eröffnen sie neue Möglichkeiten, die Insel zu gestalten und stärken so unser Gefühl von Autonomie.
Nie allein
Die Gestaltung der Insel ist außerdem eine Möglichkeit zum Ausdruck. Ihr könnt euren Stil ausleben, ein Statement setzen oder mit einer Hommage an andere Spiele zeigen, was für ein Fan ihr seid. Das ist besonders reizvoll, weil Animal Crossing auch eine soziale Erfahrung ist.
Kein Zufall. Das Spiel weiß genau, wie wichtig soziale Einbindung für uns ist und stellt sie auf gleich drei Ebenen her: mit NPCs, über Multiplayer und mit Sharing-Funktionen. Die Möglichkeit, andere zu besuchen oder selbst designte Mode in den sozialen Medien zu teilen, geben uns das Gefühl, sozial so richtig gut eingebunden zu sein.
Das gelingt dem Spiel sogar dann, wenn wir ganz allein spielen: Noch bevor der erste Besuch eingeflogen wird, freunden wir uns mit den tierischen Nachbarn an - solche Beziehungen nennt man auch parasozial.
Das bedeutet, sie sind einseitig zu einem virtuellen Gegenüber, können uns aber ein ähnliches Gefühl geben wie wechselseitige Beziehungen. Das passiert zum Beispiel, wenn wir Stars auf Twitter folgen, die unser Interesse theoretisch zwar erwidern könnten, in aller Regel aber nicht wissen, dass wir überhaupt existieren.
Die Tiere sind Computer-gesteuert, und trotzdem schließen wir sie ins Herz. Auch wenn sie unser Interesse nicht erwidern können, kitzeln sie uns an den Stellen im Gehirn, die für soziale Interaktionen zuständig sind. Keine Sorge übrigens: Studien haben schon in den 1980er Jahren herausgefunden, dass das völlig normal ist.
Wie zuhause!
Indem Animal Crossing New Horizons uns erfolgreich motiviert, jeden Tag zurückzukehren, begünstigt es noch einen weiteren Effekt: Wir fühlen uns im Spiel zu Hause.
Mit jedem Besuch wird die Insel vertrauter - und wenn wir abends zur Erholung spielen, verbinden wir ein positives Gefühl mit dem virtuellen Ort. Da vergisst man auch ganz wohlwollend, mit welchen Tricks uns das Spiel um den Finger gewickelt hat.
Mehr spannender Hintergrund zu Animal Crossing: Autorin Finja erklärt, warum Spieler bewusst Wucher-Preise in Online-Börsen bezahlen:
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