Igel, Delphine und Vampire
In der Mega-Drive-Ära entstehen viele der interessantesten und legendärsten Marken Segas, aber auch der gesamten Videospiel-Geschichte: 1991 erfinden der Programmierer Yuji Naka und der Grafiker Naoto Oshima (die in ihren langen Jahren bei Sega auch das Master System-Rollenspiel Phantasy Star oder den Sega-Saturn-Shooter Burning Rangers verantworten) den blauen Videospiel-Igel Sonic, der zum Firmen-Maskottchen avanciert und dessen halbes Dutzend Auftritte zu Killer Applications des Mega Drive werden.
In Ungarn entsteht das faszinierende und einzigartige Unterwasser-Eso-Action-Adventure Ecco the Dolphin. In der Musikfilm-Umsetzung Moonwalker tanzt Superstar Michael Jackson konsolenexklusiv auf Sega-Systemen, und auch die taktischen Shining-Force-Rollenspiele sowie die seitlich scrollenden Streets-of-Rage-Prügeleien debütieren auf der 16-Bit-Konsole.
Verkaufsfördernd wirkt sich Segas laxer Umgang mit erwachsenen Inhalten aus: Während Nintendo die Darstellung von Gewalt, Nacktheit oder Drogen streng reglementiert, gibt sich Sega freizügig. Acclaim darf in die Mega-Drive-Version von Mortal Kombat (mittels Code freischaltbar) Blut und Fatalities integrieren. In Night Trap - einem Titel der Interactive-Movie-Macher Digital Pictures für das Mega-CD-Addon - darf der Spieler miterleben, wie ein Vampirclan leicht bekleideten jungen Frauen Blut abzapft.
Die öffentliche Empörung sorgt für gute Geschäfte, der Druck von Politik und Medien lässt Sega aber auch das interne »Videogame Rating Council« einrichten, das die Spiele für die hauseigenen Konsolen mit einer Alterskennzeichnung versieht. Ende 1994 übernimmt dann das unabhängige Entertainment Software Rating Board (ESRB) die Bewertung aller Video- und Computerspiele, die in den USA veröffentlicht werden.
Huckepack-Hüpferei
In der heutigen Zeit wäre Sonic & Knuckles als Addon oder DLC veröffentlicht worden: Eigentlich hätten die Inhalte des vierten Sonic-Jump&Runs fürs Mega-Drive schon in Sonic the Hedgehog 3 stecken sollen, wegen Zeitmangels schaffte es Anfang 1994 aber nur eine gekürzte Version des Spiels in den Handel. Im Oktober desselben Jahres erschienen die restlichen Levels sowie der Schnabeligel Knuckles als neuer spielbarer Charakter auf einem weiteren Modul, das allerdings mit einem recht reizvollen Kniff seinen Preis zu rechtfertigten versuchte: Unter einer Klappe am oberen Modulende befindet sich der Einschub für ein weiteres Cartridge. Durch die (nach Sega-Aussage) revolutionäre »Lock-On«-Technologie beschert das Aufstecken eines Sonic 3-Moduls dem Spieler ein »gigantisches 34-MBit-Epos voller Geheimnisse«.
Und wirklich: Die Kombination der beiden Module führt zu zahlreichen kleinen Änderungen in den Levels von Sonic 3 bzw. Sonic & Knuckles und macht Knuckles bzw. Tails in den Episoden, in denen sie vormals nicht verfügbar waren, zu spielbaren Charakteren. Auch das Sonic 2-Modul lässt sich Huckepack nehmen: Hier dürfen die Spieler Knuckles in leicht angepassten Sonic 2-Levels erleben. Und mit dem ersten Sonic-Modul und ein bisschen Tastentrickserei werden unzählige »Special Stages« verfügbar.
Übereilt in eine neue Ära
Um der PC Engine und dem SNES Paroli zu bieten, entwickeln japanische Sega-Ingenieure Anfang der 1990er das Mega-CD-Addon. Während man am Laufwerk (einem billigen Single Speed-Modell) spart, wird das Mega-CD großzügig mit einer eigenen CPU (einem weiteren, erheblich höher getakteten 68000er), RAM, Grafikchips sowie einem leistungsfähigen Sound-Prozessor ausgestattet. Das dominanteste Merkmal aber ist der im Vergleich zu Modulkapazitäten riesige Speicherplatz des neuen Mediums - da viele Entwickler aber nicht so recht wissen, was sie mit den Hunderten Megabyte anfangen sollen, werden diese hauptsächlich für zusätzliche Soundtracks (vor allem bei Umsetzungen von Mega-Drive-Titeln wie Ecco the Dolphin) und umfangreiche Full-Motion-Videosequenzen (FMV) genutzt.
Vor allem in den USA entstehen zahlreiche FMV-Titel wie Sewer Shark oder Night Trap, welche den Spielern rasch die Verzichtbarkeit interaktiver Filme bewusst machen. Zwar werden auch ein paar Perlen wie die beiden Lunar-Rollenspiele von Game Arts, Sonic CD oder Final Fight CD veröffentlicht, mit hohem Preis (das Mega-CD ist deutlich teurer als das Mega Drive, das zum Betrieb ebenfalls benötigt wird) und mäßiger Entwickler-Unterstützung floppt das Addon aber - ebenso wie die 1994 erscheinende 32X-Peripherie, die das Mega Drive um zwei zusätzliche 32 Bit-CPUs und einen mächtigen Graphik-Prozessor erweitert.
Ewiger Zweiter
Als das Super Nintendo Ende 1990 in Japan auf den Markt kommt, ist das Schicksal des Mega Drive in der Heimat endgültig besiegelt: Die NES-Fans holen sich den Nachfolger und lassen Sega links liegen - bis Ende 1994 werden im Osten viermal mehr SNES als Mega Drive gekauft. In Nordamerika liefern sich die beiden Geräte ein jahrelanges Kopf-an-Kopf-Rennen. Erst auf der Zielgeraden und nachdem Sega mit dem 32X-Addon einen Reinfall erlebt und sich anschließend auf den Nachfolger Saturn konzentriert, zieht das SNES in den USA um ein paar Einheiten an rund 20 Millionen verkauften Mega-Drive-Konsolen vorbei.
Oder auch nicht: Bis heute wird der auf dem Schulhof begonnene Konsolenkrieg von den Fans der beiden 16-Bit-Systeme weiter geführt und der Sieg durch kreative Interpretation der uneindeutigen Verkaufszahlen für das eigene Lieblingssystem beansprucht. Sicher ist: In England wandert das Mega Drive bis Ende 1994 doppelt so oft über die Ladentheke wie das SNES, in Deutschland ist's mit 800.000 zu 1,4 Millionen Verkäufen in etwa umgekehrt.
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