Ich habe einem kleinen Jungen sein gestohlenes Videospiel zurück gebracht, eine Punkband von Lampenfieber geheilt, bei einem Kochshow-Dreh mitgemacht. Ich habe einen Ring von Unterwäschehändlern (gebraucht, versteht sich) auffliegen lassen, einen Kneipenbesitzer verteidigt, Freundschaft mit einem Polizisten geschlossen, eine Halskette aus einem Automaten gezogen. Und ich habe Space Harrier, Out-Run, Billard, Baseball und Darts gespielt. Ich habe Karaoke gesungen und dazu getanzt. Ich habe Burger, Ramen und Pizza gegessen sowie Bier, Champagner, Sake und Limo getrunken. Die meiste Zeit aber habe ich mich geprügelt. Mit Schutzgelderpressern, betrunkenen Jugendlichen, Mafiosi, Bauarbeitern, Obdachlosen und vor allem: Yakuza.
Denn als Kazuma Kiryu bin ich in Yakuza Zero selber einer dieser Herren, deren »Familien« die japanische Unterwelt kontrollieren. In der fiktiven (aber schwer an Tokio angelehnten) japanischen Stadt Kamurocho schlage ich mich im Jahr 1988 als »Faust for hire« durch und verdresche zum Beispiel säumige Schuldner. Blöd nur, dass einer von ihnen stirbt und mir der Mord in die Schuhe geschoben wird. Obendrein gibt's Probleme mit meinem Yakuza-Clan und ich muss aus der Familie austreten (darf aber zum Glück meinen kleinen Finger behalten). Und dann ist da noch eine fiese Immobilienfirma, die nach und nach gewaltsam die Bewohner meiner geliebten Heimatstadt vertreibt. Ganz schön viel erlebt also, dabei habe ich gerade mal zehn Stunden mit dem Spiel auf der Uhr. Kein Wunder, dass Yakuza Zero schon jetzt zu meinen heimlichen Highlights des Jahres zählt.
Markus Schwerdtel
@kargbier
Obwohl Markus erst zwei Mal und jeweils nur für wenige Tage in Japan war, hat er sich dabei in das Land verliebt. Vor allem in die Landschaft, die Kochkunst und natürlich in die für uns oft schwer verständliche Kultur. Umso besser findet er, dass die Yakuza-Reihe noch nie versucht hat, sich an den westlichen Geschmack anzubiedern. Schließlich wäre es ein Leichtes, aus den Abenteuern von Kazuma Kiryu einen GTA-Klon zu schrauben. Doch Sega bleibt den japanischen Wurzeln der Serie treu und nimmt dafür in Kauf, dass die Titel in den USA und Europa ein Nischendasein führen. Schlecht für die Verkaufszahlen, aber gut für Fans wie Markus.
Im Westen verkannt
Yakuza Zero ist bereits der sechste Serienteil, allerdings hat Sega nicht alle Yakuza-Spiele auch im Westen veröffentlicht. Denn der große Erfolg blieb bei uns bislang aus. Das ist erst mal verwunderlich, schließlich lässt sich die Reihe am ehesten als eine Mischung aus GTA und Shenmue bezeichnen – da muss es doch eine Nachfrage geben!
Auf der anderen Seite aber ist Yakuza Zero so durch und durch japanisch, dass das viele Spieler abschrecken dürfte. Mich aber nicht. Für mich als Nippon-Fan ist die Yakuza-Serie und ganz besonders Yakuza Zero der ideale Japan-Simulator.
Es fängt schon beim Setting an: Yakuza Zero spielt 1988, als sich Japan im wirtschaftlichen Erfolg sonnt. Das Land exportiert Elektronik und Autos, die Immobilienpreise vor allem in Tokio steigen in astronomische Höhen – bevor Anfang der 90er dann die Blase platzt und die japanischen Banken eine ihrer bislang schwersten Krisen erleben. Doch 1988 ist noch alles in Ordnung, es ist genug Geld da und wer es sich leisten kann, feiert im Vergnügungsviertel von Tokio... Entschuldigung, Kamurocho rauschende Feste.
Maximale Atmosphäre
Yakuza Zero schafft es perfekt, die Atmosphäre dieser Phase der japanischen Vergangenheit zu transportieren. Die Mischung aus Rotlichtviertel-Schmuddeligkeit, Wirtschaftsboom-Optimismus und Gangster-Dekadenz schafft eine ganz eigene Stimmung und vermittelt – noch viel mehr als die beiden Shenmue-Teile – das Gefühl, dabei gewesen zu sein. Dabei hilft natürlich der vergleichsweise gesichtslose Held, der somit eine ideale Projektionsfläche ist. Und die vielen, vielen kleinen Nebengeschichten, die – oft maßlos übertrieben – Aspekte der japanischen Kultur erzählen, siehe mein Erlebnisbericht weiter oben. Ähnlich wie die Rockstar-Spiele liefert Yakuza Zero einen fast schon satirischen Kommentar auf sein Szenario, nur dass das Japan der 80er eben etwas nischiger ist als die typischen US-Metropolen der GTA-Serie.
Das virtuelle Kamachuro kann in Sachen Realismus, Komplexität oder gar Größe bei Weitem nicht mit Los Santos aus GTA 5 mithalten. Bei der Atmosphäre aber sehr wohl. Egal ob ich in einem Ramen-Restaurant sitze, in der Disco Karaoke singe, in der Spielhalle Sega-Spielhallenklassiker zocke oder einfach nur am Straßenrand warte und rauche – Yakuza Zero fühlt sich »echt« an und erinnert mich aber doch immer wieder dran, dass ich es mit einem Spiel zu tun habe. Das gilt vor allem für die Prügeleien, die mit unterschiedlichen Kampfstilen und komplexen Fertigkeitsbäumen im späteren Spielverlauf durchaus Anspruch haben. Allerdings bin ich trotz meiner zehn Stunden Spielzeit ohnehin erst im zweiten von insgesamt 17 Kapiteln. Angeblich wird die Story im weiteren Verlauf noch richtig spannend. Mir reichen aber erst mal die Geschichten, die mir die Stadt Kamurocho erzählt.
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