Die Welt dreht sich in den letzten Jahren gefühlt immer schneller: Pandemie, Krieg, Existenzängste oder einfach der stressige Arbeitsalltag. Es ist daher absolut verständlich, dass sich viele nach mehr Ruhe, Gemütlichkeit und Entschleunigung sehnen. Das Genre der sogenannten Cozy-Games verspricht genau das: Abtauchen in eine andere Welt, in der das Leben noch in Ordnung ist und die Menschheit in liebevollem Kontakt zur Natur steht.
Das von manchen auch als Good-Life-Simulation bezeichnete Genre verheißt damit genau das, was viele aktuell oft vermissen: Ein gutes erfülltes Leben. Doch was sind die psychologischen Faktoren, die uns im alltäglichen (Arbeits-)Leben so stressen und uns in die Wattebauschwelt der Cozy-Games fliehen lassen? Und können sie ein Gegenimpuls sein oder sind sie manchmal gar nicht so weit weg von den Bedingungen, denen wir zu entfliehen versuchen?
Hauptsache Weg!
Den Beginn dieser Spiele markiert meist der Bruch mit der aktuellen industriellen Leistungsgesellschaft der Großstädte und die Rückbesinnung auf das natur- und menschennahe Dorf- oder Inselleben. Weg von Zeitdruck, Leistungsdruck, Fremdbestimmung, hin zum gemütlichen Bestellen der eigenen Felder, Aufziehen der eigenen Tiere und netten Gesprächen mit seinen Mitmenschen, wie in Dinkum oder Stardew Valley. Falls einem das Farmleben nicht zusagt, kann man sich in Coffee-Talk als Barista oder in Lake auch als Postbotin verwirklichen. Im Fokus steht aber in den allermeisten Fällen ein alternatives Konzept von Leben, Arbeiten und der Balance dieser beiden Dinge.
Cozy-Games als Wattebauschwelt
Obwohl Cozy-Games natürlich eine Idealisierung der jeweiligen Lebens- und Berufsbilder darstellen, ist es schön zu sehen, dass es Spiele gibt, die für viele Spieler*innen einen sicheren Raum für Entspannung und Selbstverwirklichung darstellen. Gerade in Zeiten, in denen vieles unkontrollierbar erscheint, kann das virtuelle Gestalten des eigenen Bauernhofs oder das Zubereiten eines leckeren Kaffees genau das richtige sein, um den Kopf da zu behalten, wo er hingehört.
Psychische Belastungsfaktoren – Das Zündholz für Burnout
Psycholog*innen, die sich mit Belastungsfaktoren im Arbeitskontext beschäftigen, tun dies meistens im Rahmen der „Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung“. Im Kern geht es bei diesem Verfahren darum, Arbeitsbedingungen und -abläufe auf Faktoren zu überprüfen, die nachgewiesen belastend für Mitarbeiter*innen sind und je nach Umfang, Menge und individueller Beschaffenheit der Person zu psychischer Beanspruchung und Erkrankung führen können.
Eben diese Faktoren und die dadurch resultierende Belastung für die Psyche werden in sehr vielen Einführungssequenzen von „Cozy-Games“ thematisiert: Überstunden zum Einhalten der Deadline in Lake, monotones, fremdbestimmtes Arbeiten in Stardew Valley, schlaflose Nächte in Bear & Breakfast, oder Sinnsuche und Kapitalismusflucht in Dinkum und Coffee Talk. Das Entkommen aus schlechten Lebens- und Arbeitsbedingungen ist zentraler Ausgangspunkt des beliebten Spielegenres“.
Wie sieht also das „Gute Leben“ aus?
Diese Spiele bleiben dabei aber nicht bei dem Fluchtgedanken, sondern skizzieren ein alternatives Arbeits- und Lebenskonzept. Ein Konzept, das verspricht, es mit abwechslungsreichen Aufgaben, selbstbestimmten Arbeiten, positiven Interaktionen und viel Gestaltungsspielraum besser zu machen. Eine Realität in der nicht nur Prüfer der Gefährdungsbeurteilung glücklich wären, sondern vor Allem natürlich die Spieler*innen.
Ich serviere meinen Gästen in Coffee Talk nicht nur Kaffee, sondern führe fast schon therapeutisch-sinnstiftende Gespräche über Träume und Leidenschaften. Beim selbständigen Aufbau von Hostels, Bauernhöfen oder ganzen Inseln in Stardew Valley, Bear & Breakfast und Dinkum erlebe ich vielfältige Aufgaben, die ich selbstbestimmt angehen kann. Auch in Lake, der Postboten-Idylle, gibt es keine Vorgesetzten, die mir Druck machen und mir Vorgaben bezüglich meines Arbeitstempos oder der Arbeitsweise machen. Den finalen Schliff für die Wohlfühl-Atmosphäre von Cozy-Games gibt dann die meist entspannende Bild- und Klangkulisse.
Alle genannten Spiele legen einen starken Fokus auf eine positive Spielerfahrung mit möglichst wenig Frustrationserleben und psychischen Belastungen. Stattdessen setzen sie darauf, möglichst viel Selbstwirksamkeitserleben in Spieler*innen zu wecken.
Darunter verstehen wir in der Psychologie das Empfinden, einen wichtigen Einfluss auf sich und seine Umwelt nehmen zu können. Selbstwirksamkeit ist nicht nur für unser Wohlbefinden in Spielen, sondern auch in vielen anderen Lebenssituationen, insbesondere im Arbeitsalltag von besonderer Wichtigkeit. Erleben wir diese im Arbeitsalltag nur wenig, kann es uns daher sehr gut tun, wenn wir sie stellvertretend in der Freizeit durch Videospiele oder andere Hobbys erleben können.
Weitere Artikel, die sich mit Psychologie von Spielen befassen:
- Der Tetris-Effekt: Wie Videospiele unsere Wahrnehmung verändern
- Kann Angst Spaß machen? - Eine psychologische Betrachtung des Horror-Genres
- Wie Videospiele unsere psychische Gesundheit stärken
Stress im Garten Eden?
Sind Cozy-Games also der Inbegriff der Wohlfühl-Oase? Nicht unbedingt! Insbesondere Simulationen rund um das Thema Farming wie Stardew Valley verlieren im späteren Spielverlauf einiges an Gemütlichkeit: Die Anzahl der Aufgaben pro Tag steigt stark an, während die zur Verfügung stehende Zeit pro Tag die gleiche bleibt. Zwischen Pflanzen gießen, Tiere versorgen, Ressourcen sammeln und Dorfbewohner bespaßen bleibt nur noch wenig Zeit, die gemütliche Atmosphäre des Spiels aufzusaugen. Außerdem fühlt sich das Gießen der Pflanzen nach dem 100sten Spieltag auch langsam monoton und repetitiv an.
Dafür bietet das Spiel aber Möglichkeiten zur Automatisierung an, tritt damit allerdings aus der Stress-Falle direkt in die nächste: Min-Maxing. Die Automatisierung und Optimierung von Aufgaben beziehungsweise Ingame-Arbeitsprozessen lädt sehr stark dazu ein, mit minimalen Einsatz den maximalen Profit zu machen: Felder möglichst so anlegen, dass die Bewässerungsanlagen maximal ausgelastet sind, das Obst und Gemüse mit dem besten Ertragsverhältnis anbauen, und idealerweise noch die Naturgeister Junimo als Erntesklaven einstellen um sich Arbeit zu sparen.
Wann hören Spiele auf, Cozy zu sein?
Effizienzdenken und Gewinnmaximierung statt achtsamen Landwirtschaften: Ist das noch Rückbesinnung auf Natur und ein alternatives Lebens- und Arbeitskonzept oder haben wir einfach nur die Rolle vom Angestellten für den Chefposten einer landwirtschaftlichen Massenproduktion getauscht? Ist das noch „Cozy“? Wohl eher kaum.
Wenn Spiele wie Stardew Valley zu einem Wirtschaftssimulator, statt einem Landwirtschaftssimulator werden, wenn Leistungs- und Effizienzdenken Einzug halten und das Spielerleben sich aufgrund Zeitdruck, Monotonie oder unfreiwilligen To-Do-Listen wie Arbeit anfühlt, hören sie auf „cozy“ zu sein. Dann werden sie das, was sie in der Einführungsszene geschworen haben, zurückzulassen.
Dabei muss es in Spielen gar keinen Stress oder Leistungsdruck geben: Spiele wie Lake und Coffee Talk zeigen, dass auch ohne Herausforderungen ein gutes und angenehmes Spielerleben erzeugt werden kann. Gleichzeitig sind Spiele kein rezeptives Medium, sondern ein interaktives. Das Spiel ist in gewissem Maß, was ich daraus mache.
Niemand zwingt mich dazu, Strategien der Gewinnmaximierung zu verfolgen, auch wenn das Spiel es mir stark suggeriert. Wenn ich bereit bin, mich von den eigenen Leistungs- und Optimierungsansprüchen loszusagen, kann auch Stardew Valley im späteren Spielverlauf, oder vielleicht sogar unser eigenes Leben etwas mehr „cozy“ sein.
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