Tragischer Amoklauf in Tokio

In Tokio tötet ein 25-jähriger Mann bei einem Amoklauf sieben Menschen. Die SZ bringt die Morde mit Spielen in Verbindung. Ein Kommentar von Gunnar Lott.

Akihabara: Tokios Games- und Gadgetviertel Akihabara: Tokios Games- und Gadgetviertel

Eine Tragödie: In Tokio-Akihabara (Japan) hat ein 25jähriger Mann gestern in einem Amoklauf mindestens sieben Menschen getötet und elf weitere teils schwer verletzt. Der junge Mann fuhr seinen Lieferwagen in eine Passantengruppe und attackierte danach mit einem Messer wahllos Menschen. Die Polizei konnte ihn überwältigen, »Ich habe genug vom Leben« soll er bei der Festnahme gesagt haben. Akihabara ist das beliebte Elektronic-Shopping-Viertel von Tokio, dort gibt es Roboterhunde, Comics, Games, Kameras, Gadgets, PC-Hardware und vieles mehr -- für die meisten Tokio-Touristen gehört ein Besuch hier fest ins Programm.

Das, schrecklich genug, ist die aktuelle Faktenlage. Nachzulesen etwa bei der Süddeutschen Zeitung oder bei n-tv, einen (Audio-)Kommentar des ARD-Korrespondenten Peter Kujath finden Sie hier.

Artikel in der Süddeutschen Zeitung Artikel in der Süddeutschen Zeitung

Nun hatte aber Christoph Neidhart, der Japan-Korrespondent der Süddeutschen Zeitung, die Aufgabe, einen kurzen Artikel für die SZ von heute (Seite 10) darüber zu schreiben -- und da muss es im Hirn des Kollegen Klick! gemacht haben: Amokläufe, das hat doch bestimmt was mit Spielen zu tun, mag er gedacht haben. Aber ach, kein Hinweis auf Spiele in den Agenturmeldungen. Also fabulierte der Herr mal rasch ein paar Vorurteile dazu, schließlich ist der Tatort Akihabara. Ich zitiere:

»[...]nirgends in Japan fließt so viel Blut wie im friedlichen Akihabara -- Bildschirmblut. In manchen Computerspielen, die man hier kaufen kann, metzeln die Spieler [...] mit dem Joystick Tausende nieder. Sie rollen mit Panzern über Menschen [...] oder vergewaltigen kleine Mädchen, auch mit Messern.«

Wenn kein Zusammenhang da ist, konstruiert man sich einen, das ist der alte Trick. Schlimm nur, dass diese Zeilen aus der SZ stammen, einem Qualitätsmedium -- und nicht der Bildzeitung. Dass Japan ein anderes Verhältnis als der Westen zu Darstellungen von Sex und Gewalt (und trotzdem eine der weltweit niedrigsten Quoten an Gewaltverbrechen) hat, ist einem Japan-Korrespondenten wie Neidhart natürlich bekannt, dennoch stellt er es als Spiele-Phänomen dar. Wobei übrigens die hierzulande verteufelten Ego-Shooter mit ihren realistischen Gewaltdarstellungen in Japan kaum verbreitet sind: Gewalt in Videospielen ist im Mutterland der Konsolen zumeist stark stilisiert.

Aber Neidhart legt nach:

»Manche Japaner konsumieren [...] Gewalt obsessiv [...]. Diese Leute, oft Einzelgänger, decken sich in Akibahara mit Software ein.« Und später im Text: »Ob der schmächtige Mörder [...], das Elektronik-Viertel bewusst als Tatort gewählt hat, war nicht klar.«

Kolumnist Gunnar Lott: Director of Online and New Business und ehemaliger GamePro-Chef Kolumnist Gunnar Lott: Director of Online and New Business und ehemaliger GamePro-Chef

Aha. Da haben wir's: Für den Autor ist es natürlich durchaus klar -- mit den schwammigen Andeutungen soll der Eindruck erweckt werden, dass Ort und Tat einander bedingen und die Wurzeln der Sache irgendwie in der virtuellen Gewalt liegen müssen. Neidhart hat eh eine gespaltene Einstellung zur ganze Sache: In einem Reiseführer beschreibt er Akihabara so: »Hier decken sich jene vielen jungen Japaner, die notorisch scheu sind, mit jenem Spielzeug ein, das ihnen das Sozialleben ersetzt.« Schon klar, Herr Neidhart. Anime, Gadgets, Games sind also Ihrer Meinung nach kein japanisches Kulturphänomen, sondern eine Randerscheinung, eine Art Fehlverhalten einsamer junger Männer. Dazu möge sich jeder Leser selber sein Urteil bilden.

Ich finde den ganzen Tenor der Artikels nachgerade gruselig. Gottseidank ist er eine Einzelsicht auf die Dinge: Kein anderes deutsches Medium, nicht einmal die Jungs von der als Spieleverleumder einschlägig bekannten Bildzeitung, hat (bislang) versucht, einen ähnlichen Zusammenhang herzustellen.

Wenn die SZ nicht ansonsten so eine verdammt gute Zeitung wäre, würde ich an dieser Stelle mit der Kündigung meines Abos drohen.

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