Beginnen wir mit einem nicht ganz unwichtigen Hinweis: The Walking Dead: 400 Days ist kein Spiel, jedenfalls nicht im klassischen Sinne. Während die Grenze zwischen Adventure und interaktivem Film schon im Hauptspiel bzw. den Hauptepisoden eine fließende war, gibt sich Entwickler Telltale Games mit dem DLC quasi keinerlei Mühe mehr, die Illusion eines »echten« Spiels zu wahren. 400 Days ist eine interaktive Kurzgeschichtensammlung - und zwar eine verdammt gute.
Theoretisch soll 400 Days dabei die Lücke zwischen der großartigen ersten Staffel und der für Herbst geplanten zweiten Staffel schließen. Wir sagen »theoretisch«, weil 400 Days diesem Anspruch nicht unbedingt gerecht wird. Obwohl unsere Entscheidungen aus der ersten Staffel eingelesen werden, halten sich die sichtbaren Auswirkungen in sehr überschaubaren Grenzen - und wir haben nach dem »Spielen« auch nicht das Gefühl, als sei wenigstens eine offene Frage geklärt worden. Im Gegenteil: Es kommen neue hinzu. Viele.
XBL & PSN
400 Days erscheint am 5. Juli auf Xbox Live und am 10. Juli im europäischen PSN. Der Preis beträgt jeweils rund 5 Euro. Ihr müsst zumindest die erste Episode von The Walking Dead besitzen, um 400 Days spielen zu können.
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Wie Pulp Fiction
Genau darin allerdings liegt die Stärke dieser Übergangsepisode. Es gibt keine Geschichte im herkömmlichen Sinne, stattdessen erleben wir fünf Momentaufnahmen, fünf Mini-Episoden sozusagen, jede davon zwischen 20 und 30 Minuten lang. Im Mittelpunkt steht jeweils ein neuer Charakter, aber über die werden wir an dieser Stelle kein Wort verlieren, denn 400 Days bezieht seinen Reiz nicht zuletzt daraus, dass wir eben nicht wissen, mit wem wir es eigentlich zu tun haben.
Dieser Aufbau führt natürlich zwangsläufig dazu, dass die Figuren nur oberflächlich skizziert werden - schließlich fehlt bei maximal 30 Minuten pro Mini-Episode schlicht die Zeit für komplexe zwischenmenschliche Beziehungen à la Lee und Clem aus der ersten Staffel. Indes: Selbst unter diesen Bedingungen zeichnet 400 Days so glaubhafte und lebendige Charaktere, dass sich viele 40-Stunden-Spiele eine dicke Scheibe abschneiden könnten.
An einigen Stellen (über die wir an dieser Stelle natürlich auch kein Wort verlieren) können sich die einzelnen Kurzgeschichten übrigens überschneiden, auch wenn sie zeitlich versetzt in einem Rahmen von 400 Tagen stattfinden.
»Können« deshalb, weil wir völlig frei wählen dürfen, in welcher Reihenfolge wir die Episoden angehen; spielen wir sie chronologisch, dann ergeben sich andere (oder möglicherweise auch mal gar keine) erzählerische Kollisionen als beim Von-Hinten-Nach-Vorne-Ansatz oder beim Wild-Durcheinander-Zufallsprinzip.
Wie David Copperfield
Trotz dieser Struktur laufen alle Handlungsstränge in einem kurzen Epilog zusammen und ignorieren die innerhalb der Episoden getroffenen Entscheidungen größtenteils - was wir aber erst dann merken, wenn wir 400 Days noch einmal spielen, weil Telltale immer noch die hohe Kunst der Illusion beherrscht.
Auch wenn unsere Entscheidungen letztlich eben doch keine handfesten Konsequenzen haben, gaukelt uns der DLC so geschickt das Gegenteil vor, dass die Auflösung sehr organisch wirkt - offene Fragen hin oder her.
Überhaupt, die Entscheidungen! 400 Days konfrontiert uns nicht nur mit ungewöhnlich vielen moralischen Dilemmas, sondern auch mit ungewöhnlich guten, weil schwierigen.
Dazu spinnt Telltale Games ein paar aufrichtig überraschende WTF-Momente und gewohnt fantastische Dialoge mit erstklassigen, aber ausschließlich englischen Sprechern. Deutsche Untertitel sind erfreulicherweise schon enthalten.
Wollte man unbedingt über 400 Days mäkeln, man könnte neben der kurzen Spielzeit auch den Umstand nennen, dass neben gelegentlichen (und nahezu völlig anspruchslosen) Quick-Time-Events quasi keinerlei Gameplay-Elemente existieren; lediglich eine der insgesamt fünf Episoden erinnert rudimentär an ein Adventure.
Aus diesem Grund verzichten wir bewusst auf eine klassische Wertung: Wem schon The Walking Dead zu wenig Spiel bot, der sollte um diesen DLC einen weiten Bogen machen - und sich anschließend wenigstens ein bisschen schämen, weil er ein fantastisches Erlebnis verpasst.
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