Die heutzutage geläufigste Philosophie, die hinter einem "Game Over"-Screen steckt, ist dank der Dark-Souls-Reihe wohl folgende: Ich habe etwas falsch gemacht und muss nach Fehlern in meiner Herangehensweise suchen. Es soll ein Erkenntnisgewinn resultieren, der uns im weiteren Spielverlauf noch nützlich sein kann, sowie ein gewaltiger Euphorieschub ausgelöst werden, meistert man eine besonders schwierige Aufgabe.
Dinge, die sich bewährt haben, ändert man ungern. Das gilt auch für The Last of Us 2. Nach jedem Ableben werden wir an einen Checkpoint zurückgesetzt und versuchen erneut, ein Kampfareal abzuschließen. Grundlegend macht Naughty Dog mit dieser Methode nichts verkehrt, jedenfalls bis es zum Ende der vergleichsweisen sehr langen Geschichte kommt.
Ein fataler Abschluss, dem man nicht ausweichen kann
Ellie zieht noch einmal los, um die Mörderin ihrer Vaterfigur zur Rechenschaft zu ziehen. Obwohl ihr die Möglichkeit gewährt wurde, mit ihrer großen Liebe sesshaft zu werden und eine Familie zu gründen, sehnt sie sich nach einem Abschluss. Dieser kann für die vollständig gebrochene Frau nur der Tod sein, egal ob es sie trifft oder ihr Ziel.
Der schier unendlich wirkende Gewaltspirale, in der Ellie und Abby versinken, können auch wir als Spieler*innen nicht entfliehen.
Es kommt zur finalen Konfrontation zwischen den beiden und wir müssen aktiv daran teilnehmen, obwohl uns unser neutraler Blick beim Zuschauen eigentlich sofort sagt, dass Ellies Verhalten moralisch wie rational untragbar ist.
Ellies Rolle verschiebt sich zur klaren Antagonistin
Nicht nur war Abby während ihrer Gefangenschaft in den Händen der "Rattlers" menschenunwürdigen Bedingungen und Misshandlungen ausgesetzt, sie wird zudem noch von Ellie zum Kampf gezwungen, indem diese das Leben des bewusstlosen Lev bedroht. Mein erster Reflex darauf war es, den Controller zur Seite zu legen. Ich wollte nicht auf eine Figur einstechen, die mir Stunde um Stunde ans Herz gewachsen ist und von der keinerlei Bedrohung ausgeht.
Ergeben wir uns im Kampf gegen Abby werden wir jedoch nicht für unser Mitgefühl belohnt, sondern mit einem banalen "Game Over" zurechtgewiesen.
Dieser bietet weder einen Lerneffekt, noch wird damit Euphorie aufgebaut. Er existiert, weil The Last of Us 2 starr daran festhält, ein Spiel zu sein. Ärgerlicherweise, denn Naughty Dog könnte den Kerngedanken des Titels, dass Gewalt eine unkontrollierbare Lawine an Leid auslöst, noch einmal bekräftigen, indem es unsere Abwehrreaktion als gute Tat einordnet.
Stattdessen: Schwarzbild, Checkpoint laden, wieder von vorn - Eine der plumpsten Korrekturmethoden, die es in dieser Situation gibt. Ich müsste lange in meinem Videospielgedächtnis kramen, um einen Moment zu finden, der so unbefriedigend und enttäuschend war. Vom Immersionsbruch ganz zu schweigen. Die Unterbrechung riss mich dermaßen ungelenk aus der Szene, dass ich einige Sekunden benötigte, um emotional wieder mitfiebern zu können. Einige Augenblicke später ist dann auch wirklich Schluss. Und zwar exakt genau so, wie ich es zuvor schon beabsichtigt hatte. Ellie lässt von Abby und ihrem Wahn nach Vergeltung ab.
Naughty Dog - ich wollte doch genau dasselbe wie ihr!
Dabei gäbe es geschicktere Alternativen, die auch zum angestrebten Endpunkt führen würden. Mir hätte schon die Frage per Texteinblendung gereicht, ob ich Ellie nun spielen möchte. Um den Fluss der Zwischensequenz nicht zu stören, sogar während dieser.
Oder viel besser noch: Lasst doch die KI für Ellie übernehmen, sofern nach einer gewissen Zeit keine Attacke der Spielfigur erfolgt, und verkürzt daraufhin den Kampf. Was spricht denn dagegen, dass Abby sofort niedergeschlagen wird und es unmittelbar zu der Szene kommt, in der sie beinahe ertränkt wird? Selbst der Moment, in der Ellie zwei Finger abgebissen bekommt, würde so erhalten bleiben. Ebenso wie die vernichtende Inszenierung des folgenden Epilogs.
Denn eines ist sicher: Es darf bei The Last of Us 2 kein Happy End geben, aber ruhig ein wenig mehr Fingerspitzengefühl, wie mit den Emotionen der Spieler*innen umgegangen wird.
Die Art und Weise, wie der Kampf gegen Abby letztendlich gelöst wurde, hält zu stark an geltenden Konventionen fest. Naughty Dog verpasst die Chance, etwas selten Dagewesenes zu schaffen: Mit interaktiven Erzählmethoden empathisches Verhalten zu belohnen. Endlich hätte ich mich Ellies Person wieder angenähert und noch mehr mit ihr gelitten, als ich es ohnehin tat. Eine gemeinsame Trauerbewältigung, in der für mich als Spieler und auch Ellie als Charakter klar ist, dass das Leid nun ein Ende hat.
Wie sehr sich The Last of Us 2 emotional von uns Spieler und Spielerinnen distanziert, hat auch Nina Kiel aufgeschlüsselt:
Unsere umfangreiche Interpretation des Endes von The Last of Us 2 lest ihr in einem separaten GamePro-Artikel.
Wie habt ihr den finalen Kampf in The Last of Us 2 empfunden?
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