Mit 12 saß ich auf einer Schaukel, die mich und meinen Mageninhalt katapultartig nach oben beförderte. In diesem Moment wusste ich: "Alles klar, ich habe Höhenangst." 14 Jahre später schnallten mir zwei Mitarbeiter von Crytek eine Oculus Rift auf den Kopf, um mich inmitten der Gamescom 2016 gegen die virtuellen Gebirgsketten von The Climb antreten zu lassen. An vermeintlich schwindelerregenden Bergketten herumklettern, während meine Höhenangst schon auf dem Weg zum Pressetermin die Knie weich werden ließ? Puh, bitte nicht. Doch noch bevor ich wieder umkehren und mich auf der Herrentoilette verstecken konnte, empfingen mich bereits zwei Crytek-Mitarbeiter mit offenen Armen und einer Spielanleitung. Da musste ich nun wohl durch.
Die Bedienung von The Climb ist so einfach wie intuitiv: Die Oculus-Controller erfassen meine Handbewegungen und übertragen sie in den virtuellen Raum, Greifbewegungen werden auf Knopfdruck ausgeführt. Im Spiel blicke ich auf ein virtuelles Händepaar, das erstaunlich echt aussieht und völlig frei im Raum bewegbar ist. Nur meine Füße muss ich geflissentlich ignorieren. Auf diese Weise hangele ich mich am Berghang meiner Wahl idealerweise bis zum Gipfel einer der drei wählbaren Gebirgszüge. Das Ganze ohne virtuelle Einblendungen, Hilfspfeile oder blinkende Idealrouten: Ich muss meinen Weg selber finden.
Während mir die fachkundigen Menschen im Crytek-Shirt dieses überschaubare Regelwerk erklärten, sammelte sich allmählich der Angstschweiß in meinem Nacken. The Climb ist bereits seit April im Handel erhältlich, doch bisher habe ich noch keinen Erfahrungsbericht lesen können, wie sich das Spiel für Menschen mit Höhenangst anfühlt. Ist Cryteks Höhenspaziergang für Menschen wie mich unspielbar? Oder ein Adrenalin-Kick, der mich süchtig machen wird? Und wie oft werde ich ohnmächtig werden?
"Einfach nicht nach unten schauen!"
Das letzte Mal, dass ich ein Oculus Rift-Gerät auf der Nase sitzen hatte, ist zwei Jahre her. Damals flog ich in einer ziemlich mittelmäßigen Sci-Fi-Simulation durch weitläufige, aber unscharfe Galaxien. Was mir nun allerdings The Climb auf die bereits ängstlich zusammengekniffenen Pupillen projizierte, verschlug mir für einige Sekunden tatsächlich den Atem: Ich stand vor dem orange-roten Gestein des Grand Canyon, der sich meterhoch vor mir auftat. Ich drehte meinen Kopf und entdeckte hinter mir eine weitläufige Berglandschaft, die in die Farben des Sonnenuntergangs getaucht war. Kurz darauf spürte ich auch schon die Hand einer Crytek-Mitarbeiterin, die mich an der Schulter stützte: Meine Knie waren weich wie Wackelpudding geworden, während ich den Kopf in den Nacken legte und versuchte, irgendwo über mir einen Gipfel auszumachen.
Ich schluckte und begann meinen Aufstieg. Mit der rechten Hand griff ich in die Höhe nach einem Vorsprung, drückte eine Taste, und schon klammerten sich meine virtuellen Finger an das Felsgestein. Allzu geduldig durfte ich allerdings nicht einhändig dort hängen, denn solange ich mich nicht mit beiden Händen irgendwo festklammere, lässt die Kraft meines virtuellen Avatars nach — bis er schließlich abstürzt. So werde ich dazu gezwungen, mehr oder weniger ständig in Bewegung zu bleiben, denn die Ruhehaltung mit zwei erhobenen Armen beansprucht die Muskulatur mehr, als das Wort "Ruhehaltung" vermuten lassen würde.
Während ich mich so nach und nach vom Erdboden entfernte, spürte ich, wie ich instinktiv leicht in die Knie ging, um einen stabileren Stand zu haben. Gleichzeitig zog sich mein Magen langsam aber stetig zusammen. Ich spürte ein erstes Gefühl der Übelkeit, was offenbar auch die Crytek-Mitarbeiter bemerkten. "Einfach nicht nach unten schauen!" hörte ich jemanden gedämpft rufen.
Selbstverständlich blickte ich nach unten. Ich war mittlerweile etwa zehn Meter geklettert und hatte unangenehm viel Abstand zwischen mich und meinen Startpunkt am Boden gebracht. Allmählich spürte ich ein Taubheitsgefühl meine Arme entlang klettern, mir wurde heiß und eine Flutwelle warmen Schweißes machte sich von meiner Stirn auf den Weg in Richtung Kinn und Hals. Es war der wohl schlimmste Moment während meines Aufstiegs und meine Höhenangst versuchte mich mit aller Kraft davon zu überzeugen, dass diese vermeintlich reale Kletterei nicht sonderlich lebensbejahend ist. Egal, wie sehr ich mich auf die Tatsache konzentrierte, dass das alles nur eine Simulation ist, mein Herz schlug ungebremst in Rekordgeschwindigkeit.
Spaß trotz Höhenangst - oder gerade deswegen?
Mit gutem Zureden der Mitarbeiter und krampfhaftem Controller-Drücken gelang es mir schließlich, meine Angst zu überwinden und den Aufstieg fortzusetzen. Nachdem ich diesen einen kritischen Moment überstanden hatte, blieb zwar eine spürbare Restangst zurück, doch konnte ich endlich wieder weiterklettern und spürte allmählich immer mehr Euphorie durch meinen Körper jagen. Mein Kopf begann sich auf das ungewohnte Gefühl der Kletterei einzustellen und gab mir die Kontrolle über meine Arme zurück.
Völlig verschwitzt und mit noch immer wackligen Beinen, dafür aber breit grinsend, gab ich schließlich die Oculus Rift-Brille wieder ab, worauf ich mich erst einmal setzen musste. The Climb war von vielen meiner Kollegen als ganz nettes VR-Spielchen beschrieben worden, das aber letztlich das besondere Etwas vermissen lassen würde. Für mich allerdings entpuppte es sich als verdammt harte Mutprobe, die mich für mein ausdauerndes Festklammern mit einer gigantischen Ladung Glücksgefühl überschwemmte. Mit bestem Gewissen kann ich daher den Höhenangst-Menschen unter euch zu der VR-Kletterei von Crytek raten, wenn ihr jemals ins Grübeln kommen solltet, ob das Spiel für euch geeignet ist. Der Aufstieg am Berghang wird euch einiges an Überwindung und Kraft abverlangen, doch am Ende seid ihr glücklich und sogar ein wenig stolz auf euch.
Dom Schott
@R3nDom
Ich war wirklich gespannt darauf, wie sich The Climb im Zusammenspiel mit meiner ausgeprägten Höhenangst anfühlen würde. Eigentlich hatte ich gedacht, mir nach kurzer Unsicherheit deutlich in Erinnerung rufen zu können, dass dies alles nur eine Simulation ist, während ich in Wirklichkeit noch immer fest auf dem Boden stehe, statt am Grand Canyon herumzuklettern. Doch es kam völlig anders: Ich hatte gehörige Angst, meine Beine wurden mehr als einmal schwach und Schweißfontänen schossen aus jeder Pore.
Doch ab einem gewissen Punkt siegte schließlich mein rationales Denken über die Illusion der Kletterpartie und ich konnte mein Erlebnis tatsächlich genießen. Damit hatte ich letztendlich mit The Climb unglaublich viel Spaß und spiele nun sogar mit dem Gedanken, mir selbst für den regelmäßigen Adrenalin-Kick das Spiel anzuschaffen. Auch euch Höhenangst-Menschen kann ich ausdrücklich zu diesem Spiel raten — eine Brechtüte für den Fall des Falles solltet ihr dennoch griffbereit neben euch legen.
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