Sifu will ein bockschweres Spiel sein. Das macht alleine schon das Motto "Training never ends" auf der offiziellen Website deutlich. Und tatsächlich musste ich in der Pre-Release-Version auf die harte Tour lernen, dass Sifu mehr als nur präzises Pak Mei-Kung Fu verlangt.
Viel Frustresistenz, Lernbereitschaft und trainierte Finger gehören genauso dazu. Sonst drohen Selbstzweifel, verkrampfte Hände und das qualvolle Scheitern in Level 2, wie es bei mir der Fall war. Die besondere Alterungsmechanik von Sifu, die in mir erst ungeahnte Motivation erweckte, war es am Ende schließlich, die mich brach.
Annika Bavendiek
@annika908
Annika ist nicht nur theoretisch von Kampfkunst und Kampfsport begeistert, sondern selbst seit vielen Jahren aktiv unterwegs: Judo, Taekwondo, Kickboxen - sie hat im echten Leben schon einige Erfahrung gesammelt. Die Freude auf das virtuelle Kung Fu in Sifu war demnach groß, auch trotz des schweren Ansatzes.
Lerne oder stirb!
Jeder falsche Schritt, jeder unüberlegte Angriff in Sifu wird bestraft und kostet wertvolle Lebenszeit. Der richtige Einsatz von Angriffen, Blocks, Paraden und Ausweichmanövern machen den entscheidenden Unterschied.
So funktioniert die Alterungsmechanik
Unser Kung Fu-Ass besitzt ein magisches Amulett mit fünf chinesischen Münzen, die mit jedem Tod schwächer werden und zerbrechen. Sterben wir, steigt unser Alter um die Gesamtzahl unserer Tode. Während wir so beim ersten Mal noch entspannt von 20 auf 21 Jahre altern, kostet uns jedes weitere Ableben mehr Lebenszeit, bis wir schließlich alt und grau sind. Zerbricht die letzte Münze, bedeutet die nächste Niederlage das Game Over.
Dadurch gehen alle Fortschritte verloren, mit Ausnahme komplett freigeschalteter Fähigkeiten und gesammelter Informationen wie beispielsweise Schlüsselkarten für Abkürzungen.
Glücklicherweise können wir durch das Besiegen einiger Gegner die Todeszahl wieder senken oder an Drachenskulpturen gegen Erfahrungspunkte komplett zurückzusetzen. Unser Alter können wir aber nicht rückgängig machen. Je älter wir werden, desto härter auch die Bestrafungen für Fehler. Wir werden mit jedem Tod zwar im Angriff stärker, gesundheitlich aber schwächer - wer oft stirbt, dem wird es also noch schwerer gemacht.
Zwischen Flow und Frust
Meine Vorfreude auf Sifu war groß. Ich bin zwar kein Fan von schweren Spielen wie Dark Souls und auch stumpfer Grind gehört nicht unbedingt zu meiner Lieblingsbeschäftigung, aber bei Sifu war das anders. Zu sehr faszinieren mich Kampfkünste und allein die Möglichkeit, mich wie eine Kampfmaschine gekonnt durch Gegnermassen zu prügeln, war zu verlockend. Also verbiss ich mich wie ein Terrier in das Spiel, um den süßen Geschmack des hart erarbeiteten Erfolges zu kosten.
Zu Beginn wischten die Gegner mit mir aber förmlich den Boden auf. Ich war viel zu aggressiv und auch die zeitweise miese Kameraeinstellung trug dazu bei, dass meine Todesuhr anstieg. Also schluckte ich den ersten Frust herunter und nahm das Tempo raus. Blocks, Konter und Kombos, was auch immer ich tat, ich tat es nun mit Bedacht. Das verlangte viel Durchhaltevermögen und noch mehr Tode, aber siehe da: Nach vielen schweißtreibenden Stunden und verkrampften Händen bezwang ich den Botaniker-Boss und Level 2 stand mir endlich offen. Selten war ich beim Spielen so stolz auf mich.
Dumm nur, dass mir der Sieg wenig brachte, da ich im Alter von stolzen 68 im nächsten Abschnitt schlechte Karten hatte. Und zack, der Frust war wieder da. Also ging es zurück ins erste Level. Wieder die gleichen Gegner, wieder der gleiche Boss, immer und immer wieder.
Langweilig? Ja! Ich konnte das Fabrikgelände echt nicht mehr sehen. Allerdings schulte ich damit weiter mein Kung Fu und konnte bestimmte Fähigkeiten permanent freischalten. Allein die Möglichkeit Feinden einen Hocker entgegenzutreten erleichtert den Kampf ungemein.
Letztendlich wurde ich dadurch derart übermächtig, dass ich mich effektiv und stilvoll wie John Wick durch das erste Level kämpfen konnte - nur ohne Schusswaffen, versteht sich. Das Problem, mit einem zu hohen Alter im nächsten Level keine Chance zu haben, führte also letztendlich dazu, dass ich den Grind genoss und motiviert für Level 2 trainierte. Nennt es Ehrgeiz oder Ego, aber ich war dadurch zu meiner Überraschung Feuer und Flamme.
The same procedure: Das zweite Level zu meistern ging mir durch das Gelernte dann tatsächlich besser von der Hand. Allein der Soundtrack in dem düsteren Club pushte mich mit seinem Beat. Mein Selbstbewusstsein stieg und stieg, bis Boss Nummer 2 mich schließlich wieder hart auf den Boden der Tatsachen katapultierte. Zu undurchsichtig war sein Angriffsmuster, zu kurz die Reaktionszeiträume. Aber hey, auch hier müsste Training es doch schon irgendwie richten, oder nicht? Wie sehr ich mich doch getäuscht hatte!
Ein Kampf gegen die Zeit, den ich nur verlieren konnte
Mein Problem war nicht Sean, der mich als Boss mit seinen Stabangriffen aus dem einstudierten Konzept brachte, sondern der endgültige Tod, der meinen Fortschritt relativiert. Um den Rachefeldzug zu beenden, muss ich ein Level nicht nur einmalig meistern, sondern es mehrfach schaffen und im Schlaf beherrschen. Schaffe ich es nicht in jungen Jahren da raus, kann ich mir das nächste Level gleich sparen.
In Level 1 ging das da noch unverbrauchte Konzept für mich auf, begann aber bereits mit Level 2 meine Geduld auf die Probe zu stellen. Denn ich kann und will nicht unzählige Stunden in ein Spiel versenken, dass mir selbst meine Siege madig macht, weil es meist doch nicht reicht. Als würde ich für eine 1 im Mathetest trotzdem keine Anerkennung bekommen, weil es ja nicht für eine 1+ gereicht hat.
Und selbst wenn ich Level, Moves und Fähigkeiten verinnerlicht habe, hilft mir irgendwann nur noch meine eiserne Disziplin weiter. Der immer größer werdende Brocken an Herausforderung, der mit der Alterung einhergeht, führt bei mir aber zu einer Abwärtsspirale: Umso frustrierter ich bin, umso mehr verliere ich die Konzentration.
Hätte Sifu Speicherpunkte oder anpassbare Schwierigkeitsgrade, gäbe es auch für Menschen wie mich die Möglichkeit, mit dem Spiel durchgängig Spaß zu haben und trotzdem spielerisch über sich hinauszuwachsen.
Hartes Training für nichts und wieder nichts
Präzision, Wiederholungen und Geduld sind ein essentieller Bestandteil von Kampfkünsten, das weiß ich als Kampfsportlerin nur zu gut und stelle mich dem auch gern. Sifu schlägt mit seinem bewusst harten Schwierigkeitsgrad und Mechaniken auch genau in diese Kerbe, überspannt meinen sonst wirklich langen Geduldsfaden aber dann doch.
Was mir Sifu letztendlich mit seiner Alterungsmechanik abverlangt, hat nichts mehr mit spielerischem "Training never ends" zu tun, sondern fühlte sich oft unfair an. Das mühsame Lernen und Freischalten hat mir keine weiteren Erfolge gebracht, da ich am Ende immer am Alter scheiterte. Teilweise zweifelte ich sogar an meinen eigenen Fähigkeiten: Liegt es vielleicht doch nur an meiner Unfähigkeit? Und will ich mir das wirklich weiter antun, wenn ich am Ende doch nur so wenig dafür zurückbekomme?
Diese Fragen habe ich mir zu meinem Wohl mit einem klaren Nein beantwortet. Bis auf Weiteres beschränke ich mich lieber auf echte Kampfkunst. Bekomme ich da einen drauf, weiß ich wenigstens, dass ich wirklich zu 100 Prozent selbst Schuld bin und Training nicht durch blitzschnelle Alterung verzerrt wird.
Gleichzeitig bricht es mir aber auch das Herz, denn ich habe Sifu alleine schon für das tolle Kampfgefühl lieben gelernt. Ich hoffe daher sehr, dass ein Patch wie angekündigt soweit an der Zugänglichkeit schraubt, dass ich das Alterungssystem nicht vielleicht mehr verfluchen werde.
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