Wir hätten auch nicht gedacht, dass uns die Indizierung eines Videospiels jemals freuen würde. In diesem Fall aber danken wir der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) - sie hat uns eine schwere Entscheidung abgenommen. Statt einen inneren Kampf auszufechten, welchen Ego-Shooter des britischen Entwicklerstudios Rare wir nun lieber mögen, fällt unsere Wahl zwangsweise auf Perfect Dark. Dessen geistiger Vorgänger, ein James-Bond-Lizenzspiel, wird von Nintendo nicht in Deutschland veröffentlicht, aber von der BPjM wegen seiner realistischen Sterbeanimationen 1997 indiziert.
Mit Perfect Dark verfährt der Publisher im Jahr 2000 genauso und schrammt diesmal haarscharf am Index vorbei. Module mit deutschen Bildschirmtexten gibt es dennoch, und zwar in Österreich. Tausende Exemplare gelangen durch Versandhändler oder Geschäfte, die den Aufdruck »Nicht für den deutschen Markt bestimmt« ignorieren, über die Alpen in die Modulschächte hiesiger N64-Konsolen. Als schließlich ein Exemplar in unseren Händen landet, ahnen wir noch nicht, wie lange wir dieses Spiel insgesamt zocken werden: 87 Stunden sind es laut der spielinternen Uhr, und bis heute kommen immer wieder einige Stunden hinzu. Denn Perfect Dark ist mit seiner flinken Steuerung, den grandiosen Levels und seinem gewaltigen Umfang schlichtweg eines unserer absoluten Lieblingsspiele.
Elvis lebt!
Joanna Dark, wegen ihrer herausragenden Testergebnisse auch »Perfect Dark« genannt, gilt im Jahr 2023 als beste Geheimagentin des Carrington-Instituts. Die größte Prüfung liegt aber noch vor ihr: Als Joanna den Gebäudekomplex der Firma dataDyne infiltriert, schlittert sie in ein Abenteuer mit gigantischen Ausmaßen. Sie kommt einer Verschwörung auf die Spur, bei der menschliche Schurken mit aggressiven Außerirdischen zusammenarbeiten. Natürlich gerät dabei die gesamte Menschheit in Gefahr und nur Joanna kann unseren Planeten vor der Zerstörung retten.
Die 17 Levels auf dem Weg zum großen Finale strotzen dabei vor Abwechslung: Nach dem Einbruch bei dataDyne liefern wir uns in der Carrington-Villa Gefechte mit Scharfschützen, retten einen kleinen, grauen Alien namens Elvis aus der Area 51, erschießen einen Klon des US-Präsidenten und erforschen ein gigantisches Raumschiff auf dem Meeresgrund. Als alles vorbei scheint und Joanna im Abendkleid zur Siegesfeier auftaucht, wird die Party von den Skedar gesprengt - also reisen wir zum Heimatplaneten der Reptilien-Aliens und löschen ihren Anführer aus. Kurz: Ein perfekter Science-Fiction-B-Movie! Als wir alle Story-Missionen durchgezockt haben, geht es jedoch erst richtig los. Mit jedem neuen Schwierigkeitsgrad werden nicht nur die Gegner zäher und treffsicherer, auch die Zahl der Missionsziele steigt.
Der Autor
Erinnert sich unser freier Autor Benjamin Blum an Perfect Dark, hält er sich instinktiv den Oberarm. Die Rare-Shooter für das N64 spielte er damals im Multiplayer-Modus gegen seinen älteren Bruder, der ihm rund alle zehn Bildschirm-Tode einen (moderaten) Hieb auf die Schulter verpasste. Der Koop-Modus war da auch keine Lösung, hier wurde sich darum gebalgt, wer mehr Gegner erledigt. Am Ende hatte Benny fast immer die höhere Abschussrate – und eine mittlerweile schmerzresistente Schulter.
Im ersten Level zum Beispiel gibt es auf der Stufe »Agent« nur eine Aufgabe: »Verschaffen Sie sich Zutritt zum Labor.« Wählen wir dagegen »Spezialagent«, müssen wir nebenbei Schlüssel finden und Sicherheitssysteme blockieren. So motiviert jeder Schwierigkeitsgrad aufs Neue, gerade »Perfekter Agent« mit seinen tödlichen Gegnern. Zum Glück gibt es gegen die feindliche Übermacht neben Standardwaffen von Pistolen bis zu Raketenwerfern auch trickreiche Agenten-Wummen - zum Beispiel ein Laptop-Gewehr, das sich auf Knopfdruck vom tragbaren Computer in eine tödliche Waffe verwandelt.
Geteilter Schirm, geteilte Freud
Die Steuerung ist aus heutiger Sicht gewöhnungsbedürftig. Mit dem Analogstick geht Joanna vor, zurück und dreht sich zur Seite. Die C-Tasten wiederum, als kompakte Raute auf dem N64-Controller angeordnet, sind für seitliche Schritte und Blicke nach oben und unten zuständig. Eine strikte Trennung von Gehen und Umschauen, wie bei modernen Spielen mit zwei Analogsticks, gibt es also nicht. Dennoch geht uns die Steuerung bald in Fleisch und Blut über - was auch an der effektiven Zielhilfe liegt.
Wir bringen Joanna in die richtige Position, blicken grob in die Richtung der Gegner, bis die Automatik »anspringt« und drücken ab. Klingt zu simpel, nach Arcade-Kost? Glaubt uns, spätestens ab dem zweiten Schwierigkeitsgrad ist die Hilfe absolute Pflicht, falls man nicht im Sekundentakt draufgehen möchte. Manuell gezielt wird zwischendurch übrigens auch - zum Beispiel beim Snipern.
Die Steuerung ist nur eines der bemerkenswerten Features in Perfect Dark, auf dem Modul schlummern geniale Optionen und Modi im Dutzend: ein Koop-Modus zum Beispiel, in dem die komplette Kampagne mit einem Kumpel via Splitscreen gezockt werden kann.
Sogar einen Vorgriff auf Spiele wie Evolve gibt es, und zwar den Counter-Operative-Modus. Darin übernimmt Spieler zwei in den Solo-Missionen die Rolle der KI.-Gegner. Ganz zu schweigen vom extra umfangreichen Multiplayermodus für vier Spieler - auch wenn das Spiel spätestens beim Vierer-Splitscreen spürbar ruckelt.
In der Versenkung verschwunden
An dieser Stelle appellieren wir gerne an Entwickler und Publisher, unsere geliebten Spielemarken bitte noch einmal aufleben zu lassen. Bei Perfect Dark dagegen sind wir nicht böse, wenn Joanna und Elvis in der Versenkung verschwunden bleiben. Cooler und witziger als der Master Chief sind die Rare-Charaktere zwar allemal, doch was dem Motorradhelm-Mann an Charme fehlt, macht er in Sachen Bedienung locker wett: Spätestens seit Halo ist die Zwei-Stick-Steuerung auf Konsolen das Maß aller Shooter-Dinge.
Das stellen wir auch 2005 schmerzlich fest, als wir das Prequel Perfect Dark Zero auf der Xbox 360 spielen: grundsätzlich ein cooles Spiel, doch die klassische Steuerung mit Zielhilfe funktioniert nicht mehr so flüssig wie zu N64-Zeiten - und die Zwei-Stick-Variante, die es auch in Perfect Dark Zero gibt, ist bei der Konkurrenz deutlich besser. Außerdem wollen wir Joanna gar nicht mit zwei Sticks steuern, da sind wir Traditionalisten. Also machen wir einmal im Jahr einen Abstecher in die Vergangenheit, mit dem N64 als Zeitmaschine.
Wenn das Modul im Schacht versinkt, der Power-Knopf einrastet und der alte Analogstick bei jeder Bewegung knirscht werden wir ein bisschen wehmütig. Zumindest, bis wir auf »Perfekter Agent« kurz vor Schluss eine Mission vergeigen - dann ist blitzschnell der gleiche Ehrgeiz wie im Jahr 2000 geweckt.
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