Mein 17-jähriges Ich aus dem Jahr 1998 tritt gerade gegen meinen Bürostuhl und ruft immer wieder »Ocarina of Time!« - und bis vor wenigen Tagen hätte ich ihm auch sofort zugestimmt. Doch seitdem Metroid Prime wieder in meinem GameCube rotiert, muss ich meine persönliche Rangliste neu sortieren: Nicht Links N64-Debüt, sondern Samus Arans erster Würfel-Auftritt ist das beste Spiel, das ich jemals gezockt habe.
Und »beste« ist wörtlich zu verstehen. Vielleicht mag ich andere Titel einen Tick lieber, was auch mein 16-jähriges Ich ein wenig besänftigt. Doch Metroid Prime macht mich mit seiner Perfektion gerade fassungslos. Im positiven Sinne. Denn in diesem Spiel funktioniert einfach alles.
Nehmen wir die Ego-Perspektive, die damals, vor dem Release im Jahr 2003, ein Streitthema ist. »Zieht Retro Studios von diesem Projekt ab und lasst sie einen eigenen Ego-Shooter machen«, fordert zum Beispiel Pete Deol vom Nintendo-Blog »N-Sider« im Februar 2001. Tatsächlich ist damals Skepsis angebracht: Nintendo entwickelt das Spiel nicht selbst, sondern überlässt es größtenteils einem Studio in Austin, Texas. Doch das Team um Director Mark Pacini, der mit ReCore gerade auf der Xbox One für Aufsehen sorgt, leistet ganze Arbeit - Metroid Prime spielt sich nämlich keineswegs wie ein Ego-Shooter.
Zwar sehe ich das Geschehen durch Samus Arans Augen, visiere die Gegner aber mit einer »Lock On«-Funktion automatisch an, umkreise sie und weiche mit Sprüngen aus. Dadurch fühlt sich Prime eher wie ein Action-Adventure an, im Grunde wie ein klassischer Metroid-Titel - nur, dass der Blickwinkel dynamischer ist. Es gibt noch viele solcher Stärken und Erinnerungen an große Momente, vom Tutorial bis zum finalen Bosskampf. Also Power Suit an und Waffen durchladen, wir haben einiges vor!
Ein Treffer mit Wirkung
In Sachen Storytelling ist Metroid Prime kein großes Werk vom Schlage eines Witcher 3, doch die Geschichte und ihre Inszenierung funktionieren bestens: Samus empfängt ein Notsignal von Weltraumpiraten, die auf ihrem Schiff riesige Parasiten züchten und nun selbst von den Biestern gefressen werden. Also stülpe ich mir den Helm des Power Suits über und schlittere in ein Abenteuer, das mit einem spektakulären Tutorial beginnt: Nach wenigen Minuten auf der Station fordert uns der Mutter-Parasit zum Bosskampf.
Die Entwickler anderer Spiele hätten sich so etwas für den Schluss aufheben müssen - in Metroid Prime ist es nur ein Highlight von vielen. Gleich im Anschluss folgt ein simpler Storykniff, der sogar den Hexer alt aussehen lässt: Samus flieht von der Raumstation und kassiert dabei einen Wirkungstreffer, der all ihre Ausrüstung zerstört. Während ich mich als Geralt ständig frage, warum ich mit diesem legendären Krieger trotzdem auf Stufe eins starte, gibt es hier für den Neuanfang eine einfache, aber gute Erklärung.
Ein Feindbild ist auch gleich ausgemacht: Während der Flucht von der Raumstation taucht Samus' Erzfeind Meta Ridley auf. Der Bösewicht führt irgendwas im Schilde, also nimmt die Heldin die Verfolgung auf und landet auf dem Planeten Tallon IV. Hier geht das Abenteuer erst richtig los.
Perfekte Symbiose
Metroid Prime ist die perfekte Symbiose aus einer offenen Spielwelt und einem klar strukturierten Levelsystem. Schauplätze wie die Chozo-Ruinen oder Feuerhöhlen von Magmoor sind einerseits frei begehbar, andererseits stehe ich ständig vor verschlossenen Türen oder entdecke Items und Upgrades, die ich erst mit bestimmten Hilfsmitteln erreichen kann.
Dieses komplexe Geflecht aufzudröseln, erzeugt eine Spaßspirale: Als erstes Upgrade finde ich den Raketenwerfer, mit dem ich die rot versiegelten Türen öffnen kann. Nun steht ein neuer Weg offen, an dessen Ende ich den Morph Ball finde. Damit kann ich nun durch Schächte schlüpfen und finde als nächstes ... ihr kennt das Prinzip. Auch aus Spielereihen wie Zelda oder Castlevania. Nur hat es nie so brillant funktioniert wie bei Metroid Prime.
Das liegt auch daran, dass die Entwickler perfektes Augenmaß bewiesen haben: Die Spielwelt ist exakt so groß und verwinkelt, dass ich mich frei fühle, aber doch nie verirre - auch dank der genialen Karte, einem drehbaren 3D-Modell. Und dann ist da die perfekte Bedienung: Samus steuert sich so präzise und intuitiv, dass ich alle Sprungpassagen meistere, als Morph Ball zwischen Hindernissen hindurch kullere und gewaltige Abgründe mit dem Greifhaken überwinde.
Mit jedem weiteren Upgrade eröffnen sich Möglichkeiten, auch in bereits besuchten Abschnitten kann ich neue Geheimnisse aufdecken. »Backtracking« ist diesmbenjal kein Schimpfwort - stattdessen fühlt es sich großartig an, nach vielen Stunden in einen der ersten Räume zurückzukehren, um mit dem aufgemotzten Morph Ball die Wände hoch zu flitzen und ein Raketenupgrade einzusacken.
Die größten Triumphe bieten dann aber doch die Bosskämpfe: Im Zentrum jedes Areals auf Tallon IV lauert ein Monster, das mit Feuerkraft und Köpfchen bezwungen werden muss. So wie die Riesenpflanze Flaahgra, die ihre Energie aus Sonnenlicht bezieht. Also setze ich die sie »fütternden« Spiegel mit Raketen außer Gefecht.
Finale unter der Erde
Rund 20 Stunden brauche ich damals, in denen ich Weltraumpiraten jage, Geheimnisse aufdecke und schließlich Meta Ridley besiege - doch der wahre Feind lauert Tief unter der Erde: Metroid Prime ist ein gewaltiges Alien, das bei einem Meteoriteneinschlag auf Tallon IV gelandet ist und den Planeten von innen heraus vergiftet. Das Finale fordert noch einmal Konzentration, unzählige Ausweichmanöver und den gezielten Einsatz von Samus' Waffenarsenal. Es ist der würdige Abschluss eines grandiosen Spiels - und der Höhepunkt der ganzen Reihe.
Die beiden Nachfolger sind zwar ebenfalls hochklassig, der Wow-Effekt ist aber verflogen. Deshalb ist es nach nun 13 Jahren wieder höchste Zeit für einen Metroid-Meilenstein. Trotz WiiU-Controller hat Nintendo bereits eine ganze Konsolengeneration lang dieses Potenzial verschenkt - wie gut hätte man den zweiten (Touch-)Bildschirm in das durchtechnisierte Metroid-Universum einbinden können. Mit Nintendo Switch gibt es nun eine neue Chance. Nutze sie, Nintendo!
Metroid Prime: Wii U Virtual Console
Wer jetzt Lust bekommen hat, Metroid Prime noch einmal zu spielen oder nachzuholen, sollte seine Wii (U) anschmeißen - im eShop gibt's nämlich die Metroid Prime Trilogy in der Virtual Console. Hier geht's zum eShop-Angebot.
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