Der alljährliche Pride Month im Juni hat auch dieses Jahr wieder die Logos nahezu aller Firmen und Spieleentwickler in die Farben des Regenbogens gehüllt. Manchmal aus Marketinggründen, manchmal allerdings auch als aufrichtiges Symbol, steht es für Akzeptanz von und Solidarität mit LGBTQIA-Personen. Als unterrepräsentierte Personengruppen, so wie Frauen und People of Color, finden auch Schwule, Lesben und trans Personen mittlerweile als Hauptprotagonist*innen das Rampenlicht.
Das stößt jedoch nicht immer auf Verständnis oder gar Begeisterung: Manche Stimmen wünschen sich in Videospielen explizit einen weißen, heterosexuellen Cis-Mann als Protagonisten und reagieren bei Abweichungen, als hätte man ihnen ihr Lieblingsspielzeug weggenommen. Warum ist es psychologisch betrachtet aber trotzdem wichtig, dass Spieleentwickler*innen diesen Schritt gehen?
Die Sache mit den Schubladen
Um die Mechanismen hinter Dingen wie Repräsentation, Diversität und der Identifikation mit Inhalten in Videospielen zu verstehen, müssen wir erst einmal einen kleinen Ausflug in die Sozialpsychologie, genauer gesagt in die Theorie der sozialen Identitäten machen.
Es ist eigentlich ganz einfach: Menschen haben die Tendenz sich selbst und andere in Schubladen zu stecken, die sich beispielsweise an Dingen wie Geschlecht, Ethnizität, oder Freizeitbeschäftigung orientieren. Selbst einfache Präferenzen wie ob du eher Shooter spielst oder dich lieber in JRPGs epischen Kämpfen stellst, sind ein kleiner Teil von sozialer Identität. Jeder ist dabei gleichzeitig in mehreren Schubladen oder Gruppen bzw. hat mehrere soziale Identitäten. Ich bin beispielsweise Frau, Mitglied der LGBT-Community, aber auch Psychologin und Gamerin, neben vielen weiteren Kategorien.
Alles schön und gut, wenn das nicht unser Interaktionsverhalten beeinflussen würde: Wir fühlen uns verbundener mit Personen, die gleiche soziale Identitäten teilen, und fühlen uns distanzierter von Personen, mit denen wir keine oder nur wenige soziale Identitäten teilen. Es beginnt automatisch das Konkurrenzdenken "Wir" und "die Anderen". Wir bewerten dabei automatisch unsere Gruppe als die bessere, und die andere als die schlechtere.
Jolina Bering
Jolina würde sich eigentlich eher als durchschnittliche Spielerin sehen. Sie spielt gerne starke und auch feminine Charaktere. Umso wichtiger findet sie es, auch mal aus ihrer Comfort-Zone auszubrechen und Spiele mit Charakteren zu spielen, mit denen sie erst einmal nicht so viel gemeinsam hat, wie zuletzt den Jungen Sean und Daniel aus Life is Strange 2.
Es konnte dabei experimentell bewiesen werden, dass uns selbst banale Kategorien wie Blau und Rot gegeneinander ausspielen. Das zeigt sich beispielsweise auch in den hasserfüllten Diskussionen darum, wer die besten Charaktere und Romance-Options in Spielen sind.
Wenn der Protagonist im "anderen Team" spielt
Wenn Personen sich also ablehnend gegenüber einer gewissen Gruppe von Menschen verhalten, dann hat das oftmals etwas mit der eigenen sozialen Identität zu tun. Je wichtiger es dabei für die Person ist z.B. weiß, männlich, hetero zu sein, und je weniger andere soziale Identitäten eine Person hat, desto mehr wird diese Person sich von anderen Kategorien distanzieren.
Dementsprechend fänden Spieler*innen dieser Gruppe es auch gar nicht toll, wenn sie plötzlich wie in Spider Man Miles Morales als schwarzer Jugendlicher mit lateinamerikanischen Kulturhintergrundspielen müssten, weil die Spielfigur durch ihre Ethnizität "zum anderen Team" gehört, und damit prinzipiell erstmal doof ist. Für die meisten von uns ist das kein Problem, weil wir unsere gebündelte soziale Identität nicht nur einem Pfeiler wie Geschlecht oder Ethnizität aufbauen, und wir auch Gemeinsamkeiten auf anderen Ebenen finden können bzw. gezwungen sind diese zu finden, wenn wir unterrepräsentierte soziale Identitäten haben.
Spieler*innen mit wenig diversen sozialen Identitäten fühlen sich jedoch ihrer Zugehörigkeit zur Protagonist*in "beraubt" und sehen sich als Opfer des Diversitäts-Regimes, wenn sie plötzlich nach anderen Gemeinsamkeiten als Ethnizität oder Geschlecht suchen müssen. Wie lassen sich solche verhärteten Fronten auflösen und inwiefern profitieren auch Spieler*innen von Diversität in Videospielen, die nicht einer Minderheit angehören?
Die "Kontakthypothese - kann zusammen Spielen Vorurteile abbauen?
Es ist doch seltsam, dass ausgerechnet die Leute, die am wenigsten mit anderen Gruppen, wie z.B. Personen anderer Ethnizität oder anderer sexueller Orientierung zu tun haben, am meisten Vorurteile hegen und "Anderen" gegenüber negativer eingestellt sind. Das dachte sich auch der bekannte Sozialpsychologe Allport als er 1954 in seinem Buch "Die Natur des Vorurteils" die Kontakthypothese formulierte.
Die besagt, je mehr positiven Kontakt man mit Personen anderer Gruppen hat, desto weniger Vorurteile hat man gegenüber diesen. Wichtig ist dabei, dass die Personen sich als gleichberechtigt, wahrnehmen und Gemeinsamkeiten entdecken (z.B. Ziele, Wünsche) oder zusammen auf etwas hinarbeiten. Und wie viele Studien später zeigen konnten, stimmt das auch, sogar dann, wenn man die "andere" Person selbst gar nicht kennt, sondern nur über Bekannte oder Verwandte.
Dieses Phänomen bietet auch für Videospiele eine enorme Chance: Je mehr wir mit sozialen Identitäten in Kontakt kommen, die nicht deckungsgleich mit unseren eigenen sind, können wir neue Perspektiven kennenlernen, Gemeinsamkeiten entdecken und dadurch Vorurteile abbauen. So können beispielsweise erwachsene Männer auch lernen, wie die Perspektive und das Leben einer Teenagerin aussieht, wenn sie Max in Life is Strange begleiten. Dadurch gibt es die Möglichkeit, seinen Horizont über die der eigenen sozialen Identitäten zu erweitern und eine tolerantere Persönlichkeit zu werden.
Aber hier geht es ja eigentlich nicht (nur) um den Durchschnittsspieler, sondern vor allem um die, die sich sonst in der Gesellschaft nicht ausreichend wahrgenommen und/oder wertgeschätzt fühlen. Was lösen beispielsweise starke Protagonist*innen bei weiblichen Spieler*innen aus?
Weibliche Repräsentation in Videospielen
Grundsätzlich bieten Protagonist*innen in Videospielen viel Projektions- und Identifikationsfläche: Wer hat sich nicht schon einmal gewünscht, so stark, schlau oder eben attraktiv zu sein, wie die Hauptfigur? Mit Lara Croft in Tomb Raider war eigentlich schon sehr früh deutlich, dass auch Frauen die Hauptrolle in Videospielen einnehmen können, auch wenn das Publikum immer noch überwiegend männlich ist. Mittlerweile gibt es auch in den AAA-Titeln, wie beispielsweise Horizon Zero Dawn, einige weibliche Protagonist*innen und man sollte meinen, dass Spieler*innen damit gut bedient sein sollten.
Aber Repräsentation ist nicht immer gleich Repräsentation. Ähnlich wie im echten Leben, haben auch virtuelle Gesellschaften soziale Hierarchien und Strukturen. Wichtig ist daher nicht nur, ob eine gewisse soziale Identität in einem Videospiel in ihrer Häufigkeit repräsentiert wird, sondern auch in ihrer Gleichwertigkeit. Es bringt für die Repräsentation wenig, wenn weibliche Figuren auf ihre äußeren Reize reduziert werden, inhaltlich aber systematisch weniger beizutragen haben als ihre männlichen Gegenstücke.
Das eigene Verständnis von weiblicher Identität findet man in Videospielen oft nur als Zerrbild im Sinne eines weiblichen Schönheitsideals auf Speed. Das erschwert Identifikation und kann sogar das Gefühl geben "ungenügend" zu sein.
Videospiele als Ort für Erfahrungen
Wir wissen zwar, dass Videospielen eine fiktive, virtuelle Welt abbilden, trotzdem prägen uns Erfahrungen, die wir hier machen aber auch in der Realität. Personen haben dadurch das Gefühl, dass bestimmte soziale Identitäten unerwünscht sind, und versuchen diese eher zu verstecken (z.B. Frauen in Ingame-Voicechats). Hinter dem Anliegen, sich adäquate Repräsentation in Videospielen zu wünschen, steckt also das Bedürfnis nach Anerkennung der Gleichwertigkeit - sowohl virtuell, als auch real.
Aus diesem Grund ist es für Personen aus unterrepräsentierten Gruppen auch oftmals so berührend, wenn sie endlich einmal das Rampenlicht und die Anerkennung bekommen, die sie sich wünschen und verdienen: Es ist die Bestätigung, dass du mit deinem kulturellen Hintergrund, mit deiner Ethnizität, mit deinem Geschlecht, deinem Körper und deiner sexuellen Orientierung genau so viel wert bist, wie andere Personen mit häufigeren sozialen Identitäten oder höherer Übereinstimmung mit der Norm oder dem Ideal.
Ein lebhaftes Beispiel dafür, wie berührend Repräsentation in Videospielen sein kann, sind die Reaktionen der puertoricanischen Streamer*innen Alyek und P1SMx auf die Darstellung lateinamerikanischer Kultur in Marvel's Spider-Man Miles Morales.
Diversität in Videospielen ist damit also kein "Randgruppen-Gejammer", sondern ein wichtiger Entwicklungsschritt in unserem psychosozialen Gefüge. Es hilft Vorurteile abzubauen, Empathie zu fördern und denen Mut und Bestätigung zu geben, die es am meisten brauchen. Videospiele haben hierdurch die Möglichkeit das zu sein, was die Realität teilweise noch nicht geschafft hat: eine (etwas) bessere Welt.
Welches Spiel hat euch in besonderem Maße berührt und euch zum Umdenken über bestimmte Gruppen/soziale Identitäten gebracht?
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