Eigentlich sind Demos nur Werbung für kommende Videospiele. Das ist ein nüchterner Blick auf die Dinge, den ich aber mit 12 Jahren noch nicht entwickelt hatte. Deshalb waren die zahllosen Demo-Disks für meine PS1 eben auch kein Katalog aus Werbegeschenken, sondern eine reichhaltige, diverse, unschätzbar wertvolle Bibliothek aus 30-Minuten-Spielen, die ich immer und immer wieder erleben konnte. Die wunderbare Welt der PS1-Demos war nicht nur ein netter Bonus aus Fachmagazinen für mich - sie hat meinen Videospielgeschmack intensiv geprägt.
Demos als Tor zur Welt der Videospiele
Klar, spielbare Demos sind kein Relikt der Vergangenheit. Auch heute kann ich in den eShop spazieren und beispielsweise Kirby und das Vergessene Land anspielen, ganz ohne zusätzliche Kosten. Gleiches gilt für den PS Store oder den Xbox Store, tatsächlich sind auch mehrstündige Trial-Versionen gar nicht so unüblich. Dennoch ist die Welt eine andere. Free2Play-Spiele, Let’s Plays auf YouTube und Livestreams auf Twitch überschütten mich geradezu mit Gameplay-Eindrücken.
Als die PS1 die Welt beherrschte, umgab die meisten Videospiele noch ein geheimnisvoller Schleier. Hier und da gab es Screenshots in Zeitschriften zu sehen oder erste Anspielberichte. Aber um selbst einen Eindruck zu gewinnen, blieben mir nur die Demos. Umso spannender war die monatliche Wundertüte, wenn wieder eine Demo-Disk mit einem halben Dutzend Probeversionen am Kiosk lag. Ich wusste nie, was mich erwartet, wusste aber immer, dass es neue Erfahrungen sein werden. Neue Franchises, neue Genres.
Und ja, es wurde gespielt, was auf den Tisch kommt. Wo ich heute sehr wählerisch sein darf und genau abwäge, womit ich meine Zeit verbringe, habe ich damals alles genutzt, was mir zur Verfügung stand. Die Demos zu Demolition Racer, Bloody Roar 2 oder Bugs Bunny Lost in Time habe ich zigfach wiederholt. Vereinzelt hat das zwar auch dazu geführt, dass ich meine Eltern zum Kauf einer Vollversion überzeugen konnte (Grüße gehen raus an Crash Team Racing) - in den allermeisten Fällen hatte ich aber nur den Umfang der Demo zur Hand.
Bis auf den letzten Tropfen
Absurde Züge nahm diese unfreiwillige Gameplay-Diät bei Jade Cocoon an. Das JRPG von Genki erschien 1999 und ist wohl einer der ersten 3D-Pokémon-Klone überhaupt. In einer Ghibli-inspirierten Welt durfte ich Monster fangen und sie gegen andere “Kokonmeister” in den Kampf schicken.
In der Demoversion von Jade Cocoon stand nur das erste Areal der Spielwelt zu Verfügung mit einer Handvoll an Monstern. Das Hintertürchen war aber, dass es keine zeitliche Begrenzung gab - ich konnte mich im ersten Käferwald solange aufhalten, wie ich nur wollte. Und genau das habe ich gemacht.
Ich habe nicht nur alle Monster gefangen, sondern sie auch auf das höchste Level aufgestuft, das mit den mickrigen XP aus der Startregion überhaupt möglich war. Und hier kam auch die Fusionsmechanik von Jade Cocoon zum Einsatz. Ich konnte zwei meiner Monster verschmelzen lassen und daraus dann ein neues, einzigartiges Wesen entstehen lassen, dass die Werte, Fähigkeiten und elementaren Eigenschaften der “Eltern” vereinte. Die Demo von Jade Cocoon hatte also theoretisch endlos Inhalt zu bieten.
Am Ende hatte ich die Demoversion, die auf vielleicht 1-2 Stunden ausgelegt war, über 12 Stunden gespielt und ein unschlagbares Team zusammengestellt. Ein Blick auf die Website How Long to Beat verrät, dass die durchschnittliche Spielzeit von Jade Cocoon etwa 15 Stunden beträgt.
Eine Demo für jede Gelegenheit
Von diesen hedonistischen Demo-Ausschweifungen gab es jede Menge. Die Demo zu Tony Hawk’s Pro Skater ist da ebenfalls ein Kandidat für eine Probeversion, die ich viele Stunden lang immer und immer wieder gespielt habe - auch wenn ich nur im Warehouse in der Halfpipe tricksen konnte. Spyro the Dragon, Crash Bandicoot Warped, Driver, Colin McRae Rally, Tenchu Stealth Assassins, Syphon Filter - meine Videospiel-Realität um die Jahrtausendwende war geprägt von kleinen Portionen, an denen ich mich trotzdem satt gegessen hatte.
Es ging aber nicht nur um die großen Namen, die ich ausgiebig spielen konnte, ohne Geld in die Hand zu nehmen. Die Demo-Disks haben mir zahlreiche Geheimtipps und schräge Vögel präsentiert, die ich ohne Probeversion wohl nie kennengelernt hätte.
Liberogrande war beispielsweise eine Fußballsimulation, in der ich aber nur einen einzigen Fußballer auf dem Feld steuern konnte und mich um jeden Ballkontakt bemühen musste. Incredible Crisis war eine absolut abgefahrene Minispiel-Sammlung, in der ich einen japanischen Vater auf seinen Heimweg von der Arbeit begleitete und ständig in wahnwitzige Situationen geraten bin.
Auch in Sachen Multiplayer stellte ich mir mein Menü fast exklusiv aus PS1-Demos zusammen. Wenn mein kleiner Bruder ins Zimmer kam und spielen wollte, griff ich einfach zu Worms 2: Armageddon oder zum leider in Vergessenheit geratenen Psygnosis-Klassiker Team Buddies. Und wenn es mal heiß hergehen sollte, spielten wir KKND 2: Krossfire, einem Echtzeitstrategie-Titel, der direkte Duelle im Splitscreen möglich machte.
Wo wäre ich nur ohne PS1-Demos?
Meine Zeit mit der ersten Playstation war sehr prägend für mich, hier habe ich die Vielfalt von Videospielen kennengelernt und realisiert, dass es mehr gibt als nur Mario Kart und Street Fighter. Dass mein Interesse an Spielen über die Jahre immer weiter in die Breite ging und ich mich nicht nur auf ein paar Lieblingsfranchises und -genres beschränkt habe, verdanke ich zum Teil sicher auch der Abwechslung, die mir PS1-Demos ermöglicht hatten und die ich sonst in so jungen Jahren wohl nicht gehabt hätte.
Heutzutage sind Videospiele deutlicher zugänglicher und das ist eine gute Sache. Wer spielen möchte, hat eher mit einem Überangebot zu kämpfen und kann sich bei jeder Investition im Vorfeld genauestens erkundigen, welche Erfahrung am Ende wartet. Ohne Internet und ohne das nötige Taschengeld war ich aber dankbar dafür, dass ich da meinen Schatz an Probeversionen hatte - es war eine andere Zeit.
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